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#JeSuisCharlie: Bin ich wirklich Charlie?

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BerlinGesellschaft

Über Hashtag-Aktivismus, damit verbundene Schizophrenie und ein gewisses Unbehagen, das bleibt. [Kommentar]

Der 7. Januar 2015 wird ein Tag sein, an den ich mich auch in zehn oder zwanzig Jahren noch erinnere. Ich werde, wie damals am 11. September, genau wissen, was ich an diesem Tag gemacht habe, als die Nachricht kam. Am 11. September 2001 wollte ich unbedingt eine Serie im Fernsehen gucken – dieser wurde allerdings von meinem Vater blockiert. Was es bedeutete, dass gerade ein Flugzeug ins World Trade Center gekracht war, konnte ich gar nicht begreifen. Den Rest des Tages verbrachte ich mit meiner Familie vor dem Fernseher. Horrornachricht folgte auf Horrornachricht und irgendwann waren wir einfach komplett abgestumpft. Trotzdem fand ich das alles furchtbar aufregend.

Nichts lesen, nichts sehen, nichts hören

Am 7. Januar 2015 recherchierte ich in der Redaktion gerade für einen Artikel. Ein Kollege murmelte etwas von einem Anschlag auf dieses „Charlie…“ und sofort schrillten sämtliche Alarmglocken. Erst wollte ich es nicht glauben, dann konnte ich es nicht fassen. Zwölf Menschen tot. Einfach abgeknallt. Weil sie sich mit satirischen Mitteln über Religion lustig gemacht haben. Ich habe fast drei Jahre mit Unterbrechungen in Frankreich gelebt, ich habe viele Freunde dort, es ist das Land, welches mir nach Deutschland am nächsten ist. Mein Herzensland. Der Anschlag auf Charlie Hebdo geht mir deshalb näher als viele andere Dinge, die in den letzten Jahren passiert sind. Vielleicht auch, weil die Einschläge näher kommen. Erst Frankreich, dann bald Deutschland?

Seit dem 7. Januar führe ich einen Kampf mit mir selbst. Ich möchte mich einerseits nicht mit dem auseinandersetzen, was passiert ist. Möchte keine Nachrichten lesen, sehen, hören. Möchte nicht mit Solidaritätsbekundungen auf Facebook konfrontiert werden. Und doch lese, sehe, höre ich Nachrichten, weil ich absolut alles mitbekommen will, was passiert. Poste selber Texte und Bilder auf Facebook, die im Zusammenhang mit Charlie Hebdo stehen. Es ist ja auch so: Selbst wenn man dem Nachrichtenstrom entgehen wollen würde – es ist schlicht nicht möglich, gerade für mich als Journalistin. Selbst auf Instagram folgte ein #JeSuisCharlie auf das andere. Jedes Model, das ich dort abonniert habe, postet zwischen Fotos vom neuen Outfit und fancy Frühstück mindestens ein #JeSuisCharlie. Abgesehen davon, dass ich mir mal Gedanken über die Auswahl meiner Instagram-Abos machen sollte, verstört mich das Ganze irgendwie. Oder eher: Es verursacht ein gewisses Unwohlsein. Was mehr als nur leicht schizophren ist – schließlich tue ich ja genau das gleiche.

Aktivismus oder Slacktivismus?

Mattie Kahn vom populären Fashion-Blog „Man Repeller“ fasst mein Unbehagen treffend zusammen:

„Social media has made the world so small it fits in the palm of our hands. […] It’s good—a lot of the time. […] But sometimes I am less optimistic. I wonder about our motivations. I wonder how much we would sacrifice for the ideals that we declare in impassioned statuses and tweets and profile pictures that only last until next Tuesday. Our generation has built a kind of network that seems supernatural. I suspect we have maybe deified it. And frankly, I love it. I “like” it. I double tap it. Really. I think it has the power to exact real change. But I’m not sure how.”

["Social Media hat die Welt so klein gemacht, dass sie in eine Hand passt. [...] Das ist meistens auch gut so. [...] Doch manchmal bin ich weniger optimistisch. Ich denke über unsere Motivationen nach. Ich frage mich, wie viel wir bereit wären, für unsere Ideale aufzugeben, die wir in leidenschaftlichen Status-Meldungen, Tweets und Profilbildern ausdrücken und die dann bis nächsten Dienstag wieder verschwunden sein werden. Unsere Generation hat ein Netzwerk geschaffen, das manchmal übernatürlich wirkt. Ich vermute, wir haben es manchmal vergöttlicht. Und ganz im Ernst, ich liebe es. Ich finde es "genial". Ich doppel-tippe es. Echt! Ich denke, das hat die Macht, die Dinge zu ändern. Aber ich weiß noch nicht so richtig wie."]

Eine Frage, die ich mir selbst täglich stelle (stellen muss) und die ich mir nun, nach dem 7. Januar 2015 noch öfter stellen werde: Wie viel würde ich tatsächlich für meine Ideale aufgeben? Und ich komme nicht umhin zu denken, jedes Mal, wenn ich #JeSuisCharlie tippe oder es vor mir auf dem Bildschirm sehe: Ich bin nicht Charlie. Denn so viel Mut wie die Redaktion von Charlie Hebdo stets bewiesen hat, habe ich wohl nicht.