„J’accuse“: Theaterfrauen, die zum großen Schlag ausholen
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Jaleh OjanIsabelle Jonniaux ist Schauspielerin, Regisseurin und künstlerische Leiterin des Theaters Atelier 210 in Brüssel. Mit „J’accuse“ zeigt sie aktuell ein Theaterstück, das fünf Frauen ungefiltert zu Wort kommen lässt. Eine gute Gelegenheit für Cafébabel, mit ihr über die Stellung der Frau im Theater und im Kulturbereich nachzudenken.
Fünf Frauen auf der Bühne. Eine nach der anderen steht auf, ergreift das Wort und erzählt: von ihren Kämpfen, ihre Begegnungen und den Ungerechtigkeiten des Alltags; ihre Sprache ist roh, unverblümt. Ein uppercut, ein Schlag mitten ins Gesicht. „J’accuse“ („Ich klage an“), so lautet der Titel dieser Anklagerede, die von Isabelle Jonniaux inszeniert und kürzlich in Brüssel aufgeführt wurde.
„Ein radikaler Text“
Vor einigen Jahren entdeckt Isabelle Jonniaux den Text von Annick Lefebvre, Dramaturgin aus Québec und Autorin eines in ihrer Heimat vielbeachteten Theaterstücks, in dem fünf Frauen zu Wort kommen und von ihren Problemen, ihren Frustrationen und alltäglicher Gewalt berichten. Die belgische Regisseurin fühlt sich vom Text sofort angesprochen. „Ich fand das Geschriebene stark, und ich fand, dass die Art und Weise, den Handlungsbedarf und die Rebellion dieser Frauen zu beschreiben, uns genauso betrifft. Auch wenn ich nicht alles verstand, weil der Text viele Québec-spezifische Ausdrücke enthielt.“ Die Belgierin schlägt also der Franko-Kanadierin vor, in die europäische Hauptstadt zu kommen, um das Stück auf die Bühne zu bringen. Annick willigt ein und begibt sich nach Belgien, wo die beiden Frauen sich an die Arbeit machen und dabei Leute treffen und Gedanken austauschen, um Figuren zu erschaffen, die Belgiens Farben widerspiegeln.
“Es handelt sich um einen radikalen Text”, erklärt Isabelle, “es handelt sich um Stellungnahmen von Bürgerinnen, die etwas anprangern, die aufbegehren, die sehr eigen sind und gleichzeitig mit ihren Eigenarten an andere Eigenarten rühren. Manche Worte stoßen vor den Kopf, diese Frauen sagen, was sie denken.“
Die Figuren sollen uns aufrütteln, sich behaupten. “Es ist keine feministische Aufführung”, stellt Isabelle jedoch klar. Es gehe um Frauen, die vor allem gesellschaftliche Themen ansprechen. „Für mich ist es mehr eine gesellschaftlich relevante Aufführung als eine feministische.“
Ein männlich dominiertes Milieu
Eine Aufführung wie diese, von Frauen inszeniert, geschrieben und gespielt, ist indessen vielsagend. “Wir erleben gerade eine spannende Zeit, wo die Leute ihre Stimme erheben gegen ein System, das seit Jahrhunderten Bestand hat. Und Texte wie dieser beweisen, dass Worte Dinge ändern können“, meint Isabelle Jonniaux.
Der Kultursektor bildet keine Ausnahme vom Phänomen der gläsernen Decke, die Frauen am Aufstieg in Führungspositionen hindert. Wie kann man sich also in diesem Umfeld durchsetzen, wo Frauen häufig mundtot gemacht werden? Isabelle lächelt und antwortet: „Meine letzte Vorstellung basierte auf einem Text von Nancy Huston, „Kontertanz“ („La virevolte“), der von einer Künstlerin und Mutter handelt, die ihre Familie am Ende verlässt, weil es ihr nicht gelingt, ihre Rollen als Frau, Mutter und Künstlerin unter einen Hut zu kriegen. Frau zu sein bedeutet oft, Mutter zu sein. Ob es uns gefällt oder nicht: Psychische Belastungen setzen Frauen tatsächlich mehr zu als Männern. Das Leben als Künstler ist das Gegenteil davon, es setzt eine enorme Offenheit voraus, die Verfügbarkeit von Zeit, die Fähigkeit, unorganisiert sein. Der Kulturbereich ist stark von Männern dominiert und es geht dort viel ungerechter zu als in anderen Bereichen, weil er weniger reglementiert ist. Als vor einigen Jahren der Frauenanteil in der belgischen Theaterwelt erfasst wurde, hat man enorme Ungleichheiten festgestellt: Fast 70% der Regisseure sind Männer, und bei den Dirigenten ist es noch schlimmer.“ In Sachen Produktion sind die Zahlen kaum weniger düster: 60% der Männer verfügen über 80 % der Mittel. Wir finden also Männer an der Spitze großer Betriebe und Frauen als Leiterinnen kleiner Betriebe.
Dieser Befund ist weder für Belgien, noch für die Theaterwelt allein charakteristisch. Alle künstlerischen Bereiche sind betroffen. So weist in Frankreich ein Bericht der Delegation für Frauenrechte des Senats aus dem Jahr 2013 darauf hin, dass „60% der Studierenden an Kunstschulen Frauen sind“, während „die große Mehrheit der Regisseure und Dozenten Männer sind.“ Er zeigt ebenfalls auf, dass lediglich 25% der 2012 produzierten Filme von Frauen gedreht wurden. Im Bereich der darstellenden Künste, so Isabelle Jonniaux, sind „auf den Spielplänen der ausgezeichneten Einrichtungen und Nationaltheater nur 15,14% der Regisseure weiblich.“ Es sind Zahlen, die für sich sprechen, und die sich langsam verbessern - dank der Grundlagenarbeit zahlreicher Verbände, und dank der Tatsache, dass ein Umdenken stattfindet.
Translated from « J’accuse » : les théâtreuses te mettent une rouste