Italienische Erasmus-Studierende kämpfen für ihr Wahlrecht
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Kathrin FaltermeierAm 24. und 25. Februar wählt Italien sein neues Parlament. Über 400.000 italienische Studierende im Ausland, darunter viele im Erasmusprogramm, dürfen an der Wahl nur dann teilnehmen, wenn sie in ihr Heimatland reisen, um ihre Stimme vor Ort abzugeben. Viele steigen gegen diese Regelung auf die Barrikaden und fordern ein uneingeschränktes Wahlrecht, denn: „Ohne Wahl keine Demokratie!“
Verordnung Nr. 226 legt die Modalitäten von Parlamentswahlen für alle italienischen Bürgerinnen und Bürger fest, die sich im Ausland aufhalten. Und zieht den Missmut italienischer Erasmusstudierender auf sich. Der Text der Verordnung legt nämlich fest, dass alle mit Wohnsitz im Ausland registrierten Personen (die sogenannte AIRE-Liste) wählen dürfen. Auch Personen, die sich „auf internationaler Mission“ (beispielsweise Mitglieder der Armee, Angestellte des öffentlichen Dienstes und Universitätsangehörige in Forschung und Lehre) befinden, können ihr Wahlrecht wahrnehmen. All die anderen italienischen Staatsangehörigen, die sich zeitweise im Ausland aufhalten, „dürfen nur dann wählen, wenn sie sich nach Italien begeben, und zwar in die Kommune, in der sie registriert sind“.
Verweigertes Wahlrecht
Eine beträchtliche Anzahl italienischer Bürgerinnen und Bürger wird nicht die Möglichkeit haben, anlässlich der Wahlen in ihr Heimatland zurückzukehren. Alle Italienerinnen und Italiener, die aufgrund ihrer Arbeit oder ihres Studiums fernab ihrer Heimatorte leben, sind von der Regelung betroffen. Dazu zählen auch alle italienischen Studierenden. Zieht man nur eine der betroffenen Gruppen in Betracht – die der Studierenden, die momentan aufgrund eines Erasmusaufenthalts in anderen europäischen Ländern sind – kommt man bereits auf 25.000 Personen.
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Zahlreiche Appelle haben bereits versucht, die Situation noch vor den anstehenden Wahlen zu ändern. Die Abgeordnete des Europaparlaments Silvia Costa zum Beispiel, hat die Schaffung eines Registers vorgeschlagen, in das sich Erasmusstudierende eintragen können, um an italienischen Konsulaten im Ausland ihre Stimme abzugeben. Auch die Erstattung der durch die Reise zurück nach Italien angefallenen Ausgaben fand sich unter den Vorschlägen. Die Studierenden selbst haben ihre Kritik mithilfe sozialer Netzwerke zum Ausdruck gebracht. Auch mit einer Petition an die Innenministerin Anna Maria Cancellieri konnten sie die Aufmerksamkeit der wichtigsten Medien erreichen.
Italienische Erasmusstudierende sind empört
Alessandra P., 21 Jahre, kommt aus Bari im Südosten Italiens und studiert in Trient. Momentan macht sie Erasmus in Großbritannien. Sie gehört zu denen, die sich im Internet organisieren, um ihre Empörung auszudrücken und hat die vielbesuchte Facebookseite „Studenti italiani che non potranno votare alle prossime elezioni” (Italienische Studenten, die nicht an den nächsten Wahlen teilnehmen können) ins Leben gerufen. Auch die Medien berichteten über die studentischen Proteste. „Dass das Problem so viel Aufmerksamkeit bekommt, liegt nicht zuletzt an unserer erfolgreichen Mobilisierung“, glaubt Alessandra. „Soziale Netzwerke haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, all die zusammenzubringen, die wählen wollen aber daran gehindert werden.“
„Es sollte selbstverständlich sein, das Wahlrecht für alle Staatsbürger zu garantieren“
Der 24-jährige Andrea M. studiert Ingenieurwesen und ist gerade für ein Erasmussemester in Paris. „Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, das Wahlrecht für alle italienischen Staatsbürger zu garantieren – auch für diejenigen, die gerade wegen Studium, Arbeit oder Jobsuche im Ausland sind! Wahrscheinlich werden sie nach einigen Monaten sowieso wieder nach Italien zurückkehren. Die italienische Regierung hat das Erasmusprojekt unterstützt. Und dieselbe Regierung schafft es heute nicht, das Wahlrecht zu garantieren.“, findet er.
Eine Niederlage oder der erste Schritt in die richtige Richtung?
Den empörten Protesten zum Trotz hat das italienische Kabinett erklärt, dass Studierende, die sich im Erasmusaufenthalt im Ausland befänden, ihre Stimme bei den nächsten Wahlen nicht abgeben können. Und zwar aufgrund „unüberwindbarer zeitlicher und praktischer, aber insbesondere verfassungsrechtlicher Hürden. Wir können dem Antrag, Erasmus-Studierende als eigene Kategorie von Wählern anzuerkennen, nicht stattgeben. Dies käme einem Ausschluss all derer gleich, die unabhängig vom Erasmusprogramm im Ausland studieren.“ Alessandra jedoch gibt nicht auf: „Für mich ist das ‚Nein‘ des Kabinetts keine Niederlage. Im Gegenteil! Es ist der erste Schritt in die richtige Richtung: Wir sollten uns nicht mit einer kurzfristigen Übergangslösung zufrieden geben, sondern von unserem Land fordern, demokratische Grundsätze und die Werte Europas zu respektieren!“ Jungen Italienerinnen und Italienern wird oft Politikverdrossenheit vorgehalten. Sie gelten als Nesthocker, die das „Hotel Mama“ ungern verlassen. Oder ihnen wird vorgeworfen, Italien seinem Schicksal zu überlassen und Schuld am „Braindrain“ zu sein.
„Viele junge Italiener möchten etwas verändern, und zusammen können wir das auch schaffen“
Und dennoch spiegeln Alessandras Worte die Ansicht vieler wider. Ihre Forderung legt ein radikal anderes Image ihrer Generation nahe: das von engagierten Bürgern, die neue Kommunikationstechnologien zur politischen Mobilisierung nutzen und die den Ansporn und die Motivation haben, wirklich etwas zu bewegen. Auch wenn sie sich außerhalb der Landesgrenzen befinden, wollen sie nicht von der Politik ihres Heimatlandes abgekapselt werden. „Wir haben gezeigt, dass viele junge Italiener etwas verändern möchten, und dass wir das zusammen auch schaffen können.“, bekräftigt Alessandra.
Nichts als leere Versprechen
In Italien, wo die Nichtwähler „die größte Partei“ bilden, sind Politiker oft die Zielscheibe von Spott oder Misstrauen. Zu Zeiten eines Wahlkampfes, der von den Schlagworten „rottamazione” (Aufruf Renzis zur Abrechnung mit der Vetternwirtschaft) und „rivoluzione“ (Revolution) geprägt ist, ist die Empörung der jungen Leute nicht nur darin begründet, dass Bürger daran gehindert werden, ihre Stimme an den Wahlurnen abzugeben. Sie liegt auch an all den ungehaltenen Versprechen der Politiker.
Zum Abschluss haben wir Alessandra und Andrea eine Frage gestellt: „Werdet ihr für die Wahlen am 24. und 25. Februar nach Italien fahren?“ Zwei Gründe sprechen dagegen: die Reisekosten und der Stundenplan. Für die beiden Erasmusstudenten sind das „unüberwindbare Hindernisse, um an der Wahl teilnehmen zu können“.
Fotos: ©Facebookseite Studenti italiani che non potranno votare alle prossime elezioni
Translated from Va dove ti porta il voto: studenti Erasmus esclusi dal governo