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Italien und Slowenien heizen Referenden-Debatte an

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Kim Winkler

Politik

In der Vergangenheit haben Informationsmangel und mäßige Beteiligung ein potentiell mächtiges Instrument öffentlicher Reform zu einer anstrengenden und nutzlosen Übung gemacht. Doch nun rückten die unerwarteten Ergebnisse des Referendums in Italien vom 12. und 13. Juni eine der ältesten Formen direkter Demokratie wieder in den Vordergrund.

Die Wirksamkeit von Referenden als Mittel, Volkssouveränität geltend zu machen, schien bisher aufgrund geringer Beteiligungen oft zweifelhaft. Beispielsweise in Italien, wo bis heute von 62 abgehaltenen Referenden nur die Hälfte die notwendige Stimmenzahl erreicht hat und rechtswirksam wurde, wobei das so genannte Quorum [die Stimmen von über 50 % der Wahlberechtigten; A.d.R.] schon seit 14 Jahren nicht mehr erlangt wurde.

Anders am 12. und 13. Juni, als 25 Millionen Italiener ihre Stimme abgaben, um gleich vier Gesetze außer Kraft zu setzen. Sie sagten „no“ zum Bau neuer Kernkraftwerke, zwei Mal „no“ zur Privatisierung und Kommerzialisierung der Wasserwerke und „no“ zur Freistellung von Politikern von ihrer Pflicht, vor Gericht zu erscheinen.

Warum spricht keiner über die Referenden?

Diese Ergebnisse waren natürlich ein Schlag ins Gesicht der Regierenden. Vor dem italienischen Referendum hatten viele „ja“-Wahlwerber die Mainstream-Medien dafür verurteilt, nicht ausreichend über die bestehenden Probleme zu berichten. Einige Kritiker meinten sogar, die Regierung plane bewusst eine Sabotage des Referendums. Trotz dieser widrigen Umstände übertrafen die Ergebnisse alle Erwartungen. Nach einem solchen Überraschungserfolg dürften Referenden in Zukunft einen Aufschwung erleben.

Wurden sie bisher oft als seit langem bestehendes Instrument direkter Demokratie vernachlässigt, könnten sie jetzt eine Reihe neuer Anhänger inmitten eines großen Spektrums von Interessengruppen finden. Nichtsdestotrotz sind Referenden harte Arbeit, wobei die größte Hürde nicht mal das Sammeln der notwendigen Unterschriften ist. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, genügend Wähler zu finden und ihnen verständlich zu machen, wofür – oder wogegen – sie stimmen. Denn die konkrete Formulierung der Fragen kann ohne angemessene Informationskampagnen so kryptisch erscheinen, dass sich die Angesprochenen in der Juristensprache verlieren und letztendlich „nein“ statt „ja“ ankreuzen oder umgekehrt. Was zweifellos ein Manipulationsrisiko birgt...

Die Formulierung der Fragen kann ohne angemessene Informationskampagnen so kryptisch erscheinen, dass man sich in der Juristensprache verliert und „nein“ statt „ja“ ankreuzt.

Referenden haben wichtige Fortschritte in der sozialen und politischen Geschichte von Ländern wie Italien bewirkt. Und für hitzige Debatten zwischen den „ja“- und „nein“-Wählern gesorgt. Ein gutes Beispiel dafür ist das Scheidungsrecht in Italien: Kurz nach seiner Einführung wurde es 1974 in einem Referendum auf die Probe gestellt, blieb letztendlich aber im Zivilrecht, mit einer knappen Mehrheit von 59 % gegen seine Aufhebung.

Ähnliches lässt sich in Slowenien beobachten, wo die Bürger an einem einzigen Juniwochenende gleich drei Referenden über Themen von Rentenalter bis Rundfunk erlebten. Es hagelte Kritik an dem demokratischen Instrument, da man befürchtete, die Slowenier hätten genug von Referenden und es werde so eine politische Wende in dem Land verhindert.

Refere-was?

In anderen Teilen Europas sind Referenden selten, aber nicht unbekannt. Im europäischen Integrationsprozess spielten sie eine wichtige Rolle, wenn auch nicht immer eine zustimmende. In Norwegen wurden zum Beispiel zwei Referenden über die EU-Mitgliedschaft (1972, 1994) abgehalten – mit Ergebnissen gegen die EU. Ebenso verwarfen Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 den EU-Verfassungsvertrag. Und 2008 verzögerte das irische „Nein“ das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages um mehr als ein Jahr.

Egal wie sie ausgehen: Referenden helfen, Lücken zwischen dem politischen Status Quo und der Forderung der Zivilbevölkerung nach Wandel zu schießen. In einer Zeit, in der sich europäische Bürger – besonders die Jugend – zunehmend von der Politik ausgeschlossen fühlen und sich die europäischen Plätze mit immer mehr aufgebrachten Bürgern (indignados) aller Gesellschaftsschichten füllen, sind Referenden womöglich der beste institutionelle Weg, um eine breitere Beteiligung und mehr Demokratie zu garantieren. Der Lissabon-Vertrag bringt ein neues Instrument mit sich, die Europäische Bürgerinitiative (ECI), welche einer Million Bürgern aus allen Mitgliedsländern ermöglicht, der Europäischen Kommission neue Gesetzesentwürfe in europäischen Angelegenheiten zu unterbreiten. Bis jetzt wurde dieses neue Instrument noch nicht genutzt. Aber ein neu zusammengesetztes Komitee arbeitet gerade daran, die europäischen Bürger zu motivieren, diese neue Form eines europäischen Referendums ab dem 1. April 2012 verstärkt zu nutzen.

Foto: (cc)'Lomo-Cam' aka Cameron Russell auf flickr/ CamRussPhoto

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Translated from Between Italy and Slovenia, Europe referendum conundrums in 2011