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Italien-Paris: Frauen auf der Bühne gegen die Mafia

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funktasia

Kultur

Paris: In dem italienischen Theaterstück Un errore humano (Ein menschlicher Irrtum) erzählt eine Schauspielerin aus Palermo das Schicksal von Mafiafrauen in Italien.

Rita Atria, Felicia Bartolotta Impastato - und jetzt Lia. Der Name der Protagonistin des Stücks Un errore umano [Ein menschlicher Irrtum] könnte in einem Atemzug mit jenen echten Frauenpersönlichkeiten genannt werden, die ihr Leben für den Kampf gegen die Mafia geopfert haben. „Auch wenn mein Vater und meine Mutter mich auf Knien angefleht hätten es nicht zu tun, habe ich Vito, Sohn eines respektierten Mannes, aus freien Stücken geheiratet. Es war eine Zeit, in der wir voller Entsetzen zugesehen haben, wie das Engagement gegen die Mafia in unserem Land stark zurück gegangen ist.“

Mit diesen Worten beginnt die Mafioso-Frau Lia ihre Geschichte zu erzählen: „Am Anfang war er nett. Und dann... Wer konnte ihn denn schon fragen, wohin er nachts ging. Jedenfalls solange nicht, bis ich verstand.“ In Übereinkunft mit Lias behandelndem Arzt, lässt der Ehemann sie irgendwann in eine psychiatrische Klinik einweisen. Auch dort hält Lia die sie umgebende Mauer des Schweigens und der Geheimhaltung nicht davon ab, ihren persönlichen Kampf weiter zu führen.

Die Verrücktheit der Einzelkämpfer

„Das Thema des Verrücktwerdens ist passend gewählt für Geschichten, die sich um die Mafia drehen. Denn die meisten der Pentiti (geständige Mafiosi) werden für verrückt erklärt, um ihre, gegen die Mafia erhobenen Vorwürfe zu verleumden und zurückzuweisen“, erzählt die Schauspielerin Serena Rispoli, die die Rolle der Lia verkörpert, „weil sich für jeden Bürger Siziliens, wo die Wahrheit der Dinge absichtlich verfälscht wird, eine veränderte und getäuschte Wahrnehmung des Lebens herausgebildet hat. Das was Lia ausdrückt, ist dasselbe Gefühl des Verrücktwerdens, das jede Person befällt, die sich vor einer solchen Mauer befindet.“

Aber Lia findet sich nicht mit dem Leben einer Gefangenen ab und wehrt sich mit all ihren Kräften gegen das Schauspiel, das der Direktor der psychiatrischen Klinik inszeniert hat, um die Patienten zu verwirren. Sie nimmt nicht an diesem Spiel teil und rebelliert gegen die Rolle, die andere ihr aufgezwängt haben.

Das Theaterstück Un errore humano wurde mit einer kurzen Lesung im Ethicando, einem Café und Konzept-Store für italienische „Mafia freie“ Produkte in der Pariser Rue de la Grange aux Belles vorgestellt. Gigi Borruso, Autor des Textes, und die Schaupielerin Serena Rispoli, in der Rolle der Lia, wurden beide vor der Gründung des Ensembles Transit Teatro am Teates di Palermo ausgebildet. Derzeit hat das Ensemble, das zwischen Italien und Frankreich auftritt, 3 Stücke im Programm. Neben Un errore umano schrieb Borruso auch Fuoricampo (Im Aus), das 2009 mit dem Preis Tuttoteatro Dante Cappelleti ausgezeichnet wurde, und Luigi che sempre ti penza (Luigi denkt immer an dich), das das Thema der Einwanderung aufgreift.

Die Lesung in Paris wurde dank der Gastfreundschaft des Ethicando und der Partnerschaft mit dem Netzwerk Carovana Antimafia (Karawane-Anti-Mafia) ermöglicht. Symbolisch soll die Karawane in Sizilien mit der Schließung der letzten sechs staatlichen psychiatrischen Krankenhäuser (Ospedali Psichiatrici Giudiziari) im Februar 2013 enden.

„Auf Serenas Vorschlag hin habe ich 2008 angefangen den Text zu schreiben“, sagt Borruso. „Es war eine Zeit, in der wir voller Entsetzen zugesehen haben, wie das Engagement gegen die Mafia in unserem Land stark zurückgegangen ist. Lias Geschichte ist zwar erfunden, aber inspiriert von den Erlebnissen einer wichtigen Antimafia-Zeugin, Rita Atria, und der Geschichte der Mutter von Peppino Impastato [Sohn einer sizilianischen Mafia-Familie, der Widerstand leistete und 1978 von der Mafia umgebracht wurde].“

Wer das Stück mit offenen Augen ansieht, findet die zahlreichen historischen Bezüge: Lias Fragen an den Ehemann erinnern an den stillen Kampf im Hause Impastato zwischen Felicia und Luigi, Peppinos Mutter und Vater. Ein anderes Schlüsselmoment ist als Lia im Fernsehen vom Attentat auf den Mafiarichter Paolo Borsellino erfährt: „Ich war an diesem Ort (in der psychiatrischen Klinik) als sie ihn umgebracht haben und ich dachte, das wäre mein Grab.“ Ähnliche Gedanken der Hoffnungslosigkeit befielen vielleicht auch die blutjunge Rita Atria, die mit der italienischen Justiz gegen die Mafia zusammenarbeitete und sich eine Woche nach dem Attentat in der Via d’Amelio, wo der Richter (Freund und spiritueller Vater) Paolo Borsellino zusammen mit seiner Eskorte getötet wurde, das Leben nahm. „Mich als Sizilianerin betreffen diese Geschichten persönlich,“ erklärt die Schauspielerin, „mit dem Anschlag auf Borsellino haben wir gedacht, der Kampf gegen die Mafia sei vorbei.“

Das Theaterstück hat ein surrealistisches Dekor -  das Bettgestell eines Ehebettes soll den getarnten Käfig „camuffato“ darstellen, der Lia umgibt und gefangen hält. Aber die erzählte Geschichte ist realistischer, als sie es kaum sein könnte: „Es war eine Herausforderung, nicht in das Klischee der typischen TV-Mafia Geschichten abzudriften“, verrät Selena. „Deshalb wollten wir eine minimalistische Bühnenausstattung, um dem Zuschauer das Gefühl der Entfremdung zu vermitteln."

"Ich mag Lias Persönlichkeit, denn sie ist unbeugsam", fügt die Schauspielerin wenig später hinzu. „Sie positioniert sich im Zentrum des Geschehens und weigert sich am Schauspiel mit den anderen Internierten teilzunehmen.“

Leben wie durch ein Wunder

„Wir leben nur durch ein Wunder“, resümiert Gigi Borruso. Drohungen? Erpressungen der beiden Schauspieler? Nichts dergleichen, hier ist die Mafia ein Mal nicht beteiligt. Doch oft haben ähnliche Projekte finanzielle Probleme oder keine Räumlichkeiten und können nicht auf eigenen Beinen stehen. „Wir hoffen, dass wir nächsten herbst auch mit dem kompletten Stück in Paris auftreten können. Wir sind bereits nach Trento und Trieste eingeladen und verfolgen auch in Zukunft die Zusammenarbeit mit den Anti-Mafia-Karawanen (Carovana Antimafie). Alles weitere bleibt abzuwarten.“

Neuigkeiten über das Transit Teatro findet ihr auf dem Facebookprofil des kleinen Ensembles, das international Gehör findet, oder auf der Webseite von Gigi Borruso.

Illustrationen: Teaserbild (cc)onkel wart/flickr; Im Text: Serena Rispoli ©Jacopo Franchi; Trailer: (cc)gigiborruso/YouTube

Translated from Donne sole contro la mafia