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Italien: Lehren aus der Erdbeben-Katastrophe

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Bei dem Erdbeben in der italienischen Gebirgsregion der Abruzzen am Montag sind mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen. Tausend weitere wurden verletzt, rund 100.000 obdachlos. Während Helfer in der Region noch nach Überlebenden suchen, zieht die europäische Presse erste Lehren aus der Katastrophe.

„Wir begreifen die konstante Notlage nicht“ - La Stampa; Italien

Nach dem verheerenden Erdbeben kritisiert die liberale Tageszeitung La Stampa die Nachlässigkeit der italienischen Baubehörden: "Das Erdbeben [...] erzählt uns von Häusern, die in Eile und unter Einsparungen gebaut worden sind. Man hat an Eisen gespart und einen Beton angemischt, der viel Sand aber nur wenig Zement enthielt. [Es erzählt] von unverantwortlichen Bauunternehmen und von öffentlichen Auftraggebern ohne Skrupel und Disziplin, berauscht vom Bauboom der letzten zwei Jahrzehnte. [...] Wir haben in Italien eines der renommiertesten Erdbebenforschungszentren (in Pavia) und eine der wirkungsvollsten Zivilschutzeinheiten. Aber wir begreifen die konstante Notlage nicht, die von Jahrzehnten der Nachlässigkeit und Oberflächlichkeit herrührt. Jene Art der Notlage, die [...] mit absoluter Dringlichkeit die Veränderung eines längst untragbaren Zustandes fordert. Denn genau das ist das letzte grausame Paradox, das aus den Abruzzen kommt. Wir sprechen von 'Tragbarkeit', ohne die Tausenden von Gebäude um uns herum zu bemerken, die sich längst nicht mehr alleine tragen können."

(Artikel vom 08.04.2009)

„Das Ausland soll nie wieder sagen dürfen, wir seien ein gesetzloses Land“ - La Repubblica; Italien

Nach dem Erdbeben kommentiert die linksliberale Tageszeitung La Repubblica das Bild Italiens in den internationalen Medien: "Liest man die internationalen Zeitungen, dann versteht man sofort, dass ein Erdbeben in Italien nicht die gleichen Folgen hat wie ein Beben in Japan oder in Kalifornien. [...] Unter dem Aspekt der Erdbebensicherheit gibt es kein Italien jenseits der Normen gegenüber einem Italien der Normen. Italien ist, wie die Welt entdeckt, vollständig jenseits aller Normen. Niemand respektiert Bauvorschriften, die sicher kein Erdbeben verhindern können, [...] die aber Mahnung zur Vorsicht und gleichzeitig Mut zum Leben sind. [...] Auch wenn wir die zerstörerische Macht der Natur nicht bremsen können, so soll uns das Ausland nie wieder sagen dürfen, wir seien ein gesetzloses Land. [...] Erdbebensicherungstechnik muss angewandt werden, das Eisen, das den Zement trägt, muss bemessen werden. Wir brauchen Bauherrn, Denkmalpfleger, Gesetzgeber und Richter aus Stahl."

(Artikel vom 08.04.2009)

„Schon seit Jahren vorgerechnet, dass es auf lange Sicht viel billiger komme, den Katastrophen vorzubeugen“ - Frankfurter Allgemeine Zeitung; Deutschland

L'Aquila habe allein an öffentlichen Bauten Schäden von umgerechnet mehr als 1,3 Milliarden Euro verursacht.

Nach dem Beben in den Abruzzen zieht die FAZ die Politik zur Rechenschaft: "Viele Häuser sind ohne Genehmigung gebaut oder auf illegale Weise erweitert worden. Die Regierungen, die dafür schließlich eine Amnestie erlassen haben, zuletzt unter Silvio Berlusconi in den Jahren 1994 und 2001, konnten sich besonderer Beliebtheit erfreuen. Doch wegen der Amnestien wurden nie die technischen Eigenschaften der Häuser kontrolliert. Es genügte, wenn die Bauherren ihre Ablassgebühr an das Finanzamt überwiesen. […] Der Minister für Transport und Infrastruktur hat unterdessen mitgeteilt, das Erdbeben in L'Aquila habe allein an öffentlichen Bauten Schäden von umgerechnet mehr als 1,3 Milliarden Euro verursacht. Dabei hat Italiens oberster Katastrophenschützer Guido Bertolaso den Politikern schon seit Jahren vorgerechnet, dass es auf lange Sicht viel billiger komme, den Katastrophen vorzubeugen, als jedes Mal den Schaden zu beseitigen. Bisher hat er aber weder die Italiener noch ihre Politiker zum Handel bewegen können.“

(Artikel vom 08.04.2009)

„Hobby Seismologe Giuliani: einen Held aus dem Nichts zaubern“ - Corriere del Ticino; Schweiz

Ein Hobby-Seismologe soll das Erdbeben anhand erhöhter Radonwerte im Grundwasser vorhergesehen haben. Dazu schreibt die Tageszeitung Corriere del Ticino: "Ein unbekannter, aber genialer Wissenschaftler macht eine große Entdeckung, die aber ignoriert wird, und im Nachhinein entdeckt man dann, dass er Recht hatte. Der Protagonist ist der 'Erdbebenexperte' Gioacchino Giampaolo Giuliani, der […] nun zu einer Art Nationalheld geworden ist. Nur ist Giuliani kein Experte, sondern ein Techniker. […] Ein wahreres und zuverlässigeres Anzeichen, das rechtzeitig [...] ein Erdbeben ankündigen könnte, wäre der Heilige Gral der Erdbebenkunde. Das trifft aber nicht auf das von Giuliani angegebene Verhalten des Radongases zu. Wie kann man das Gas also als zuverlässigen Indikator angeben? Das kann man nur, wenn man andere Absichten hat. Beispielsweise, eine überzeugende Geschichte zu erzählen, das Publikum zu rühren, einen Held aus dem Nichts zu zaubern oder eine Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Absichten, die sicher irgendjemandem dienlich sind, die aber nichts mit Wissenschaft zu tun haben."

(Artikel vom 08.04.2009)

„Man darf Naturkatastrophen nicht den Menschen anlasten, die nicht in der Lage sind, sie einzuplanen“ - Libération; Frankreich

Nach dem Erdbeben in Italien setzt sich die Tageszeitung Libération mit der feindlichen Kraft der Erde auseinander: "Die Erde ist keine Mutter. Im besten Fall ist sie eine Rabenmutter. Erdbeben und Tsunamis [...] erinnern uns an diese grausame Realität. Es sind Unglücksfälle, die keinen Sinn haben. Man darf sie nicht den Menschen anlasten, die nicht in der Lage sind, sie einzuplanen oder sich wirklich vor ihnen zu schützen. Nur Strenggläubige dichten sie Gott oder dem Teufel an. Sie gehen mit einem gleichmütigen Schicksalsglauben vor. Diese Absurdität führt zu zwei sehr zeitgenössischen Bemerkungen. Wenn die Natur ein Opfer ist, das zu Recht gerettet werden soll, ist sie auch gleichzeitig eine nicht menschliche Einheit, in die wir dank Erfindergeist und Kampf eingedrungen sind. Durch ihre Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber ist [die Erde], wie das Meer, zuerst eine feindliche Kraft. Sie muss geschützt werden, aber man muss sich auch vor ihr schützen."

(Artikel vom 07.04.2009)

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