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Isolation, der Preis für politisches Asyl in Deutschland

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Gesellschaft

Sie sind nach Deutschland gekommen, um Krieg, Diktatur oder Notstand zu entfliehen. Am Ziel angekommen, bitten sie um politisches Asyl. Doch während sie auf eine gesetzliche Anerkennung warten, werden sie Opfer eines Systems, welches sie in Isolation und Armut gefangen hält. Abgeschoben in Heime in den Außenbezirken der Städte, dürfen sich die Asylantragsteller nicht frei bewegen, geschweige denn arbeiten. Um ihr Überleben zu sichern, müssen sie sich mit knappen staatlichen Hilfen abfinden. Manche müssen jahrelang ein Leben als Bürger zweiter Klasse ertragen. Vor einem Jahr erhängte sich Mohamed Rahsepar, iranischer Asylantragssteller, in seinem Zimmer in einem Asylantenheim in Bayern. Seine Tat hat eine große Protestbewegung unter Asylbewerbern in Deutschland ins Rollen gebracht: im Laufe des Jahres 2012 gab es vermehrt Demonstrationen und Hungerstreiks. Einige gingen sogar so weit, sich als Zeichen des Widerstands die Lippen zusammenzunähen. Ihr Kampf ist noch nicht zu Ende, bislang jedoch ohne großen Erfolg. Anstatt auf die Forderungen einzugehen verweisen die politischen Parteien auf die Notwendigkeit, den Flüchtlingsstrom zu regulieren.

Die Fotos entstanden im Juli und August 2012 in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Text: Clair Rivière. Fotos: ©Alexis Huguet

Hinter Stacheldraht (Würzburg, August 2012)

Das Flüchtlingsheim in Würzburg, Bayern, ist eine ehemalige amerikanische Militärkaserne, umgeben von Stacheldraht und Überwachungskameras. Hier lebt man auf engstem Raum, zu mehreren in einem Zimmer, ohne Privatsphäre. Die Insassen berichten von häufigen Problemen, von „Alkohol, Schlägereien, Lärm und Nervosität“. Ärzten zufolge kann dieses Lebensumfeld psychologische Schäden bei den Flüchtlingen, teilweise traumatisiert von den schrecklichen Erlebnissen, die sie zum Verlassen ihres Landes geführt haben, hervorrufen oder verschlimmern.

Foto: ©Alexis Huguet

Residenzpflicht (Würzburg, August 2012)

Der Iraner Ajin Assadi ist gesetzlich dazu verpflichtet, im Heim in Würzburg zu leben. Als Asylantragssteller unterliegt er der „Residenzpflicht“, die es ihm unter Androhung einer Geld- oder Gefängnisstrafe untersagt, den für ihn zuständigen Verwaltungsbezirk zu verlassen. Die Größe dieses Bezirks variiert von Bundesland zu Bundesland. Im konservativen Bayern ist sie auf den Regierungsbezirk limitiert.

Foto: ©Alexis Huguet

Essen und Unterkunft – und Empörung (Würzburg, August 2012)

Anders als zum Beispiel in Frankreich, haben alle Migranten, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, Recht auf Kost und Logis. Aber diesen materiellen Komfort zahlen sie mit schwerwiegenden Einschränkungen ihrer Freiheit. Zudem befinden sich die Flüchtlingsheime oft in einem erbärmlichen Zustand. Mohamed Rahsepar erhängte sich in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2012 in diesem Heim in Würzburg. Seine verzweifelte Tat brachte seine iranischen Freunde auf, die mehrere Demonstrationen und Hungerstreiks organisierten. Daraufhin breitete sich ihre Bewegung im letzten Sommer auf andere Städte und Regionen Deutschlands aus, und gipfelte in einem Protestmarsch der Flüchtlinge nach Berlin im Herbst.

Foto: ©Alexis Huguet

“Home sweet home” (Würzburg, August 2012)

Im Heim in Würzburg sind viele Insassen Kurden. 2011 kamen die meisten Asylsuchenden in Deutschland aus Afghanistan, dem Irak, Serbien, Iran und Syrien. Im selben Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 43.362 Asylanträge geprüft. Nur bei 9.672 (22,3 % der Anträge) wurde der Aufenthalt genehmigt. Und die übrigen Flüchtlinge? Teilweise wurden sie abgeschoben, flüchteten oder sind nun illegale Einwanderer ohne Papiere.

Foto: ©Alexis Huguet

„Stoppt die Abschiebungen!“ (Düsseldorf, Juli 2012)

Am Düsseldorfer Flughafen demonstrierten Ende Juli einige hundert Menschen gegen die Abschiebung von Ausländern ohne gültige Papiere. Die Asylantragsteller führen ihren Kampf auch auf gerichtlicher Ebene. Am 18. Juli 2012 gewannen sie ein Verfahren am Bundesverfassungsgericht. Die Verfassungsrichter entschieden, dass das monatliche Taschengeld der Asylantragsteller erhöht werden solle. Dieser Betrag wurde um vierzig Euro auf nun etwa 130 Euro monatlich angehoben.

Foto : ©Alexis Huguet

Offenes Gefängnis (Böbrach, August 2012)

Das Flüchtlingsheim in Böbrach, das nahe der tschechischen Grenze in den bayrischen Bergen liegt, ist ein ehemaliges Feriencamp. Es liegt abgeschieden mitten in einem Wald und ist nicht umzäunt. Aber es bietet keine andere Perspektive außer essen, schlafen und den Wald betrachten: Depressionen garantiert. „Nichts tun können, niemanden sehen… - das ist keine Integration. Das ist wie im Gefängnis.“, sagt Michel Obango, ein Flüchtling aus dem Kongo.

Foto : ©Alexis Huguet

Isolation (Böbrach, August 2012)

In Böbrach bekommen die Flüchtlinge kein Geld, um Nahrung kaufen zu können, sondern Essenspakete. Sie wählen aus einer im Heim ausgehängten Liste mit einer kleinen Auswahl an Produkten. Der nächste Supermarkt ist knapp 5 Kilometer entfernt. Wenn der letzte Bus bereits abgefahren ist oder die Flüchtlinge kein Geld mehr für ein Ticket haben, laufen sie zu Fuß. Sie müssen dieselbe Strecke zurücklegen, um ein Internetcafé zu erreichen, wo sie mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen die Briefe der Verwaltung entziffern.

Foto : ©Alexis Huguet

Zwang zum Nichtstun (Überlingen, August 2012)

Theoretisch bekommen die Asylbewerber nach 9 Monaten in Deutschland die Möglichkeit zu arbeiten. Aber tatsächlich ist es aufgrund starker Einschränkungen nur wenigen möglich. Jackie (rechts) hat eine „gemeinnützige Arbeit“ angenommen: Mehrere Monate lang hat sie im örtlichen Hotel für einen Stundenlohn von 1€ geputzt. Die Asylbewerber können auch eine „normale“ Arbeit suchen. Aber haben sie den Job erst einmal angenommen, versucht das örtliche Arbeitsamt sie durch deutsche Arbeitslose oder Arbeitssuchende aus der Europäischen Union oder aus Ländern außerhalb der EU (jedoch mit Aufenthaltserlaubnis) zu ersetzen. Nur wenn sich niemand anders findet, der die Arbeit machen möchte, bekommen die Asylbewerber die Arbeitserlaubnis.

Foto: ©Alexis Huguet

Warten (Überlingen, August 2012)

Leonard ist in Deutschland geboren. Magdalena, seine nigerianische Mutter, weiß noch immer nicht, ob sie als Flüchtling anerkannt wird. Seit 3 Jahren wartet sie ungeduldig auf eine Antwort der Verwaltung auf ihren Asylantrag. „Das macht einen verrückt“, sagt sie. „Du denkst die ganze Zeit darüber nach.“ Laut offiziellen Statistiken wird die Mehrheit der Asylanträge innerhalb eines Jahres bearbeitet. Aber einige Asylbewerber warten mehr als 10 Jahre, bevor sie eine endgültige Antwort bekommen.

Foto: ©Alexis Huguet

Translated from Isolement, le prix de l’asile allemand