Islamkritiker Thilo Sarrazin - der deutsche Geert Wilders?
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Seit Jahren polemisiert der ehemalige Finanzsenator in Berlin und Vorstandsmitglied der Bundesbank im Namen einer gescheiterten Integration gegen Muslime in Deutschland. Von ständig neuen "Kopftuchmädchen" war die Rede, nun sollen sich wie die Karnickel vermehrende türkische Einwanderer an der Verdummung der Nation schuld sein.
Seine Thesen hat Sarrazin Ende August in seinem Buch Deutschland schafft sich ab vorgestellt. Sagt er laut, was in Deutschland alle leise denken, oder verdient er einfach nur den Stempel des platten Rassisten? Kommentar.
Bei der Diskussion über Integration in Deutschland kann man jede Menge Fehler machen. Es ist ein Fehler, aus lauter Zurückhaltung und Scham keine Kritik zu wagen und es ist unverzeihlich, Häme und Defätismus zu verbreiten. Es ist gut, dass das Thema „Integration“ wieder ins Bewusstsein rückt. Aber es wäre besser gewesen, das behutsam und unvoreingenommen zu tun. Schade, dass Thilo Sarrazin in einer Weise daran zerrt, dass alle rechten Trittbrettfahrer sich die Hände reiben und sich bei dem SPD-Mitglied für die geleistete Arbeit bedanken können.
Wir sollten zunächst nach einem gemeinsamen Ziel suchen. Dafür muss die Frage: „Wie soll Deutschland in 30 Jahren aussehen?“ beantwortet werden. Und an der Suche nach der Antwort müssen sich alle beteiligen. Die Richtschnur könnte sein: Es gibt Normen für das Miteinander, die ein friedliches Zusammenleben regeln. Dazu gehören Gesetze, Traditionen, die Landessprache, Selbstbestimmung, Grundrechte und viele Farben dazwischen. Wer bereit ist, das anzuerkennen, sich zu eigen zu machen und seinen Beitrag zu leisten, damit all das auch in der Zukunft lebensfähig und belastbar bleibt, ist willkommener Mitbürger. Das gilt für jeden, egal ob er in Deutschland geboren wurde, egal, seit wann er einen deutschen Pass hat und egal, woher seine Vorfahren stammen.
Wenn wir uns auf ein gemeinsames Ziel geeinigt haben, müssen wir - und da liegt das Unheilpotenzial - beschreiben, wo wir heute stehen. Das kann nur ein objektives Gremium. Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab ist ohne Wert für eine Diskussion über die Integration; wir wollen ihm zubilligen, dass er uns zum Nachdenken gebracht hat.
(Kommentar von Hartmut Greiser)
Reaktionen aus Europa
Clémence, Frankreich, 26 Jahre:
"Frage: Wäre Sarkozy dann so etwas wie der französische Sarrazin? Es kommt eigentlich nie etwas Vernünftiges dabei heraus, wenn man eine Kategorie der Bevölkerung dämonisiert. Aber in Zeiten der Krise sieht man das immer öfter. Zumindest wird jetzt weniger mit dem Finger auf die EU gezeigt - gelungenes Ablenkungsmanöver!"
Andrea, Italien, 25 Jahre:
"Ironischerweise erinnert der Name von Thilo Sarrazin an die Sarazenen, damit bezeichnete man im mittelalterlichen Frankreich unerwünschte muslimische Einwanderer. Vielleicht sollte Sarrazin mal einen Stammbaum anfertigen, mithilfe der Genetik würde er seinen Vorfahren sicherlich auf die Spur kommen."
Michaela, Bulgarien, 24 Jahre:
"Viele Muslime und andere Immigrantengruppen haben sich in Deutschland sehr wohl integriert. Aber viele Deutsche sind auch antisozial. Verallgemeinerungen können trotzdem niemals die Basis für gesunde Entscheidungen sein. Definitiv ein platter Rassist!"
Emmanuel, Frankreich, 24 Jahre:
Mir scheint, Sarrazin ist politisch gesehen nicht so eine wichtige Figur wie der Holländer Geert Wilders, da er sich seit geraumer Zeit nicht mehr politisch engagiert. Seine Präsenz allerdings ist ein neues Zeichen für ein zunehmend islamophobes Europa. Nirgends wird vom Zivilisationsschock gesprochen. Anderswo gibt man sich skeptisch in Bezug auf den zunehmenden europäischen Rechtspopulismus - wie es die taz schreibt - aber wie dem auch sei, diese Stimme darf nicht ignoriert und aus der öffentlichen Debatte verdammt werden, wie es der Journalist der taz beschreibt, denn - hoffen wir es - der Populismus enthält bereits Elemente seiner eigenen Niederlage.
Roberto, Italien/ Deutschland,37 Jahre:
"Dass vor allem in Deutschland über diesen Faschisten geschrieben wird und dass seine Thesen so viel Beachtung finden zeigt, dass Deutschland und Europa nichts aus der Zeit des Faschismus gelernt haben. Sonst würde Thilo Sarrazin nicht fotografiert, interviewt und beachtet werden, sondern sowohl der allgemeinen Verachtung aller Europäer preisgegeben, als auch seiner Position enthoben und seiner gerechten Strafe zugeführt werden."
Fotos: Artikellogo ©ozgurmulazimoglu/flickr; Kopftücher ©Travel Aficionado/flickr