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Islam und Europa: eine Geschichte in 5 Akten

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kfluegge

KulturGesellschaft

Eine weit verbreitete Idee muss nicht immer die Wahrheit wiederspiegeln: Seit dem Mittelalter hält sich der Glaube, dass das Zusammentreffen von Islam und Europa ein neues Phänomen sei. Dabei werden viele Kapitel einer langen gemeinsamen Geschichte gerne vergessen. Cafebabel.com liefert in 5 Abschnitten die Zusammenfassung eines ereignisreichen Flirts.

1 - Historische Allianzen

Zwischen dem „alten Kontinent" und der muslimischen Welt existieren Jahrhunderte alte Beziehungen. Der beste Freund Harun ar-Raschids, des Kalifen von Bagdad im 9. Jahrhundert, war kein geringerer als Karl der Große, seinerseits christlicher Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, das einen Großteil Europas umfasste. Um dem europäischen Herrscher in Aachen einen prächtigen Elefanten aus Elfenbein als Geschenk zu überreichen, musste eine muslimische Gesandtschaft einen Teil Europas durchqueren. Kaiser Friedrich II., der spätere Nachfolger Karl des Großen auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches, ließ im 13. Jahrhundert auf dem von ihm angeführten 6. Kreuzzug nicht einen Tropfen Blut vergießen. Ganz im Gegenteil - nach einem Friedensvertrag mit Sultan Al-Kamil verband den mit der arabischen Sprache vertrauten Friedrich eine Freundschaft mit dem muslimischen Herrscher. Später erlaubten die sogenannten „Kapitulationen“ zwischen dem französischen König Franz I. und dem osmanischen Sultan Süleyman dem Prächtigen christlichen Kaufmännern auf muslimischem Gebiet Handel zu betreiben. Gleichzeitig stationierte der Sultan 30.000 muslimische Matrosen im Hafen von Toulon, um Frankreich vor den anderen europäischen Mächten zu beschützen.

2 - Das Osmanische Reich in Europa

11 der heutigen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union können auf eine muslimische Vergangenheit zurückblicken, in der arabische Berber, die muslimische Dynastie der Umayyaden oder türkische Osmanen eine wesentliche Rolle spielten. Zwischen einem Viertel und einem Drittel des europäischen Kontinents zählte historisch zum Osmanischen Reich, das für die anderen Mächte in Europa je nach geopolitischer Situation mal einen Gegner mal einen Verbündeten darstellte. Im 18. Jahrhundert wurden der Islam und die muslimische Zivilisation zum Forschungsobjekt europäischer Wissenschaftler und zum Ideengeber für die europäische Gesellschaft. Den Türken verdanken wir Ideen zu Justiz und Militär, den Arabern Ideen zur Moral. Die osmanische Herrschaft hat in Teilen Europas zum Zusammentreffen unterschiedlicher Religionen geführt. Im spanischen Toledo lebten die Religionen friedlich nebeneinander: Santa María la Blanca diente, so Mohamed Bechari, Vizepräsident des Conseil français du Culte Musulman, freitags als Moschee, samstags als Synagoge und sonntags als katholische Kirche. Auf dem Balkan konvertierten viele Menschen (nicht immer freiwillig) zum Islam und gründeten die muslimischen Gemeinden, die man noch heute in Bosnien und Albanien finden kann.

Ottomanische Muslime setzten in Europa auf Prinzipien der Toleranz

3 - Europas Bedarf an Gastarbeitern

Nach den zwei Weltkriegen (in denen auch niederländische Molukken, französische Muslime, Marokkaner der spanischen Armee und Eritreer auf italienischer Seite kämpften) begann die Zahl der Muslime in Europa zu steigen. Der in Europa herrschende Arbeitskräftemangel brachte viele Algerier nach Frankreich, Marokkaner nach Belgien und Türken nach Deutschland. Die sogenannten Gastarbeiter kamen oft allein nach Europa und übten dort diskret und ungehindert ihren Glauben aus. Erst in den 1970er und 1980er Jahren wurde der Islam in Europa präsenter. Moscheen sprossen geradezu aus dem Boden. Viele Menschen, darunter viele Intellektuelle, konvertierten zum Islam. Der franko-schweizerische Choreograf Maurice Béjart schloss sich der mystischen Strömung des Sufismus an. In jüngerer Vergangenheit entwickelte sich ein moderner Islam, der Strukturen und Anerkennung einforderte. Es entstanden dadurch in den einzelnen Ländern nach und nach Organisationen, die den Islam politisch gegenüber den jeweiligen Regierungen vertreten, wie beispielsweise der Zentralrat der Muslime (ZMD) in Deutschland, der Muslim Council of Britain und der Conseil français du Culte Musulman.

4 - Das muslimische Erbe in Europa

Welches europäische Kind hat sich von den orientalischen Märchen nicht inspirieren lassen?Die Präsenz des Islam in Europa beschränkt sich nicht auf ein rein architektonisches Erbe. Im 16. Jahrhundert waren Reiseberichte über den Orient Bestseller in Europa und weckten dort Neugier und Interesse an der muslimischen Welt. Zahlreiche Übersetzungen und Importe von Schriften machten aus der orientalischen Literatur ein Element der Romantik. Scheherazade und  waren populär. Im Kunstgewerbe begeisterte man sich für türkisches Design.

Durch die Lektüre arabischer Manuskripte fand Gerbert d’Aurillac, der spätere Papst Sylvester II., Gefallen an den Werken eines gewissen Aristoteles. Außerdem machte er die Errungenschaften muslimischer Wissenschaftler in Europa bekannt, z. B. aus Astronomie (einige Konstellationen tragen immer noch arabische Namen) und natürlich Algebra. Die Zahl Null war ein völlig neues Konzept in Europa, ebenso wie die Seidenraupe oder die Keramiken der andalusischen Morisken. Die spanische Provinz Andalusien (deren Name aus dem Arabischen stammt) stand fast ein Jahrtausend unter muslimischer Herrschaft. In der andalusischen Stadt Granada baute Kaiser Karl V. auf der berühmten Alhambra seinen monumentalen Palast direkt neben den des muslimischen Nasriden-Geschlechts. Beim Besuch der katholischen Kathedrale in Córdoba erinnert ein Minarett aus der Umayyaden-Zeit an ihre Vergangenheit als Moschee und lässt an die einstige orthodoxe Kirche und spätere Moschee Hagia Sophia in Istanbul denken. Und es ist auch kein Zufall, dass Fatima, die Tochter Mohammeds und Mater dolorosa bei den Schiiten, auch der Name eines katholischen Wallfahrtsorts in Portugal ist.

5 - Genüsse für Körper und Geist

Auch dieses Genussmittel des Orients hat Europa dankbar aufgenommen...Manchmal stolpert man über das Erbe des Islam, wo man es nicht erwartet. Ein Wiener Konditor, so sagt die Legende, erfand das Croissant, um das Ende der Belagerung Wiens durch die Türken zu feiern. Bevor das französische und englische Wort „assassin“ (das in anderer Schreibweise noch in weiteren Sprachen existiert) die Bedeutung „Mörder“ erlangte, handelte es sich dabei um einen „Haschisch-Raucher“ („hachachin“). Einst sollte Cannabis den Assassinen, einer durch Marco Polo bekannt gewordenen Gruppe muslimischer Soldaten, einen Vorgeschmack für das Paradies bieten.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zeigt dieser kleine Überblick, dass der Islam aus Europa kaum wegzudenken ist. Wir würden einen großen Teil Spaniens, etwa die Hälfte des Balkans und einen großen Teil europäischer Geschichte vergessen. Auch die mehr als 15 Millionen Muslime, die heute als EU-Bürger in Europa leben, sind nicht zu ignorieren. Die Kulturen Europas und der islamischen Welt haben sich gegenseitig beeinflusst und ein Ende dieses Einflusses ist nicht abzusehen. Jetzt ist die Türkei, das Zentrum des ehemaligen Osmanischen Reiches, sogar ein möglicher Beitrittskandidat für die EU.

Fotos: (cc)khowaga1/flickr ; Märchen (cc)cod_gabriel/Flickr; Tanz (cc).layla./flickr ; Haschisch (cc)Thomas Hawk/flickr

Translated from Islam et Europe : une valse à 5 temps