Inside Fraser Anderson
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Barbara Peveling'Ein Mann, eine Gitarre'. So wird Fraser Andersons purer Folk-Sound oft beschrieben. Doch es steckt deutlich mehr hinter diesem schottischen Künstler, der sein drittes Album veröffentlicht hat und damit aus zwei Jahrzehnten in der Versenkung zurückkommt. Ein Porträt zwischen Gitarrensaiten, Schottland und dem Hinterland der französischen Ariège.
Ein Mann stapft durch die Kälte, presst seinen Mantelkragen an den Hals und kommt nur langsam im Schnee voran. Beladen wie ein Maultier, die Gitarre in der Hand, betritt er ein leeres Theater. Auf der Bühne zupft er mechanisch die Saiten und singt lauthals einen traurigen Song. Dann geht der Mann mit leerem Blick in Richtung Toilette, bevor er vor einer Nachricht an einer der Wände stehen bleibt. Ein Graffiti: What are you doing?
Verdammte Legende
Die Geschichte ist nicht die von Fraser Anderson. Es ist die von Llewyn Davis. Und doch erinnert das Szenario von Inside Llewin Davis von Joel und Ethan Coen irgendwie auch an das Leben von Fraser Anderson. Vor allem die Filmmusik. Einfach, simpel, und fast automatisch. Und dann: dumm gelaufen. Umherirren in der Kälte, viel Müll und leere Säle.
Doch wenn man den schottischen Sänger trifft, sieht er eigentlich gar nicht aus wie jemand, der gerade auf dem Zahnfleisch die Wüste durchqueren musste. Er scheint ein solider Typ, der zwar herb, aber elegant in Anzug und Weste daherkommt. Sein Bart ist frisch gestutzt, das Hemd trägt er offen. Deshalb hat er also den Spitznamen hairy angel in der britischen Presse verpasst bekommen. Er bestellt ein Pint Weißbier, verlangt eine Halbe Zitrone darin, fischt sie alsbald aus dem Glas und legt sie dann vorsichtig auf den Bierdeckel. Unser Treffpunkt ist vielleicht auch ein Wink mit dem Zaunpfahl auf Andersons Hundeleben: Es ist eine Bar in einer engen Gasse in der Gegend des Centre Pompidou und nennt sich L’Imprévu - das Unvorhersehbare.
Dass sich Fraser heute wohlfühlt in seinen Wildlederschuhen liegt sicherlich auch daran, dass er etwas ganz Neues gemacht hat. Nach 20 schwierigen Musikerjahren hat der Künstler endlich einen Vertrag mit einem Plattenlabel. Vorher hat er alles selbst gemacht. Nicht sehr schnell, nicht sehr gut. Heute bringt er sein drittes Album Little Glass Box heraus, das in Teamarbeit entstanden ist. Und schon sieht alles irgendwie besser aus. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie beruhigt ich bin“, sagt er und macht eine Geste der Erleichterung.
Nur Bares ist Wahres
Anderson hatte das Album eigentlich bereits herausgebracht. „Ich habe so an die dreißig CDs nach Konzerten aus meinem Kofferraum verkauft.“ Damals war es das geringere Übel für den Künstler, immerhin hatte er was zu verkaufen. „Mein neues Album konnte ich dank einer kleinen Dorfgemeinschaft aufnehmen. Als ich dort in Mirepoix [in der Ariège, Frankreich A.d.R.] lebte, hat die Gemeinde Geld für mich gesammelt. Ich gab improvisierte Konzerte bei mir daheim. Die Leute beschlossen, mir zu helfen.“ Ein Crowdfunding der alten Schule, das es Fraser Anderson schlussendlich ermöglichte, im Languedoc sein Album aufzunehmen. Aber das Geld war vor allem dafür da, auch das Album machen zu können, von dem Fraser Anderson schon immer träumte. Ein Album, unterstützt von extrem guten Musikern. Und sein Traum zahlt sich aus.
Fraser Anderson - « Rags and Bones »
Die Platte Little Glass Box erzählt die Geschichte eines Mannes, der unfähig ist, seine Träume zu leben. Bis er eines Tages beschließt, diese aufzuschreiben und in eine Glasschachtel zu legen, um sich den Mut zu geben, diese Träume auch zu leben. Das ist mehr oder weniger das, was der Songschreiber an einem Abend beschloss. Ziemlich besoffen, wie er selber sagt. Irgendwann wagte er es dann endlich, an Danny Thompson zu schreiben - den Kontrabassisten von Nick Drake, John Martyn, Kash Bush. Er schrieb nur eine Linie: „Do you wanna work with me?“ [Willst du mit mir zusammen arbeiten?] Die Anwort am nächsten Tag war genau so kurz: „Let’s do it!“ [Auf geht's]. Fraser dreht erst durch vor Freude, dann beschließt er seinen Traum endlich wahr zu machen. Einige Monate später findet er sich im Tonstudio in London mit seinem Idol wieder. „Als er die ersten Töne spielte, musste ich erstmal heulen. Der Typ hat mit den ganz Großen gespielt. Eine verdammte Legende.“
In Mirepoix in der Klemme
Im Laufe seiner Karriere ist Fraser Anderson mit großen Namen in Kontakt gekommen. So zum Beispiel mit dem Helden der schottischen Folk Music, Douglie Mac Lean. Oder mit Chuck Berry, mit dem er nie sprach, dessen Vorgruppe er aber während einer Tournee war. Die Geschichte des gebürtigen Edinburghers stimmt mit der so vieler Folkmusiker überein: Künstler mit grauen Seelen, die oft sehr einsam wirken und nur ihre Gitarre und Stimme als Ausdrucksmittel parat haben. Frasers wahres Künstlerleben beginnt mit seinem ersten Opfer. Als er gerade die Musikakademie in Schottland abgeschlossen hatte, schlug seine Frau ihm vor, ihr Haus zu verkaufen, damit er sein erstes Album aufnehmen konnte. „Sie war wirklich von meiner Musik überzeugt. Seitdem wir geschieden sind, sieht das anders aus“, erklärt er lachend. Der Split kam aber nicht sofort. Nach der ersten Niederlage überredet sie ihren Mann zunächst, sein Glück im Ausland zu versuchen. „Wir haben eine Karte aufgeschlagen und mit geschlossenen Augen den Finger draufgelegt“, erzählt er weiter. Das Schicksal schickt sie nicht sehr weit: ins französische Bordeaux. Das Ehepaar mit zwei Kindern lässt sich schnell in einem zurückgelegenen Dorf in der Ariège nieder, genauer gesagt in Mirepoix, um dort an einem Festival teilzunehmen. Dort werden sie schlussendlich auch hängenbleiben.
„Ich will nichts Schlechtes über den Ort sagen. Immerhin habe ich sechs Jahre dort verbracht. Ich liebe die Gegend, ich liebe Carcassonne, ich liebe Toulouse. Aber ich denke, ich habe mich dort nie richtig zu Hause gefühlt.“ Die Entscheidung in Mirepoix zu bleiben hatte nicht ausschließlich mit der Musik zu tun. Die Andersons wollten ihre Kinder zweisprachig erziehen. Fraser sprach wenig Französisch und kann auch heute nur noch ein paar Brocken. Damals arbeitete er für einen englischen Maurer in der Gegend und zog sich am Abend zum Komponieren zurück. „Das Leben war hart. Es war sehr kalt im Haus, wir hatten keine Heizung. Damals war ich von der Idee besessen, die Familie ernähren zu müssen“, erklärt er. Kurz nachdem sie sich im Süden Frankreichs niederließen, bricht ihm ein Ereignis fast das Herz. An einem Frühlingstag, als er gerade von einem musikalischen Spaziergang zurückkam, sieht er von Weitem seine zwei Kinder im Garten. Sie stehen hinter einem Tisch und sind damit beschäftigt Pflaumen zu verkaufen, um die leeren Regale im Haus zu füllen. „Das ist eine schreckliche Erinnerung für einen Vater“, erklärt er und schaut dabei zur Seite. „Aber ich hoffe, sie haben etwas dabei gelernt.“
Trotzdem dachte Fraser nie daran, die Musik aufzugeben. Wie so oft bei solchen Schicksalen sind es Hartnäckigkeit und Überzeugung, die ihn aus dem Sumpf ziehen. Dabei half besonders die Idee, bei sich zu Hause Konzerte zu veranstalten: „Ich bat das Bürgermeisteramt, mir Stühle auszuleihen. Wir haben das Haus schön hergerichtet. Und es sind immer mehr und mehr Besucher gekommen. Nach einem Monat schon war es jeden Abend ausverkauft“, erzählt Fraser von seiner kleinen Renaissance. Das Publikum in der Ariège ist begeistert und fängt an, ihrem Expat unter die Arme zu greifen. Sie sind es auch, die ihm die Möglichkeit geben, endlich seine Songs aufzunehmen. Der Rest ist bekannt.
Fraser Anderson | Matthieu Amaré
Heute gebraucht Fraser seine Hände nur noch, um Musik zu machen. Er hat sich in Bristol niedergelassen und dort erfreut er sich jetzt außerdem eines Umfelds, „das sich an seiner Stelle um die Unannehmlichkeiten kümmert“. Als ich ihn bitte, auf seine 20 schwierigen Karrierejahre und seinem fehlenden Sinn für Verkaufsstrategien zurück zu kommen, lächelt er, und antwortet weise: „Meine Musik habe ich wie ein inneres Feuer erlebt, wie etwas, das brennt. Meine Stücke wurden immer vom Gefühl getrieben, einem Gefühl, das ich nicht in Worte fassen kann. Bei Verkaufsstrategien hat sich solch ein Gefühl leider nie eingestellt.“
Der Folk ist vollgestopft mit ähnlichen Künstlerschicksalen. Im Title Track seines letzten Albums hört Fraser nicht auf sich zu fragen, woher er selbst kommt. Und das ist auch gut so. Es wäre doch zu einfach, wenn das Leben Fraser Andersons das von Llewyn Davis wäre. Als ich wissen will, ob er sich mit den Protagonisten der Coen-Brüder vergleicht, blickt er mir mit dem Grinsen eines Bengels in die Augen, der weiß, dass er gleich eine Dummheit sagen wird: „Nein, niemals, ich hasse Katzen.“
Hören: Fraser Anderson - Little Glass Box (Membran/2015)
Translated from Inside Fraser Anderson