Immigration: Bayrisch-britischer Shitstorm
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Wieder ist eine Immigrations-Welle über Europa geschwappt. Nicht an den Grenzen, wie es vorhergesagt wurde, sondern in den Köpfen einiger Politiker aus London und München. Seit Jahresbeginn genießen Bulgaren und Rumänen Reisefreiheit in der Europäischen Union. Viele sagten einen Ansturm auf soziale Systeme voraus. Und was geschah? Nichts.
Wer sich bisher nach Jahresbeginn in einen Bus oder den Flieger aus Sofia oder Bukarest setzte, wollte Urlaub machen oder studierte bereits irgendwo im europäischen Ausland. Zum Jahreswechsel beklagten sich die dortigen Busunternehmer über halbleere Busse. Die Flieger aus Rumänien und Bulgarien nach London und in andere europäische Hauptstädte, waren, anders als vorhergesagt, nicht voller nach Sozialhilfe gierender Einwanderer. Es gab schlicht kaum einen Rumänen oder Bulgaren, der sich entschieden hatte, nach Ablauf der Sperrfrist der Reisefreiheit innerhalb der EU in ein anderes europäisches Land auszuwandern. Derweil hat die Zuwanderungs-Debatte in München und London ihre Tiefpunke erreicht.
Generell gilt: Wer Immigration aus Osteuropa diskreditieren möchte, darf es nicht zu genau nehmen, denn er wird mit einer anderen Realität konfrontiert. Die bayrische Christlich-Soziale Union (CSU) machte das vor: „Wer betrügt, der fliegt“. Gemeint war, dass Immigranten, die Sozialsysteme in Deutschland unrechtmäßig in Anspruch nehmen, abgeschoben werden sollen. Weiterhin gilt: Wer sich über Sozialbetrug empört, soll das eben machen. Dann darf sich dabei aber nicht auf Immigranten beschränkt werden. Jene Politikern, die sich jetzt über Sozialbetrug von Immigranten empören, schauen auf der anderen Seite bei Steuersündern der gehobenen Gehaltskategorie gerne weg. Der Eindruck entsteht, dass diejenigen Immigranten, die sowieso schon von einer geringen Sozialhilfe leben müssen, generell unter Verdacht stehen. „Im Zweifel gegen Immigranten", so hört sich das an. Inzwischen ist der Wind des bayrischen Shitstorms aber bereits in eine andere Richtung umgeschlagen. Viele Menschen fragen sich gerade im Internet, wohin der Präsident des FC Bayern Uli Hoeneß abgeschoben wird, wenn er demnächst wegen Steuerbetrugs verhaftet würde.
Fingerabdrücke von Immigranten
„Wer betrügt, der fliegt“ unterstellt, dass Immigranten in besonders hinterlistiger Weise die Sozialsysteme in Deutschland ausnutzen wollten. Elmar Brok von der Christlich-Demokratischen Union (CDU) hatte in diesem Zug angeregt, Fingerabdrücke von Migranten zu nehmen, die versuchen sich unerlaubt Leistungen zu erschleichen. So eine Methode wäre an Absurdität kaum zu übertreffen und stellt Immiganten unter Generalverdacht. Von interessanten Fakten über Migration wird hierbei abgelenkt. In Deutschland sind prozentual gar nicht mehr Menschen aus Bulgarien und Rumänien auf Sozialhilfe angewiesen, als Deutsche. Von der viel beschriebenen „Armutsmigration“ kann also nicht die Rede sein. Vielfach schließen Immigranten die Lücken, die sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt auftun. Viele Jobs werden auch erst durch die Ideen von Zuzüglern kreiert.
Auch in Großbritannien wird auf Kosten der Immigranten Politik gemacht. Der britische Premierminister David Cameron möchte Polen verbieten, Sozialhilfe in ihr Heimatland zu ihren Kindern zu schicken. Auch machte er den Vorschlag, dass Sozialleistungen für Immigranten niedriger ausfallen sollten, als für Briten. Auch hier sollte alles von der lästigen Tatsache ablenken, dass tatsächlich die europäische Migration den Briten wirtschaftlich zu Gute kommt. In Großbritannien sind Polen sogar im Durchschnitt besser ausgebildet, als Briten und tragen nicht unwesentlich zur Wirtschaftsleistung des Landes bei. Ganz abgesehen davon, dass sich die zahlreichen 2,2 Millionen Briten im EU-Ausland bestimmt nicht gerne als Bürger zweiter Klasse behandeln lassen wollen (siehe Grafik).
Zu oft werden beim Thema Immigration Dinge vermischt, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben. Das Wort „Sozialtourismus“ hat es deshalb zum Unwort des Jahres im deutschsprachigen Raum geschafft. Zurecht, denn mit subventioniertem Tourismus hat Immigration wenig zu tun. Wer in ein anderes Land in Europa zieht, hat meistens erst nach drei Monaten Anspruch auf Sozialleistungen. Tatsächlich macht es die Stimmungsmache aus München und London wenig Lust darauf, in ein Land zu ziehen, indem Immigranten stigmatisiert werden. Das wäre scheiße für alle.