Im Schlachthof von Casablanca
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Barbara BraunKreative und KünstIer aller Art finden im alten Schlachthof von Casablanca seit einigen Jahren ihr zu Hause. Aber die Zukunft dieses magischen Ortes ist mangels finanzieller Unterstützung der Stadtgemeinde ungewiss. Stirbt der Kunstszene damit der Nachwuchs aus?
Bunte Graffitis auf den Mauern des alten Schlachthofs im Stadtteil Hay Mohammedi von Casablanca spiegeln die Seele dieses Kulturraums wieder. Hinter einer der alten Stallungen sprühen Funken unter der Elektrosäge. Ein paar junge Leute machen sich an einer großen metallischen Struktur zu schaffen. Es ist die fröhliche Zirkustruppe „Colokolo", die am Dekor für ihre nächste Show arbeitet. In ihrem „Proberaum", einem mit spärlichen Mitteln eingerichteten Hangar, ruhen sich die Zirkusleute zwischen zwei Bühnenkunststücken auf alten Kinosesseln aus. Mit seinem Revoluzzer-Bart à la Zapata, erklärt uns „Snoopy" seinen Verbundenheit mit diesem Ort, der so viele Entfaltungsmöglichkeiten für ein diverses Kulturprogramm ermöglicht. „Wir erhalten viele Anfragen von tollen Künstlern, die auf der Suche nach einer Künstler-Residenzen in Marokko sind. Aber hier gleicht alles einem heruntergekommenen Campingplatz. Unter diesen Bedingungen können wir sie nicht empfangen", bedauert Abderrahim Kassou. Die riesigen Gebäude müssen erst einmal stehen bleiben. Ein Teil ist bereits verfallen und mehrere Räume mussten aus Sicherheitsgründen geschlossen werden.
"Wir kämpfen schon seit jahren, aber das ergebnis ist gleich null"
Der Schlachthof wurde 2002 offiziell stillgelegte. Zurück bleiben mehrere Hektar Gelände mit Bauwerken aus den 1920er Jahren, auf das Immobilienhaie schon lange ein Auge geworfen haben. Die haben nicht mit der Ausdauer der Künstler und Kulturtreibenden von Casablanca gerechnet, die es 2009 geschafft haben, die alten Mauern in einen Ort der urbanen Kreation und des künstlerischen Schaffens zu verwandeln. Mehrere Vereine haben sich zum Kollektiv Fabrique Culturelle des Anciens Abattoirs de Casablanca (Kulturfabrik alter Schlachthof von Casablanca, Anm. d. Redaktion) zusammengeschlossen und halten den Schlachthof mit kleinen Festivals und anderen Aktivitäten am Leben. Aber das Kollektiv tut sich immer noch schwer damit, die Anlage als fruchtbaren Boden für Kreation marokkanischer Kunst zu etablieren.
Ursprünglich ging die Initative der Kulturfabrik von der Stadtverwaltung Casablancas aus, die auch Eigentümer des Areals ist. Aber sie hat es versäumt, entsprechend in das Projekt zu investieren. Das Kollektiv „Fabrique Culturelle" ist noch nicht offiziell anerkannt, es gibt lediglich ein Abkommen zwischen der Stadt und einem seiner Mitglieder, dem Verein für Denkmalschutz Casamémoire. Letzterer spielt den Punshing-Ball zwischen Kollektiv und Stadtverwaltung bei der Organisation von Kulturevents. Vor kurzem wurde eine einmalige Jahressubvention von einer Million Dirhams (ca. 90 000 Euros) zugesprochen. „Das reicht nicht einmal um die Schulden der letzten Jahre zurückzubezahlen, geschweige denn an die Zukunft zu denken. Alles, was wir in diesem Jahr tun können, ist ein Kulturprojekt zu definieren", beklagt sich Abderrahim Kassou, einer der Koordinatoren des Kollektivs. Die Vereine sind genervt und zeigen es. „Es ist absolut Kräfte raubend. Wir kämpfen schon seit Jahren für dieses Projekt, und es geht einfach nichts vorwärts. Wir haben die Schnauze langsam voll", meint Mohamed Merhari, alias „Momo", Organisator des Talentfestivals „Tremplins" zur Förderung von jungen marokkanischen Musikern.
Schlachthof in ruinen
Das Kollektiv wünscht sich, im künstlerischen Bereich neue Massstäbe zu setzen. „Wir müssen Struktur ins Kollektiv bringen, damit die Organisation eines qualitativen Kulturprogramms ermöglicht wird. Wir erhalten viele Anfragen von tollen Künstlern, die auf der Suche nach einer Künstlerresidenzen in Marokko sind. Aber hier gleicht alles einem heruntergekommenen Campingplatz. Unter diesen Bedingungen können wir sie nicht empfangen," bedauert Abderrahim Kassou. Die riesigen Gebäude müssen erst einmal stehen bleiben. Ein Teil ist bereits verfallen, und mehrere Räume mussten aus Sicherheitsgründen geschlossen werden.
Wenn man durch das riesige Areal der „Batwar" (Schlachthof, Anm. d. Redaktion) schlendert, begegnet man jungen Skatern, hört Musikgruppen beim Proben zu, bewundert eine Gruppe moderner Tänzer. Die Mischung von Kunstformen und Publikum ist das Markenzeichen der Kulturfabrik. Das Festival „Transculturelles", das 2009 die Verwandlung des alten Schlachthofes eingeläutet hatte, ist noch in aller Munde. „Es war einfach toll. Das Event hat den Ort in Szene gesetzt und eine Symbiose der Kunstformen geschaffen. Unter den Zuschauern waren Intellektuelle, Reiche und arme Leute. Die Grundidee der Kulturfabrik Schlachthof war es, Kultur für alle zugänglich zu machen. Aber dieser frische Wind hat nur einmal geweht und ist heute so gut wie verflogen", erzählt Fatna Elbouih, Mitglied des Kollektivs. Die Zukunft dieses Ortes scheint mehr als ungewiss.
Fatna ist zum Dreh eines Kurzfilms „L'usine de films amateurs" (Die Fabrik der Amateurfilme) von Michel Gondry gekommen. Der Schlachthof ist in Aufruhr. Der bekannte französische Regisseur hat seine Geräte und Kulissen aufgestellt. Die jungen Besucher können einfach darauf losdrehen. Man kann bereits gedrehte Kurzfilme anschauen: Mord in Paris, Abdel Sader hat uns getötet, Auf der Suche nach dem Dieb, so lauten die Titel. „In den Filmen sieht man sehr viel Gewalt. Sie spiegeln den Alltag vieler dieser jungen Menschen wieder", erklärt Jean David, der Projektkoordinator und selbst Produzent in Casablanca. „Das hier ist der einzige Ort in Marokko, wo man ohne Drehgenehmigung filmen kann. Es ist ein Ort unglaublicher Freiheit", meint er voller Enthusiasmus.
keine zukunft ohne die stadt
Die Begeisterung ist ansteckend, wird allerdings von einem Ereignis gedämpft. Mangels Genehmigung seitens der Stadtgemeinde, musste ein Festival zuletzt am 20. Februar vom Schlachthof an einen anderen Ort verlegt werden. Der Grund? Die vermutliche Verbindung zur Bürgerbewegung „20. Februar", die am Beginn der Aufstände des marokkanischen arabischen Frühlings stand.
Bei Einbruch der Nacht an einem Samstag hört man den Rythmus von Trommeln, die Wände des Schlachthofes schwingen mit. Die Perkussiongruppe „Cyclody" findet ihre Inspiration in den Gnaoua- und Chaabi-Klängen. „Wir haben ganz einfach alte Fässer am Straßenrand aufgesammelt und machen damit Musik. Hier kann man sich entfalten, sich kreativ austoben. Wir wollen uns nach einer Arbeitswoche Dampf ablassen und gleichzeitig etwas Neues schaffen", erklärt Soufiane Benkhassala, ein Mitglied der Gruppe. An Talenten und Kreativität mangelt es in Marokko nicht, aber es mangelt an einer konkreten Kulturpolitik, die marokkanische Künstler unterstützt, fördert und promotet. Eine Aufgabe für die Fabrik?
Dieser artikel ist teil der SPEZIALAUSGABE « EUROMED REPORTER » IN Casablanca. cafébabel Arbeitet hier in kooperation mit iwatch, search for common ground und der stiftung anna Lindh. bald findet ihr alle artikel der «EUROMED REPORTER » auf seite eins des magazins.
Translated from L’Batwar à Casablanca : fabrique fragile d'artistes