Idomeni: Asylverfahren per Skype
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Düüüdüdü. Düüüdüdü. Düüüdüdü. Die Skype-Wartemelodie kann einen manchmal echt in den Wahnsinn treiben, wenn man dringend mit jemandem sprechen will und einfach keine Antwort erhält. Wie muss sich das erst anfühlen, wenn man im Flüchtlingscamp Idomeni sitzt und derjenige, der nicht abhebt, soll eigentlich über deinen Asylantrag entscheiden?
Idomeni. Innerhalb weniger Monate erlangte dieser griechische Ort nahe der mazedonischen Grenze traurige Berühmtheit. Heftige Regenfälle, Mangel an Lebensmitteln und Unterkünften machen ein normales Leben dort für viele Geflüchtete unmöglich. Eigentlich war Idomeni mal ein Durchgangsort, an dem viele Flüchtlinge nur wenige Tage blieben, aber mittlerweile bleiben die meisten mehrere Monate - ohne genau zu wissen, wie und wann es für sie weitergeht.
Um offiziell Asyl in der EU zu erhalten, bleiben den Geflüchteten eigentlich nur drei Möglichkeiten: einen Antrag auf Asyl oder einen auf Familienzusammenführung oder auf die Umsiedlung in ein anderes europäisches Land zu stellen. Von diesem Antrag hängt dann ab, ob man in der EU bleiben darf oder nicht. Wie stellt man eigentlich so einen Antrag beim griechigen Ministerium für Asyl und Migration? Die überraschende Antwort: Na, per Skype.
Hallo? Jemand da?
Skype, das klingt eigentlich nach einer effizienten und schnellen Lösung für das Problem der steigenden Zahl von Asylanträgen in Idomeni, oder? Man ruft den Skype-Kontakt an und schon ist die Sache gegessen - Wow, praktisch! Ungläubig, dass dies echt die einzige Methode sein soll, um einen Asylantrag stellen zu können, haben wir einmal genau nachgefragt. Und zwar bei der 20-jährigen Rania Ali, die ursprüglich aus Rakka in Syrien stammt und seit zwei Monaten in Idomeni haust.
Sie erklärt uns, dass die ganze Sache vor Ort in einem Flüchtlingscamp ganz und gar nicht praktisch ist: „Viele Menschen haben noch nicht einmal Zugang zum Netz. Manche wissen auch gar nicht, wie man Skype benutzt oder haben keine Smartphones. Deswegen ist es einfach so unfair diese Maßnahmen bei ihnen durchzuziehen." Oh, Überraschung, nicht jeder Geflüchtete hat vor seiner Abreise sein MacBook und ein paar weiße Kopfhörer in einen hippen 'Fjäll Räven'-Rucksack gepackt, um auf seinem Trip immer und überall für mögliche Skype-Calls gerüstet zu sein. Und, wow, nicht jeder Flüchtling ist ein technikaffiner Mittzwanziger, das ist ja krass!
Unglaublicher noch als diese realitätsferne Erwartungshaltung an die Geflüchteten scheint allerdings ein ganz anderes Problem, das mit technischen Praxisfragen kaum etwas zu tun hat: Es hebt nie jemand ab. Wenn man es nämlich endlich geschafft hat, sich passend zu den knappen Sprechzeiten - für Englisch, Arabisch und Farsi jeweils drei Stunden in der Woche und für andere Sprachen sogar noch seltener - die Technik zu besorgen, landet man - Düüüdüdü - in der Warteschleife. Rania versucht nun schon seit mehr als zwanzig Tagen immer wieder durchzukommen, aber keine Chance: "Es ist echt frustrierend. Man hofft, dass sie abheben werden, aber das ist bis jetzt kein einziges Mal passiert. Und ich bin nicht die einzige."
"Es ist einfach deprimierend, wenn nie jemand abhebt!"
Das Leben in der Warteschleife bringt die Menschen, die nur darauf hoffen, schnellstmöglich Asyl zu erhalten, langsam zur Verzweiflung. Denn es gibt einfach keinen einzigen Ansprechpartner des entsprechenden Ministeriums vor Ort. Also niemanden. Also wirklich keine einzige Person. "Es ist einfach deprimierend, wenn nie jemand abhebt!", beschreibt Rania die Situation in Idomeni und befürchtet, dass dies die Menschen dazu bringen wird, zu illegalen Fluchtmethoden mit der Hilfe von Schleppern zu greifen. "Man fühlt regelrecht“, erklärt uns Rania, „dass der Gedanke dahinter ist, 'Wenn ihr nach Europa wollt, dann kommt! Aber nicht legal, sondern mit Schmugglern'. Und das ist echt gefährlich. Das will man echt nicht ausprobieren. Wenn sie das System nicht ändern, werden viele Leute hier echt diese lebensgefährlichen Mittel in Anspruch nehmen.“
Face-to-Face statt Skype
Rania entschied sich deswegen zusammen mit Andrew, einem freiwilligen Helfer in Idomeni, eine Online-Petition ins Leben zu rufen, um Stimmen gegen diese Methode der Asylantragsstellung zu verändern. "Eigentlich hatte ich ziemlich schnell die Idee dazu, aber ich wusste, dass es von den Leuten selbst kommen muss!", erklärt Andrew und beschreibt, dass der ausschlaggebende Moment dann erreicht war, als er mit eigenen Augen gesehen hat, wie eine Gruppe von Leuten die Grenze zu Mazedonien einreißen wollten. "Das hat mich so traurig gemacht, dass sie gar nichts anderes machen können, um sich Zugang zu verschaffen." Bei change.org fordern sie, dass in Idomeni endlich persönliche Gespräche zur Asylanstragsstellung angeboten werden - face-to-face statt Skype. Andrew ist allerdings skeptisch, dass die griechische Regierung ihre Forderungen wirklich ernst nehmen wird: „Ich denke, dass sie wahrscheinlich Nein sagen werden oder es nur in den offiziellen Camps einrichten, weil sie wollen, dass die Leute dorthin gehen.“
Fast könnte man diese Methode per Skype-Anruf deswegen schon als bewusste Behinderung des Rechts auf Asyl bezeichnen, so unmöglich ist es, jemandem am anderen Ende zu erreichen. In jedem Fall zeugt es von absolutem Desinteresse an dem Schicksal der Betroffenen in Idomeni seitens der Behörden, die das Problem offenbar aussitzen wollen, indem sie jegliche Kommunikation verweigern. Das Verfahren ist auch deshalb so unfair, weil die dort lebenden Menschen nicht ernst genommen werden und - wieder einmal - in der Warteschleife sind. Düüüdüdü. Wann hebt endlich einmal jemand ab? Von offizieller Seite gab es bislang kein Statement dazu.
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Unterstützen könnt ihr die Petition für eine Abwicklung der Asylanträge in persönlichen Gesprächen auf change.org.
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