"Ich habe kalt!": Eine Sprachbiografie aus Südtirol
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Südtirol liegt in Italien, hat eine deutschsprachige und eine italienischsprachige Bevölkerung, aber kein zweisprachiges Schulsystem. Stefan K., 21jähriger Physikstudent aus Brixen, dem Hauptort des Südtiroler Eisacktales in Italien, erzählt im Interview von seinen Erfahrungen zwischen Mehrsprachigkeit und "Sprach-Apartheid" an der kulturellen Grenze zwischen Deutschland und dem Belpaese.
Café babel: Brixen liegt…
Stefan K.: … zwischen zwei doch recht unterschiedlichen Kulturen, die sich in Südtirol begegnen und ergänzen, denn Südtirol ist weder ohne deutsche noch ohne italienische Kultur ganz vollkommen, auch wenn den letzten Teil viele Südtiroler abstreiten würden. Ich bin in Brixen geboren und aufgewachsen, habe dort 13 Jahre 3 deutschsprachige Schulen besucht und lernte Italienisch als Zweitsprache 11 Jahre lang.
Café babel: Würdest du dich als zweisprachig bezeichnen?
Stefan K.: Das Zusammenleben in Südtirol zwischen zwei Kulturen heißt längst nicht, dass Südtiroler zweisprachig sind. Von mir aus gesehen ist das größte Problem die größtenteils noch vorhandene Sprach-Apartheid in Südtirol. Nach der Schule wollte ich anfangs Physik in Padova studieren, allerdings wurde mir nach einigen Besuchen (und einem Test) bewusst, dass mein Italienisch doch noch, aufgrund mangelnder Praxis, in den Kinderschuhen steckte. Deswegen entschied ich mich dann kurzfristig für ein Studium in Deutschland. Momentan bin ich "deutsschsprachiger italienischer Erasmus-Student aus Deutschland in Pisa". Zweisprachige Schulen für die jüngere Generation in Südtirol sind wichtig. In dieser Hinsicht werden aber kaum Fortschritte gemacht.
Café babel: „Mehrsprachigkeit 2016 – 2020“ ist ein Maßnahmenpaket des Deutschen Bildungsressorts der Autonomen Provinz Bozen zur Förderung der Mehrsprachigkeit. Das Paket bietet u. a. Begleitung der SprachlehrerInnen für die Zweitsprache Italienisch, um die Didaktik zu verbessern. Ist es deiner Erfahrung nach eine notwendige Maßnahme?
Stefan K.: Ich muss leider zugeben, dass ich bis jetzt noch nichts von diesem Projekt gehört habe, aber um meinen Mathematik-Tutor zu zitieren: „Dieser Schritt ist notwendig, aber nicht hinreichend!“
Café babel: Warum?
Stefan K.: Ich habe schon ein paar Projekte bzw. Modelle für die Bildung einer zweisprachigen Schule gesehen, die jedoch alle an den bürokratischen Hürden gescheitert sind, weil es momentan in Südtirol noch keine zweisprachigen Schulen geben darf (nur einige „Pilotprojekte“, wie z.B. den Sachsprachunterricht). Von mir aus gesehen sind diese Projekte zwar einerseits besser als gar nichts, aber erst sehr langfristig (wenn überhaupt) zielführend.
Café babel: Wie würdest du deine persönliche Sprachbiografie beschreiben?
Stefan K.: Ich persönlich spreche am liebsten meinen Südtiroler Dialekt, also ein deutschsprachiger Dialekt mit italienischen Einflüssen, da er meine Muttersprache ist und einfach viel natürlicher und spontaner für mich ist als Hochdeutsch oder Italienisch. Italienisch ist für mich eindeutig eine Fremdsprache, was ich schade finde, da ich gerne auf eine zweisprachige Schule gegangen wäre. Was das Hochdeutsch betrifft, muss ich sagen, dass ich es wohl als Zweitsprache sehen würde, da ich es zwar annähernd perfekt verstehe und spreche, aber es keine Muttersprache für mich ist.
Café babel: In welcher Sprache drückst du deine Gefühle am besten aus und warum?
Stefan K.: Wenn es um Gefühle geht, muss ich den Stolz meines Dialektes herunterschlucken und zugeben, dass ich selbige entweder in Hochdeutsch oder in Italienisch ausdrücke. Wenn ich in Deutsch meine Gefühle ausdrücke, ist das eher eine euphemistische präzise Beschreibung, hingegen in Italienisch mehr eine harmonischere verschleierte Darstellung.
Café babel: Südtiroler Deutsch ist dafür bekannt, dass es sich durch typische Interferenzen aus dem Italienischen kennzeichnet…
Stefan K.: Ich habe sehr penibel darauf geachtet, dass mir in Deutschland kein Italianismus entfleucht. Allerdings fluche ich nach wie vor wie sehr viele andere Südtiroler auch auf Italienisch. Ich sage „Ich habe kalt!“ anstatt „Mir ist kalt!“, was grammatikalisch eher mit dem italienischen „Ho freddo!“ zu vergleichen ist.
Café babel: Die Begegnung zwischen den Kulturen wird auch in den Kochtöpfen gemacht. Wie sieht sie in Südtirol aus?
Stefan K.: Knödel, Tirteln, Strauben und Kniakiachln sind typische Südtiroler Gerichte und Gebäcke. Andere typische Grenzgebäcke sind der Apfelstrudel und der Kaiserschmarrn, die in Südtirol nur einige der Regionalgerichte schlechthin sind. Auf der italienischen Seite Südtirols isst man hauptsächlich Polenta und Pasta. Eine Pizza aus dem Holzofen ist auch erhältlich, wobei dazu selbstverständlich ein südtiroler Wein gereicht wird. Also was Esskultur betrifft, gibt es in Südtirol sowohl herzhafte Hausmannskost als auch leichte mediterrane Küche.
Café babel: Und die Liebe zum Espresso?
Stefan K.: Einen anständigen Macchiato trinkt man gerne in Südtirol.