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I, gentrifier

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Sergio Marx

Berlin

von Christiane Lötsch Ich bin umgezogen. Eine Tätigkeit, die der gemeine Berliner etwa alle halbe Jahre vollzieht. Ich hatte es immerhin sechs Jahre in der chaotischen aber sehr spannenden Oranienstrasse ausgehalten. Vom Fenster meines WG-Zimmers aus konnte ich in dieser Zeit filmreife Autounfälle, wütende Demonstranten, schwankende Transvestiten am Samstagmorgen beobachten.

Meine Fahrräder wurden regelmäßig geklaut oder zu bizarren Skulpturen von Autos zusammengefahren. Einmal rannte ein panisches Pony die Strasse entlang, das erflogreich aus dem Streichelzoo weiter hinten in der Adalbertstrasse ausgerissen war. Es fing mit der indischen Restaurantkette AMRIT an, dann eröffnete ein Ayurveda-Restaurant, der Antifa-Treffpunkt wandelte sich zum Internetcenter, die Designer-Klamottenläden wurden zahlreicher und das von der Schließung bedroht. Schließlich, an einem Dienstagmorgen, bog ein Touristenbus um die Ecke, dessen Insassen mir fröhlich zuwinkten. Ich beschloss, aus dieser gentrifizierten Strasse wegzuziehen. Sollten doch die zugezogenen Studenten und 5-Tages-Touristen aus ganz Europa in die schicken Bars gehen und dann vor die Hauseingänge kotzen. Wir würden auf ins neue, gelobte, heilige Land ziehen: Neukölln, besser, Kreuzkölln. Wo die Bars noch unentdeckt, die türkischen Familien zahlreich, die erste U-Bahnstation 900 Meter entfernt, die Häuser 100 Jahre alt (und nicht einmal saniert) sind.

SO36

Die ausgesuchte Wohnung mit Blick auf den Kanal bekamen wir sofort, zusammen mit der ungläubigen Frage des Vermieters "Und Sie haben wirklich beide einen Job?" Schon beim Umzug wurde klar, dass wir nicht wie die anderen Hausbewohner waren. Unsere antiken (von Oma und Opa zusammengeklaubten) Holzmöbel, das Klavier und die Kisten voller Bücher erweckten sofort den falschen Eindruck bei unseren zukünftigen Nachbarn. Abschätzige Gesten für unsere Umzugshelfer und nachbohrende Fragen an uns. Nein, wir waren nicht aus Süddeutschland zugezogen, nein ursprünglich sogar aus Berlin und stimmt, wir haben Jobs, aber nur befristete Verträge. Nachdem das also geklärt war, wurden wir der Haus-Initiative gegen den Vermieter vorgestellt, der ganz klar das Potential der Gegend erkannt hatte. Die alten Mieter sollten raus und neue, zahlungskräftige Mieter rein. Wir würden schon hundert Euro mehr Miete bezahlen, wie sollte es erst für die anderen Wohnungen werden? Die Sorgen der Mieter sind durchaus berechtigt. Aus dem Junkie-Park vor dem Haus ist eine riesige Spielanlage geworden, viele Familien ziehen in die Gegend, die Nähe zum Kanal treibt die Mieten hoch und Läden für teure Kinderklamotten und bizarre "Kunsträume" eröffnen. Das Dilemma eines jeden Avantgardisten: Macht man ein Atelier oder einen alternativen Laden auf, zieht man mehr Studenten, Künstler und schließlich das hohe Mieten zahlende Bürgertum an. Die ursprünglichen Bewohner ziehen weiter, die Gegend ist "verbrannt". Ganz so schnell wird es in meiner Strasse nicht gehen, denn nur gute hundert Meter weiter südlich sind die Strassen zwei Wochen nach dem Wintereinbruch noch nicht gestreut und mehrere Sofas stehen seit letztem Jahr auf der Strasse. Als aber das kleine, schmuddelige Café mit dem tollen Kaffee letzte Woche zumachte, wurde uns doch mulmig zumute. Der Kommentar des bärtigen und meist neben der Spur wirkenden Besitzers: "Ich sag' nur: GENTRIFICATION".

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