Homophobie, Hooligans, Nationalismus: serbische Jugend auf der Couch
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Katha KlossIn einer Stadt, in der sich mehr als zwei Drittel der Studenten nach ihrem Abschluss wünschen ins Ausland zu gehen, können die Worthülsen inkompetenter und korrumpierter Politiker schnell in allgemeine Unzufriedenheit umschlagen.
Das ist Belgrad, Hauptstadt eines Volkes, dessen Herz unwiderruflich zwischen Russland und EU gespalten ist und wo die Gewalt Stadien, Straßen und die Vorstellungswelt der Intellektuellen in ihren Bann zieht. Die Politik, anstatt vorzubeugen, fährt eine Schiene der harten Hand, die zunehmend in der Öffentlichkeit widerhallt.
« Ich kann es kaum abwarten mit der Uni fertig zu sein, um endlich von hier weggehen zu können“, vertraut mir Nevena, eine Archäologie-Studentin in einem Café in Belgrad an. „Es ist einfach unmöglich hier einen Job zu finden, also bleibt uns nur noch unsere Koffer zu packen.“ Aus den Palästen der Politik ist es indes still. „Wir haben eine unfähige politische Klasse, die sich nicht um die Zukunft des Landes schert“, erklärt mir Senka, eine Journalismusstudentin. „Die haben alles verstanden: Die Politik ist hier nur ein wahlloser Slogan, der für Geld und Durst nach Anerkennung steht.“ Ich bin gerade erst in Belgrad, einer Stadt, die trotz ihrer weiterhin klaffenden Wunden, frisch und lebendig wirkt, gelandet. Junge Leute, die sich nachts austoben wollen, kommen selbst aus Slowenien, um sich hier mit Drogen vollzupumpen. Trotzdem fehlt es nicht an unzufriedenen und enttäuschten jungen Männern, die, wenn die Politik mal wieder versagt, ihrer Wut in den Stadien Luft machen.
Wenn die Politik Fußball spielt
„Hier vermischt sich Fußball mit Nationalstolz, und letzterer ist wiederum nur schwer von Religion abzugrenzen“, erklärt mir Aca, Journalist bei der Tageszeitung Blic. „Und am Ende kommt doch wieder alles auf die Politik zurück.“ Das scheint zu stimmen. Ich entdecke genau das, als ich eine Runde im Stadion Roter Stern, eins der beiden Belgrader Fußballteams neben dem FK Partizan Belgrad, drehe. Der junge Fußballfan Uroš Mišić, der für die Verbrennungen, die er einem Polizisten während der Begegnung Roter Stern-Hadjuk mit einer Fackel zufügte, vom Gericht in erster Instanz zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde, ist seit 2007 so etwas wie ein Held des Widerstands gegen die Polizeieinsatzkräfte. „Indem man die Polizei angreift“, erklärt mir Aca, „greift man gleichzeitig auch sein Land an, Symbol der Unterdrückung, der Verfolgung der Fans“. Die Ultras des Roten Sterns seien somit auch der Funke gewesen, der die Auseinandersetzungen in Genua während der Begegnung Italien-Serbien vom 12. Oktober 2010 entflammt habe. Und auch in diesem Fall befinde sich die tatsächliche Motivation nicht im Glauben in den Fußballsport, sondern in die Politik - und zwar jenseits der albanischen Flagge, die man in Brand steckte.
„Der Präsident der serbischen Fußballliga, Tomislav Karadzic, ist der tatsächliche Grund für diese Gewaltwellen“, meint Marko, friedlicher Fußballfan, den wir zufällig an einem Kiosk am Platz der Republik mitten im Belgrader Stadtzentrum treffen. Er trägt ein T-Shirt auf dem der Präsident Karadzic hinter Gittern abgebildet ist. „Er ist korrupt“, fügt er hinzu, „er muss gehen! Vorher war er Präsident beim FK Partizan, doch seit er Präsident der Fußballliga ist, kauft er Spiele und der Partizan liegt immer vorne, Gewinne sind ihm quasi sicher.“ Und so könnte man dann auch die Gewaltreaktionen der Fans des Roten Sterns gegen ihr Nationalteam erklären.
Als ich versuche das Thema weiter auszudehnen, merke ich, dass ich bei einem Tabu angelangt bin: Keiner der Fans des serbischen Clubs will mir mehr Auskunft geben. Marko Nikolovski, der Sprecher des Teams, verschiebt andauernd unseren Termin und verschwindet schlussendlich gänzlich von der Bildfläche. Es hat mich einen kompletten Nachmittag gekostet, in der Bar des Stadions auf ihn zu warten. Ich trinke mehr Bier als vorgesehen und begleiche schlussendlich die Rechnung.
Nationalistische Gruppen: Alternative zu Parteien
In Serbien sind es nationalistische Splittergruppen, deren Ideologien selbst den fanatischsten Fußballfans eine Grundlage und die scheinbare Alternative zu einer korrumpierten Politik bieten. Radojko Ljubicic, Vorsitzender von 1389, einer 2004 gegründeten nationalistischen Organisation, deren Name auf der mythischen Schlacht zwischen Serben und Ottomanen im gleichen Jahr beruht, macht kein Geheimnis aus der Strategie der Gruppe. „Der Unterschied zwischen uns und den politischen Parteien“, erzählt er in einer Bar im Stadtzentrum von Belgrad, „ist, dass wir unser Programm in den Vordergrund stellen. Die Parteien machen nur Versprechen, die sie anschließend nicht halten. Sie schwingen zunächst nationalistische Reden im Namen des Wohlbefindens der Nation und anschließend nehmen sie die Gelder aus den Vereinigten Staaten und aus Europa und wechseln ihre Stoßrichtung.“ Für die Nationalisten ist der EU-Beitritt ein absolutes Übel. „Niemand hat hier jemals die Europäische Verfassung [Vertrag von Lissabon, A.d.R.] gelesen“, sagt er. „Wir aber schon. Der EU beizutreten bedeutet, den Nordatlantikvertrag zu akzeptieren. In anderen Worten, wenn einer der 27 Mitgliedstaaten sich gegen Russland verteidigen muss, dann müssen wir helfend zur Seite stehen. Das ist für uns inakzeptabel, ebenso wie der Fakt, dass wir unseren Kosovo opfern mussten.“
Als ich Radojko Ljubicic um Erklärungen bezüglich der Gewaltausschreitungen zur Belgrader Gay Pride vom letzten Oktober befrage, antwortet er: „Wir sind nicht gewalttätig. Es stimmt, wir sind gegen die Gay Pride, denn die orthodoxe Kirche sagt, Homosexualität sei unrecht. Aber die Contra-Demo, die wir beispielsweise im letzten Jahr organisiert haben, ist friedlich abgelaufen. Es war eine so genannte „Holy Parade“, die an der Kathedrale begann und anschließend einmal die Stadt und wieder zurück durchquerte.“ Laut Radojko habe aber die Regierung wohl ein Interesse daran, diese Aufmärsche mit einem gewissen Gewaltpotential aufzuladen, da sie eine Opposition darstellen, die allgemein Konsens hervorruft. „Sie haben einer anderen Organisation mit dem gleichen Namen wie der unseren erlaubt, sich offiziell zu registrieren; doch diese Organisation ist gewalttätig, extremistisch eingestellt und hat kein Programm vorzuweisen. Das ist verfassungswidrig“, so Radojko. „Und dann haben sie noch die so genannte 'Präventivverhaftung' aus dem Ärmel gezaubert. So sieht also die westliche Demokratie aus? Ich wurde noch vor der Demo festgenommen, um eventuelle Unruhen zu vermeiden. An diesem Tag ist die Polizei ohne ersichtliches Motiv eingeschritten, und wenn es Schlägereien gegeben hat, dann nur, weil die Jungs spontan auf die Einsatzkräfte losgegangen sind.“
Schlussendlich ist die Gewalt unter der serbischen Jugend weit verbreitet, auch außerhalb der nationalistischen Gruppen. “Für mich“, so Radojko, « passen zwei Männer oder zwei Frauen zusammen einfach nicht ins Bild und 90% der Menschen hier in Serbien teilen meine Ansicht. Denn die Homosexualität widerspricht unser Tradition und dem Christentum. Die jungen Leute sind mit dem korrumpierten, aus London und Washington vererbten System, in dem sich alles nur um die Wirtschaft dreht, nicht zufrieden. Die meisten finden keinen Job, obwohl sie ihr Studium längst abgeschlossen haben, natürlich sind sie unzufrieden, wenn sie sehen, dass die Politiker nicht einen Finger für sie krümmen. Sie sehen nur die Ungerechtigkeit hinter der Korruption, und nach zwei oder drei Bier werden diese Leute dann einfach aggressiv.“
Am selben Abend bekomme ich Radojkos Worte in einer 'kafana' (Taverne) im Stadtzentrum am eigenen Leib zu spüren. Hier in Belgrad feiert man im Januar das orthodoxe Neujahr und spät in der Nacht fließt das Bier in Strömen. Einige Jungs winken mich herüber, um mit mir anzustoßen. Als sie entdecken, dass ich Italiener bin, wollen sie mich überzeugen ein Video zu drehen, in dem ich auf Deutsch wiederholen soll: „Ich liebe den Führer, ich liebe Hitler, ich liebe das Reich.“ Radojko hatte mich gewarnt: „Wir sind nicht gewalttätig. Alle wissen, dass die wirklich gewaltgeladenen Ideologien aus dem Westen kommen. Die Faschisten, die Neonazis, die Anarchisten kommen auf jeden Fall nicht aus China und Russland.“ Ich bekomme ich es mit der Angst zu tun. Und Aca befördert mich umgehend auf die Straße.
Dieser Artikel ist Teil unseres Balkan-Reportageprojekts 2010-2011 Orient Express Reporter!
Illustrationen: Homepage© Mila Petkovic; Radojko ©Aca Todorovic; Video: (cc)YouTube
Translated from Serbian psycho: giovani senza futuro tra razzismo, omofobia e violenza