Ho Che Anderson: 'Am Anfang zeichnete ich Hard-Comics'
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jeannette correl-giulianoDer 38-jährige Graphic Novel-Künstler und Autor des Martin Luther King-Comics King erinnert sich an seine Kindheit und tut sich schwer mit Erfolg.
Ich komme etwas zu spät, aber als ich in der Kunstgalerie Mirada ankomme, wartet mein Gast geduldig. Ho Che Anderson ist ein kanadischer Comiczeichner, der mit seiner Graphic Novel King über das Leben des afroamerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King zu Weltruhm gelangte. Er ist groß, schwarz, trägt eine dunkle Brille und sieht aus wie ein Hollywoodstar. Er ist zum ersten Mal in Italien, als Gast des Comic-Festivals Komikazen. Wir gehen zur Bar und ich lade ihn auf ein Bier ein.
Science-Fiction-Kindheit
Anderson wurde 1969 in London geboren, als er 5 Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern jedoch nach Toronto. "Meine Familie hat eine Geschichte wie viele. Von England nach Kanada auf der Suche nach Arbeit." Schon als Kind zeichnet er viel, besucht aber keine Kunstschule: "Die gefallen mir nicht, oder besser, das ist nichts für mich." Und er fügt hinzu: "Damit will ich nicht abwerten, was eine Kunstschule lehren kann, aber allem voran braucht man Motivation und den Willen, allein zu lernen." Schon als Junge vertieft er sich in Science-Fiction-Comics, die die alternative Szene der Achtziger in Kanada überschwemmen. Zu seinen Lieblings-Comics gehören American Flagg! von Howard Chaykin und Love & Rockets der Brüder (Los Bros) Hernandez. Was den jungen Anderson aber richtig ins Träumen bringt, ist Ronin von Frank Miller, der heute vor allem für die Filmarrangements seiner Comics Sin City und 300 bekannt ist: "So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Und in dem Augenblick wusste ich – das ist mein Beruf."
Ein Brief, der alles änderte
Noch als Minderjähriger beginnt Anderson bei verschiedenen Verlagen anzuklopfen. Es gibt viele Ablehnungen, aber auch die ersten kleinen Aufträge für den Verlag Vortex Comic in Toronto, der in der kanadischen Alternativszene zu dieser Zeit sehr aktiv ist. Und dann sollte ein völlig unerwarteter Brief alles ändern: "Ich bekam ein Schreiben von Eros Comix, die Mitarbeiter suchten. Ich weiß nicht, warum die gerade mir schrieben. Auf jeden Fall roch das nach einer Chance und ich stürzte mich kopfüber ins Abenteuer." In Wirklichkeit handelte es sich um eine neue Initiative der Fantagraphics aus Seattle, die ein absoluter Bezugspunkt für Underground-Comics war. Mit dem Hard-Comic I Want to be Your Dog, der sich an einem berühmten Song der Gruppe Iggy Pop & The Stooges inspirierte, debütiert Anderson im Comic-Geschäft.
Anderson zeigt sich gesprächig, ist locker und fühlt sich anscheinend wohl. Unser Bier kommt. Wir stoßen an und setzen unser Gespräch da fort, wo wir es unterbrochen hatten. Er war in die Welt der Comics vorgedrungen, ein Ambiente mit vielen Weißen und kaum Schwarzen. Dieses Detail sollte jedoch schon bald eine positive Wende herbeiführen.
King, der Frauenheld mit überentwickeltem Ego
Fantagraphics suchte einen Autor für die Biografie von Martin Luther King. Anderson wird ausgewählt, weil er der einzige farbige Comic-Zeichner ist. Er weiß, dass er nicht der qualifizierteste Anwärter ist. Von dem Bürgerrechtler wei er nicht allzu viel. Aber er nimmt den Auftrag an. Entweder ist dieser kanadische Autor zu bescheiden oder er zieht es vor, seine Geschichte ohne viel Firlefanz zu erzählen. Dies gilt auch für seinen 'King', den Frauenheld mit überentwickeltem Ego und die verblasste Kopie der offiziellen Ikonografie, die ihn als charismatischen Leader ohne jeden Makel will. Bis zur Vollendung dieses Werks in drei Bänden vergingen 10 Jahre. "Anfangs hatte ich mit großem Enthusiasmus zugesagt, aber schon bald fühlte ich mich von dem Auftrag erdrückt." Die in den ersten Jahren seiner Karriere permanente Geldnot zwingt ihn, sich auch anderen Projekten zu widmen. Die Frustration nimmt überhand. Anderson durchlebt eine Krise und braucht für den zweiten Band von King sieben Jahre. Das Endergebnis ist auf jeden Fall beachtlich. Ein Erfolg bei der Kritik ebenso wie beim Publikum, in den USA und in Europa, zwei Märkten, deren Geschmack er als ziemlich ähnlich einschätzt. "Ich warte noch auf die negativen Reaktionen, die früher oder später wohl kommen müssen", scherzt er.
Die King-Biografie vereint Fiction mit sorgfältiger Recherche. Der schwarze Bürgerrechtler wird in erster Linie als Mensch gesehen. Ein Mensch, der zwischen öffentlichem und Privatleben gespalten ist. Die Eigenschaften werden in einem Stil beschrieben, der sich an dem Film Reds von Warren Beatty inspiriert. Den zahlreichen Zeugen entlockt Anderson Aussagen, die "zu 99 Prozent wahr sind, weil sie von Personen erzählt wurden, die in dieser Zeit gelebt haben". Auf der Grundlage dieser Informationen zeichnet er ein King-Porträt in seiner ganzen Komplexität, mit all seinen Tugenden, seiner Leidenschaft für die Frauen und seiner Macht. Ein Portrait, das unweigerlich auch die im Jahr 2006 verstorbene Ehefrau des Bürgerrechtlers verärgerte.
Ein Leben in Comics von Ho Che Anderson
Anderson und sein "heißes Debüt"
"Ich vermute, meine Eltern wussten, dass ich Hard-Comics zeichnete, wenn ich auch denke, dass sie sie niemals gelesen haben."
Anderson über Maus von Spiegelman
"Ich habe nie verstanden, warum die beiden Bücher als ähnlich bezeichnet werden. Das ist absurd, sie sind absolut verschieden."
Andersons Tipps für zukünftige Comiczeichner
Anderson und sein Beruf
"Wenn du Comic-Zeichner werden willst, weil du viel Geld, schöne Frauen und Ruhm erwartest, ist das mit Sicherheit die falsche Motivation. Du musst hingegen so viel Leidenschaft haben, dass du mit dem Zeichnen einfach nicht aufhören kannst."
Anderson und die Zukunft
Derzeit arbeitet er an dem Projekt Godhead: In nicht weit entfernter Zukunft baut ein multinationaler Konzern eine Maschine, um direkt mit Gott zu kommunizieren. Der Vatikan, dem das gar nicht gefällt, heuert Söldner an, die das teuflische Werk zerstören sollen.
Foto Homepage: Anderson auf dem Komikazen-Festival (Foto: Emanuele Grifoni). Intext (Foto: Emanuele Grifoni); Slideshow (Ho Che Anderson)
Translated from Ho Che Anderson: «Disegnavo fumetti hard»