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Hillsong Church: Willkommen in der Hipster-Kirche

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Die Pfarrer sind tätowiert, die Predigten kommen per App direkt auf's Smartphone und die Gläubigen sind vor allem Follower. Die Hillsong Church ist durch ihre Musik zu einem globalen aber auch kontroversen Phänomen geworden. In Palermo treffen wir den ehemaligen Punk-Rocker Marco Gerarci, der neuerdings über Jesus singt.

„Es ist wie auf ein Konzert zu gehen, nur noch tiefer, mit mehr Gefühl“ bestätigt Aldo, ein 23-jähriger Gläubiger. Die Hillsong Church wurde 1983 mit dem einfachen Ziel, Musik und Religion zu verschmelzen, gegründet. Von Anfang an ist die Kirche auch eine Plattenfirma. Die Gründer Brian und Bobbie Houston nennen sich mittlerweile „Senior Pastors“. Heute ist die Hillsong eine der bekanntesten Pfingstkirchen in Europa und versucht, dem Rückgang der Gläubigen in unserem Jahrtausend mit Rockmusik zu begegnen. Laut Statistik wächst seit 2011 keine Religion so stark wie der Säkularismus. Die Hillsong Church kippt den Trend. Hinter ihren großen Events, auf denen tausende Menschen zusammenkommen, steht - Überraschung! - gerade die junge Generation.

Die neue religiöse Strömung ist auch in Italien angekommen und Marco Geraci hat ihr Potenzial scheinbar verstanden. Der Musiker ist auf Sizilien geboren und lebt jetzt in London. Die Hillsong Church hat sein Leben verändert. Sein Weg zum Erfolg ist eher ungewöhnlich: mit 25 wechselt er aus der Hardcore-Punk-Underground-Szene in die evangelische Gemeinde. „Ich habe in Palermo Schlagzeug gespielt, aber das war nicht genug. Die Pfingstkirche ist modern und sie zieht junge Menschen an, weil sie dynamisch und kollektiv ist. An den Veranstaltungen in Europa nehmen jedes Mal 40 000 Menschen teil.“

Vom Hardcore-Punk zur Kirchenmusik

„In seinem Wesen ist der Underground eine Stimme, die klare Worte findet, die gegen die Ungerechtigkeiten des Alltags anschreit, die denen ins Ohr flüstert, die nicht mehr weitermachen können aber dazu aufgemuntert werden, noch einen Tag zu leben. Es ist eine eizige Stimme, die viele repräsentiert“, betet Marco Geraci herunter, wenn er an seine musikalischen Wurzeln zuhause in Italien denkt. Er war Schlagzeuger und Shouter in einer Band, die er zusammen mit seinem Bruder Giuseppe und anderen Jugendlichen gegründet hatte, um in den heißen Nächten einer süditalienischen Stadt zu experimentieren.

Die Band nannte sich No Way Out. In Wirklichkeit hat Marco aber den Ausweg aus dem langweiligen Provinzleben in der Religion gefunden. Eher eine musikalische als eine spirituelle Wandlung. „Egal was dein musikalischer Background ist, du bleibst immer ein Musikler. Durch United und die Hillsong Church habe ich Jesus gefunden. Und als ich das, was die Musik ausdrückte, auch auf mein Leben anwandte, hat sich wirklich alles geändert. Und so wie mich kenne ich dutzende junger Leute in Europa, die das gleiche gemacht haben und jetzt ein Teil dieser großen Familie sind.“

„Musik öffnet den Dialog“

Heute ist Marco 34 Jahre alt und einer der Verantwortlichen für den Londoner Sitz der Hillsong Church. Er organisiert Motivationsworkshops und bereitet andere junge Leader in Europa darauf vor, „das Wort zu verbreiten“. Aber vor allem organisiert er Konzerte, auf denen nur über Jesus gesungen wird.

„Über die Band Hillsong United habe ich mich dieser Kirche angenähert“, erklärt der Musiker. „Sie hatten eine besondere Botschaft, es waren nicht die klassischen Texte über Gott, sondern ein Dialog zwischen Personen mit positiver und spiritueller Energie, die sich über die Musik ausdrücken lässt. Das war es, was mich überzeugt hat.“ Es handelt sich um moderne christliche Musik, die mit Rock, Hip Hop und Gospel über den Glauben spricht und sich nach Nordamerika auch in den europäischen Hauptstädten ausbreitet. Gegründet wurde die Hillsong Church in Australien. „Es wird viel experimentiert“, erzählt Marco, „aber das höchste Ziel ist es, den Glauben zu verbreiten. Mit einer Gitarre und einem Mikro wird einfach jede Botschaft unterhaltsamer. Nach dem Konzert geht man mit einem neuen Gedanken nach Hause. Einige Titel der berühmtesten Hillsong-Lieder erklären unseren Stil: „Am I to believe“, „Church on Fire“, „Father of Creation“, „Hope of the World“. Es sind Freudenschreie, Bitten um Hoffnung, manchmal lustige Anekdoten zum Glauben. Es ist eine neue Art des Betens, die mit der Gesellschaft im Jahr 2017 Schritt hält.“

Marketing-Genies

Wer jetzt an langweilige Kirchenlieder denkt, der täuscht sich. Die jungen Menschen haben mit Weihrauch recht wenig am Hut, die Hillsong Church hat einen Nerv getroffen und ihre Anhänger warten in langen Schlangen vor Theatern, Stadien und Sporthallen. Oft sind es die Städte selbst, die der Pfingstkirche ihre Säle zur Verfügung stellen. Die Plakate sind gut designed und für jedes Konzert gibt es eine virale Werbekampagne in den sozialen Netzwerken.

Die Atmosphäre auf einem Konzert ist wie die eines beliebigen Hipster-Events: Lichtinstallationen, Bühne mit theatralischen Effekten und Projektionen mit den Schlüsselwörtern oder Hashtags des Moments. Die meisten Teilnehmer sind junge Menschen unter 30. Und sie entfesseln sich an diesen Abenden. „Wir kommen wegen der Energie zum Konzert. Danach bleiben wir für die Predigt am Ende. Die Hillsong Church hat uns geholfen, wieder zum Glauben zu finden. Wir hatten uns weit entfernt, weil er uns nicht mehr ausfüllte. Aber so macht es wirklich Spaß!“ erzählen Joe und Laura, zwei Anhänger der Hillsong Church in London.

„Gott sei mit euch, mit euch allen“, jubelt der Star des Konzerts immer wieder - oft sind auf der Bühne auch Berühmtheiten zu Gast. Zum Beispiel Justin Bieber, der auf einer Hillsong-Bühne in Australien aufgetreten ist. Auch die Nummer Eins der Hillsong Church New York, Carl Lentz, gibt zu, dass der Erfolg ganz davon abhängt, „cool zu sein, die Trends schnell zu kapieren und mittenrein die Religion zu setzen“. Als Leader hat er allein 150.000 Follower auf Twitter und 482.000 auf Instagram. Die Hillsong Church zieht so die verschiedensten sozialen Klassen an, vom Manager bis zum jungen Freelancer, und erschafft eine Gemeinschaft mit einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl. Es ist kein Zufall, dass Warner Bros. sich vor ein paar Jahren für das Thema interessierte und daraus einen Dokumentarfilm gemacht hat, den HillsongMovie.

Die Zahlen sprechen für sich: 100.000 Teilnehmer jede Woche, 10 Millionen Fans auf Facebook, 16 Millionen verkaufte Alben und in 60 Sprachen übersetzte Lieder. Auch wenn sie mit der hauseigenen Plattenfirma Alben auf dem ganzen Planeten verkauft, ist die Hillsong ein Non-Profit geblieben. Für die meisten Events muss man keinen Eintritt zahlen, es gibt nur eine freiwillige Spende am Ende.

Konservative Botschaften hinterm Hipster-Vorhang

Das Image einer „coolen Kirche”, bei der sich alles um Musik dreht, hat es Hillsong ermöglicht, ein internationales religiöses Unternehmen zu werden und die größtmögliche Zahl an Menschen anzuziehen. Doch hinter dem Schleier der Rockmusik finden sich bedenkliche Einstellungen: Die Hillsong Church ist offen gegen Homosexualität und Abtreibungen. Der letzte Anführer der Pfingstgemeinde, der sich outete, wurde rausgeschmissen. Schließlich, so Carl Lentz, könne „eine homosexuelle Person kein Führer für ihn oder sie selbst sein.“

Auch an die Gleichberechtigung der Geschlechter glaubt die „coole” Kirche nicht. Ester Houston, brasilianisches Model und Ehefrau von einem von Hillsongs einflussreichsten Pastoren, Joel Houston, erklärte öffentlich: „Ich bin keine Feministin. Ich denke nicht, dass Männer und Frauen sich auf einer Stufe befinden können.“ Gleichberechtigung – auf der Agenda der Hipster-Kirche gehört sie nicht unbedingt zu den Top-Prioritäten.

Abgesehen davon gibt es sehr ernste Anschuldigungen gegen die Kirche. Anfang der 2000er wurde beispielsweise der Vater des Hillsong-Gründers Brian Houston, Pastor Frank Houston, beschuldigt, in den 1960ern Minderjährige vergewaltigt zu haben. Der Gerichtsprozess wurde wegen Verjährung eingestellt und Houston kam unbehelligt davon. Brian Houston rechtfertigte die Taten seines Vaters mit der Behauptung, dieser sei eben „ein versteckter Schwuler“ gewesen, der „viel gelitten“ habe. Während des Prozesses übte Frank Houston seine Tätigkeit als Pastor weiter aus, dank des in bestimmten traditionell-katholischen Kreisen geltenden Schweigekodexes. Mit eisigem Schweigen begegnete die Hillsong Church auch den Journalisten des Spotlight-Teams des Boston Globe, welches zahlreiche Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufdeckte. Die Hillsong Church mag sich selbst als cool und alternativ präsentieren – doch einige behaupten, die Kirche sei so bigott und brutal wie eh und je. 

Nach London pilgern

Jedes Jahr finden sich tausende Gläubige zur Generalkonferenz zusammen. Auf der offiziellen Seite liest man: „Über DIE Kirche von Jesus Christus reden. Seit den Anfängen vor 30 Jahren ging es bei diesem Treffen immer um die Kirche, die an Größe, Innovation und vor allem göttlichem Einfluss wächst!“ Dieses Jahr findet die europäische Konferenz vom 2. bis zum 4. August in London statt. Die Gläubigen werden die Leader der Hillsong aus aller Welt treffen und sprechen können. Man kann auch als Freiwilliger bei der Logistik des Events mithelfen. Natürlich gibt es jeden Abend Konzerte.

Der göttliche Einfluss hat allerdings seinen Preis: 145 Pfund pro Konferenz. Man muss sich vorher online registrieren und bezahlen. „Aber es lohnt sich“, kommentiert Marco Geraci, „es ist ein großes Fest, auf dem wir uns persönlich treffen und wo uns bewusst wird, wie groß diese Community ist. Es ist für jeden was dabei: es ist sogar ein Treffen speziell für Kinder vorgesehen, das heißt dann „Kidsong“. Wir fangen 9 Uhr morgens mit zwei Gottesdiensten an, essen zusammen Mittag und abends steht beim Night Meeting die Musik im Mittelpunkt.“

Die Konferenz zeigt, dass es für die Hillsong Church keine Rituale oder besonderen Symbole gibt, die Orte wechseln ständig. Die Termine für die Masse wechseln sich mit intimen Momenten ab, die sich auf den Dialog konzentrieren und manchmal einfach in Wohnzimmern stattfinden. Es sind Leute, die sich auf der jährlichen Konferenz treffen und in Kontakt bleiben, sich in kleineren Gruppen wiedertreffen oder abends zusammen ausgehen.

Karrieresprungbrett Kirche

„Es kommt mir vor, als wären Jahrhunderte vergangen, seit ich zur Underground-Szene gehörte. Jetzt bin ich voll in die Hillsong Church eingetaucht. Ich würde nie mehr zurückgehen, vor allem, weil ich so viel Menschlichkeit gefunden habe.“ Sicher gibt es unter den Gläubigen dieser Hipsterkirche viel Solidarität, die Beteiligung und der Dialog sind fundamental, wie die „Pastoren“ bei jedem Treffen betonen. Aber die Hillsong ist auch ein Weg, sich einen Namen zu machen, eine CD in die meisten wichtigen Sprachen übersetzen zu lassen, über die Bühnen Europas zu touren und immer ein begeistertes Publikum zu finden. „Und ein Publikum aus Gläubigern enttäuscht dich nie“, sagt Marco, „es ist bereit, die Botschaft von Gott zu hören, nicht nur die des Musikers.“ Die beliebte Pfingstkirche kann also auch ein Karrieresprungbrett sein, oder wie Marco sagt: „In Palermo war ich niemand, jetzt habe ich nicht nur meinen Glauben, sondern auch meine Identität gefunden.“ Für Marco mag das der Fall sein, aber weniger für all jene, die Toleranz und Gleichberechtigung suchen und mit ihrer sexuellen Orientierung anerkannt werden wollen.

Translated from Hillsong Church: tra il paradiso e l'inferno