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Heute der Euro, morgen Europa?

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Default profile picture ian bruff

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Default profile picture jakob horstmann

Seit zwei Jahren zahlen die Europäer von Helsinki bis Athen mit dem Euro. Hat sich dadurch eine gemeinsame Identität gebildet?

Eigentlich verhält es sich ziemlich einfach: Der Euro ist deshalb ein entscheidender Teil vom Europa, das uns gefällt, weil er die Idee und die Realität einer europäischen Identität voranbringt. Wie könnte man besser zeigen, dass eine europäische Gesellschaft geschaffen werden kann, als durch eine einzige Währung, die keine nationalen Grenzen kennt und überall in der Euro-Zone denselben Wert hat? Wir werden das Europa, das wir wollen, nie erreichen, wenn wir keine gemeinsame Währung haben, mit der sich die europäische Bevölkerung identifizieren kann, in welchem Teil des Kontinents sie auch immer leben mag.

“Europa wird durch die Währung geschaffen oder gar nicht“ (Jacques Rueff)

Die Schaffung einer gemeinsamen Währung ist ein ehrgeiziges Vorhaben, und die Kriterien, nachdenen die Elite und die öffentliche Meinung den Erfolg bemessen, unterscheiden sich beträchtlich. Erstere greifen oft auf das ursprüngliche Ideal eines Europas zurück, das sicherstellen soll, dass nie wieder ein Krieg den Kontinent spaltet. Der Euro verdankt seine Existenz genauso der Vision derer, die durch die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges geprägt sind, wie den wirtschaftlichen Aufrechnungen, dass eine gemeinsame Währung möglich ist.

Doch obwohl solche großen Visionen für die Bildung der Idee eines geeinten Europas notwendig sind, ist der Erfolg des Euros bei der Entstehung einer europäischen Gesellschaft auch von der Meinung hunderter Millionen EU-Bürger abhängig, die ihn jeden Tag als einen praktischen Teil ihres Alltags benutzen. Wenn man einen Blick auf die Meinungsumfragen wirft, scheint die erste Schlacht gewonnen: Formal gesehen ist der Euro allgemein akzeptiert. Eurobarometer-Studien berichten, dass die Mehrheit der europäischen Bevölkerung zwar nicht glaubt, dass sich ihre Identität seit dem Januar 2002 verändert hätte, recht viele von ihnen sich jedoch europäischer fühlen als zuvor (Flash Eurobarometer, November 2002).

Aber wir müssen weiter gehen. Obwohl Meinungsumfragen ein notwendiger Teil einer jeden Studie über den Geisteszustand der Gesellschaft sind, reichen sie alleine nicht aus. Formelle oder informelle Gespräch dagegen können helfen, ein besseres Verständnis der Gründe ermöglichen, warum die Menschen einen bestimmten Glauben oder eine spezifische Identität haben.

Zusammen jammern verbindet

Es scheint - vielleicht überraschend - eine gewisse Unruhe bezüglich des Euro zu herrschen, insbesondere wegen des allgemeinen Preisanstiegs, der seiner Einführung folgte. Deutsche und Spanier beklagten sich über den Euro als `Teuro` und `Redondo` (ein Wortspiel mit dem Begriff `aufrunden`). Caroline, eine 37-jährige Lehrerin aus Amsterdam beschwerte sich über die spürbare Erhöhung der Nahrungsmittelpreise. Michael, ein 24 Jahre alter Student aus Wien, bemerkte, dass die Preise einiger Produkte zwar gesunken seien (wie zum Beispiel die von teuren Elektroartikeln), davon jedoch meist nur die Wohlhabenden profitierten. Der größte Konsumentenverband Frankreichs berichtete, dass der Preis eines durchschnittlichen Wocheneinkaufs im August 2002 rund 10% mehr kostete als noch vor Januar 2002. Die griechische Regierung veröffentlichte Zahlen, nach denen die Preise von Obst und Gemüse in der Folge der Euroumstellung deutlich gestiegen seien. So ist es nicht verwunderlich, dass die große Mehrheit der Bevölkerungen jedes einzelnen EU-Staats glauben, dass die Einführung des Euro den Konsumenten schadete (Flash Eurobarometer, November 2002).

Wie dem auch sei, der Euro kann sicherlich eine positive Rolle bei der Schaffung einer europäischen Identität spielen. Menschen, die außerhalb der Euro-Zone leben, können an den Klagen über den Preisanstieg nicht teilnehmen, weil sie nicht Teil der betroffenen `Gruppe` sind. Eines der wichtigsten Gesetzte bei der Bildung einer Identität ist das Kreieren eines Selbst (die`Insider`) und eines Anderen (die `Outsider`). Zum Beispiel Mauro, ein 28-jähriger Neapolitaner,der für ein multinationales Unternehmen tätig ist: Er sagt, er fühle sich “weniger eingeschränkt in dem, worüber ich reden kann, wenn diejenigen, mit denen ich rede, meine Währung teilen. Ich fühle mich dann wohler.” Dadurch, dass sie gemeinsam ihrem Ärger über die Inflation als Folge der Euroeinführung Luft machen, können sich diese EU-Bürger besser miteinander identifizieren als gegenüber den `Outsidern`. Bei Geldangelegenheiten sprechen EU-Bürger dieselbe Sprache.

Hinweis an die EZB: It’s the economy, stupid!

Aber Vorsicht ist geboten: Einige Umfrageergebnisse lassen darauf schließen, dass der Abstand zwischen denen, die mit dem Euro zufrieden bzw. unzufrieden sind im Laufe des Jahres 2002 beträchtlich geschrumpft ist. Für diese Entwicklung gibt es sicherlich viele verschiedene Gründe, der wichtigste bleibt aber die schwache Leistung der Euro-Wirtschaftszone. Man sollte aber nicht vergessen, dass z.B. die deutsche Bevölkerung

die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten, die durch die Deutsche Mark symbolisiert wurden,

auch nicht sofort nach der Währungsreform von 1948 akzeptierten. Erst Mitte der fünfziger Jahre, als das Wirtschaftswunder bereits in vollem Gange war, kippte die Stimmung zum Positiven. Deshalb brauchen wir dringend eine stärkere Euro-Wirtschaft, die tatsächliche, materielle Verbesserungen im Leben der Menschen zu Wege bringt. Wenn es soweit ist, können wir vielleicht den Übergang von der formalen zur wirklichen Identifikation mit dem Euro - und somit mit Europa - vollbringen. Sollte das Wachstum scheitern, wird es beim Traum von einer europäischen Gesellschaft bleiben und das Projekt Europa wird weiterhin mehr von den Eliten als von den Massen gestützt werden. Wir können nicht unsere Augen schließen und darauf hoffen, dass eine europäische Gesellschaft von alleine entsteht; sie muss genauso erschaffen wie akzeptiert werden.

Story by

Translated from The Euro Today, Europe Tomorrow?