Hauptsache "oben ohne"
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Es ist Sommer, es ist warm. Da stören zu viele Kleidungsstücke nur. Aber das gern zitierte Motto „Je weniger, desto besser“ scheint in der Tat nur für Männer zu gelten. Oder warum ist sonst die Aufregung so groß, wenn Frauen sich in der Öffentlichkeit „oben ohne“ zeigen? Analyse der deutschen Doppelmoral.
Die Sommerhitze ist erdrückend. Mein Freund Jörg ist groß und gut gebaut und joggt bei diesen Temperaturen grundsätzlich nur in Shorts - ich freue mich über die neidischen Blicke anderer Frauen. Jetzt ist es allerdings so heiß, dass ich mich weigere, über dem Sport-BH ein T-Shirt anzuziehen. Schließlich joggt Jörg auch mit freiem Oberkörper, im Freibad und in den Parks wimmelt es nur so von Frauen in Bikinioberteilen. „Na, bisserl Holz vor der Hütte zeigen?“, brüllt mir so ein Typ hinterher. Ich verschlucke mich vor Empörung. Jörg dagegen scheint diese Frechheit überhaupt nicht zu jucken. „Du hättest dir ein bisschen mehr anziehen können.“ „Aber du hast doch oberhalb der Hüfte auch nichts an!“ Ist das mein sonst so emanzipierter Freund, der jetzt plötzlich so einen auf konservativ macht? „Ich hab ja auch keine Brüste“, sagt er ganz ruhig. „Musst du deine jedem zeigen?“ Als ob mein Ausschnitt grundsätzlich kurz vor den Nippeln aufhören würde. Ich verzichte auf eine Grundsatzdiskussion über Gleichberechtigung und schnaufe wütend neben ihm her.
"Die junge Dame ohne Oberteil, zum Bademeister, bitte"
Freibadbesuch mit meiner Freundin Hanna. In meiner Frauenzeitschrift geht’s um die Debatte, ob der Burkini, ein Ganzkörperschwimmanzug samt Kopfbedeckung, in öffentlichen Schwimmbädern zulässig ist. Die Argumente dagegen sind die gleichen wie bei jeder Form der muslimischen Kopfbedeckung auch, vom Hidschab bis zur Burka, von der der Burkini seinen Namen hat: „Sexistisch.“ „Frauen verachtend.“ „Von Männern verübter Zwang zur Verhüllung.“ Darf man den Burkini verbieten, auch wenn viele muslimische Frauen dadurch überhaupt erst ein öffentliches Schwimmbad besuchen dürfen? Ob Frauen sich gänzlich verschleiern dürfen sollten, wenn sie es denn so wollen, ist eine schwierige Frage - kann man sich in der Öffentlichkeit immer verstecken wollen? Der Schleier als „Schutz“ vor dem lüsternen Mannsvolk? Warum nicht bei den Männern ansetzen …
Weil ich „oben rum“ keinen Abdruck mag, lege ich mich ohne Bikinioberteil aufs Handtuch. Plötzlich merke ich, dass der eine oder andere Kerl auf dem Weg ins Wasser kurz stehen bleibt – und glotzt. „Was gibt’s denn da zu glotzen!?“ schnauze ich zwei ältere Herren in knappen „Speedos“ an, einer deutschen Vorliebe, über die man im Ausland gern Witze macht. Auch hier tragen etwa 85 Prozent der männlichen Freibadbesucher Badehosen, in denen sich ihr bestes Stück mehr oder weniger zu ihrem Vorteil abzeichnet. Hanna will ins Wasser. Ich auch. Aber auf‘s Bikinioberteil, auf das habe ich keine Lust. Vielleicht ist mir die Hitze zu Kopf gestiegen, oder es ist mein unverdauter Ärger auf Jörg. Jedenfalls fühle ich mich wie eine moderne Johanna von Orléans, die furchtlos einen siegreichen Feldzug gegen die Diskriminierung von Frauen führt. Ich würdige die zwei dreieckigen Stofffetzen keines Blickes und schreite hocherhobenen Hauptes neben Hanna in Richtung Becken. Um uns herum wird gekichert, getuschelt und gejohlt.
Der Bademeister, ein Mann Mitte Vierzig mit Wohlstandsbäuchlein und knappen roten Speedos, ist damit beschäftigt, drei Jungs eine Standpauke zu halten. Ich springe mit einem eleganten Kopfsprung ins Wasser – es fühlt sich toll an. “Die junge Dame ohne Oberteil, zum Bademeister bitte!“ Er spricht es gleich zweimal ins Megaphon, damit ihn auch ja alle hören. „So können Sie hier nicht rumlaufen“, sagt er, „das verstößt gegen die Freibadordnung.“ „Aber die Männer laufen doch auch alle oben ohne rum! Wieso darf ich das nicht?“ „So steht’s in der Freibadordnung.“ Der Bademeister grinst. „Nicht, dass Sie was zu verstecken hätten, aber… hier läuft ja auch niemand ohne Badehose rum.“ „Aber ohne Oberteil!“ Ich bin wütend, will nur noch heim.
Kampffeministin vs. Busenbesitzrechtler?
Jörg schaut mich entgeistert an. „Musst du plötzlich die Kampffeministin spielen? Versteckte Brüste sind doch viel reizvoller! Wenn ich dich ständig nackt sehen würde, fände ich das auch nicht mehr spannend.“ „Sag mal, spinnst du!?“ fauche ich ihn an, „Nur weil euch Männer unsere Brüste anmachen und ihr glaubt, Besitzrechte zu haben, müssen wir sie verstecken? Und dann faselst du was von Menschenrechten und Gleichberechtigung, wenn’s um das Kopftuch geht? Wenn das Haar, das Gesicht oder gleich der ganze Körper für manche muslimische Männer als Reizobjekt gelten und deshalb verhüllt werden müssen, dann ist das falsch – aber wenn’s nur die Brüste sind, dann ist das selbstverständlich? Weil ihr das so beschlossen habt? Und was ist mit Männern in engen Badehosen?“ „Was soll damit schon sein?“ Jörg versteht meine Frage nicht. „Na meinst du das, was sich bei euch unter der Badehose so sichtbar wölbt, ist für uns kein Reizobjekt? Warum lauft ihr dann nicht in weiten Boxershorts herum?“ „Süße, das ist doch was ganz anderes ...“ Ich lasse mich gern Süße nennen, bin gern niedlich – aber jetzt will ich nicht „süß“ sein. Weder für Jörg, noch für irgendwen anderes.
Jörg schläft die nächsten Nächte auf dem Sofa. Und ich jogge im Traum mit Kopftuch und Sonnenbrille, aber „oben ohne“ durch die Straßen.
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