Gut gemeint reicht nicht
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Von den Möglichkeiten und den Auswirkungen des Bologna-Prozess
Seit dem 19. Juni 1999 steht fest: aus mittlerweile 33 einzelnen Hochschulsystemen soll ein großer europäischer Hochschulraum werden. Das Studium im europäischen Ausland soll einfacher, Auslandsaufenthalte während des Studiums erleichtert werden. Es geht dabei um Credits und Module, um Studierende und Lehrkräfte, die so einfach wie Waren durch den vereinigten Hochschulraum zirkulieren können. Am Ende des Austausches steht dann immer ein überall anerkannter Abschluss – einfach toll soweit. Benannt ist der ganze Prozess nach dem Ort, an dem er angestoßen wurde – Bologna-Prozess. Und weil sich alles so gut anhört, sind alle auch irgendwie dafür – die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, die Studierenden, die Hochschulen und nicht zuletzt die Politik. Doch wofür ist eigentlich wer und warum? – lauten die Fragen, die an diesen Chor gestellt werden sollten. Am 18./19. September fand nun in Berlin die zweite Nachfolgekonferenz statt, höchste Zeit also, um den Prozess einmal genauer zu betrachten und sich im Land der Gastgeberin, der deutschen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, umzuschauen.
Aus deutscher Sicht ist klar, das lokale Hochschulsystem war reformbedürftig: In den siebziger Jahren hatten die Reformen der sozial-liberalen Koalition die Hochschulen für weite Bevölkerungsschichten geöffnet. Gleichzeitig sollten in der "Gruppenuniversität" alle Beteiligten ihr Lern- und Lehrumfeld gemeinsam gestalteten. Doch eine solche fortschrittliche Bildungspolitik konnte nicht ohne Gegenreaktionen bleiben. Die Gruppenuniversität erledigte sich mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Massenuniversität wurde nach und nach einfach der Geldhahn zugedreht. Was von der Bildungsreform blieb, waren die Studierenden und eine deutlich unterfinanzierte Hochschullandschaft. Zudem sank die Arbeitsplatzgarantie eines Hochschulabschlusses. Die gesellschaftlichen Anforderungen an die Hochschulen und die Hochschul-Realität entwickelten sich zusehends auseinander, während in anderen Ländern schon durch neue Lehr- und Lernmethoden eine Reform der Hochschulen stattfand. Die offenkundigen Defizite, die die Hochschule durch die Jahre hatte konservieren und kultivieren können, konnten jedoch unter diesen Bedingungen nicht mehr aufrechterhalten werden. Allerdings ging es bei den nun folgenden Reformen nicht darum, gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten auszuweiten.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Von einer europäischen Diskussion war daher viel zu erwarten. Nicht zuletzt zu den skandinavischen Hochschulsystemen konnte aufgeblickt werden und eine neue Diskussion um Methoden und Inhalte schien in greifbare Nähe gerückt zu sein. Doch es kam wieder einmal anders: "Alter Wein in neuen Schläuchen" hieß das Motto der Reformen. Aus dem einstufigen Bildungssystem wurde ein zweistufiges mit den Abschlüssen Bachelor (BA) und Master (MA), die in Deutschland gerade eingeführt werden. Bestehende Studiengänge wurden vielerorts ohne inhaltliche Reformüberlegungen einfach nur geteilt. Diese Teilung eröffnete die Möglichkeit, sich beim Übergang vom BA zum MA einiger Studierender zu entledigen. Vor den neuen MA - Studiengängen stehen jetzt in vielen Fällen auch neue Eingangsvoraussetzungen; dies bedeutet zwei Zulassungsverfahren statt bisher einem und für nicht aufeinander folgende Studiengänge Studiengebühren. Damit würden alle Beteuerungen hinfällig, dass die Einführung zweistufiger Studiengänge irgendwelchen hehren Zielen diene, ist Lars Schewe vom deutschen studentischen Dachverband fzs (Freier Zusammenschluss von Studentinnenschaften, AdR) überzeugt: "Offensichtlich scheint es [...] nur darum zu gehen, schnöden Bildungsabbau zu betreiben."
Auch ein neues Qualitätssicherungssystem, Akkreditierung genannt, wurde für diese Studiengänge installiert. Nur leider wurde es nicht europäisch abgestimmt, sondern erstmal ein eigenes Verfahren entwickelt, das kleine aber entscheidende Unterschiede zu anderen europäischen Systemen aufweist. Das Prinzip ist die Peer - Review: Begutachtung unter Gleichen also; oder etwas zynischer ausgedrückt: die Hochschulen begutachten sich über den Umweg privater Unternehmen selbst. Festgelegte Standards spielen dabei keine besondere Rolle, da die Peers ja in diesem flexiblen System für sich sprächen. Studierende müssen übrigens nicht zwingend beteiligt sein. Dennoch bietet dieses System noch immer wesentlich mehr Möglichkeiten studentischer Beteiligung und Begutachtung als das alte bürokratische Verfahren.
Hochschulen und Studenten: marktkonform statt kritisch
Die Beispiele sollen zeigen, wie sehr der Prozess und seine Auswirkungen von der Umsetzung vor Ort abhängen. In Deutschland ist der Bologna-Prozess dabei in Reformbestrebungen eingebunden, die der Hochschullandschaft eine marktwirtschaftliche Form geben sollen. In Zukunft konkurrieren die Studierenden um die Hochschulen und die Hochschulen um die Studierenden. Der Reformdruck, den der Bologna-Prozess aufbaut, kommt solchen Modernisierern gelegen. Die Folgen dieser Reformen sind jetzt schon absehbar, die Hochschulen und die Studierenden werden in den Markt integriert. Um auf diesem Markt überleben zu können, müssen sie sich marktkonform verhalten. Für Kritik und alles, was über das Bestehende hinausgeht, bleibt dann noch weniger Freiraum als bisher.
Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht auch die asymmetrische Umsetzung des Prozesses. Die soziale Dimension wurde z.B. in Deutschland bis jetzt eher ungenügend diskutiert. So wird zwar Hochschulmarketing in allen möglichen Ländern betrieben, um "High-Potentials" anzuwerben, die Regelungen zum Arbeits- und Aufenthaltsrecht haben sich aber kaum geändert und auch die Wohnraumsituation ist für ausländische Studierende in Deutschland schlecht. Hinzu kommt eine ungenügende Betreuung, die derzeit weder die Auslandsämter der Hochschulen noch die Studentenwerke leisten können. "Wer den Integrationsprozess zu einem gemeinsamen Hochschulraum Europa bis 2010 zum Erfolg führen möchte, muss die soziale und kulturelle Dimension mit einbeziehen" fordert Dieter Schäferbarthold vom Deutschen Studentenwerk, die Erklärungen von Bologna und Prag lieferten hier noch keine Antworten.
Weniger Markt, mehr Gerechtigkeit
Bei so vielen offenen Fragen, scheint es dann doch erstaunlich, dass der Bologna-Prozess so viel Unterstützung erfährt. Gerechtfertig ist dies durch die Möglichkeiten, die diesem Prozess innewohnen: Nicht weil jedwede Europäisierung für sich schon irgendwie von Vorteil wäre - sondern weil er Strukturen aufbricht und auf fast allen Ebenen Anknüpfungspunkte für reale Verbesserungen bietet. Diese Verbesserungen können aber nur in der konkreten Auseinandersetzung mit den lokalen Reformen erreicht werden. Wer hierbei weniger Markt und mehr Gerechtigkeit und eine stärkere Beteiligung der Studierenden erreichen möchte, sollte eine europäische Ausbildungsförderung, Gebührenfreiheit und auch eine Lehre fordern, die sich weder zu weit von der Praxis entfernt noch sich damit begnügt alles nur unkritisch zu betrachten und beschreiben zu wollen.