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Gewalt an Männern: Falschanzeigen und Machtlosigkeit

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GesellschaftPolitik

Beim Thema Gewalt scheint die Rollenverteilung oft eindeutig: Männer sind Täter, Frauen Opfer. Dass auch Männer Gewalt seitens ihrer Partnerinnen erfahren, ist im öffentlichen Bewusstsein weniger präsent.

Gerade in Spanien, wo frauenfeindliches Verhalten dank eines geschlechtsspezifischen Gesetzes, das in der EU einzigartig ist, besonders hart bestraft wird, verhallt die Stimme von männlichen Opfern. Die Kehrseite ambitionierter Gleichstellungs- und Schutzmaßnahmen von Frauen zeigt der Fall des Spaniers Antonio.

„Es fühlt sich an wie ein Leben in unsichtbaren Fesseln“, erzählt Antonio, als er in einem Fotoalbum blättert, das er ständig bei sich trägt. Er möchte Anto genannt werden. Den Glauben an die Gerechtigkeit in seinem Land hat er verloren. Als er ein altes Foto entdeckt, wird er still: Strahlend hält er darauf seine kleine Tochter im Arm. Sie starb im Alter von sechs Monaten.

Neben weiteren Schicksalsschlägen ist es das spanische Rechtssystem, das heute an seinen Kräften zehrt, vor allem das 2005 in Kraft getretene Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt (Ley Orgánica de Medidas de Protección Integral contra la Violencia de Género): ein Gesetz speziell zum Schutz von Frauen. Nach Angaben des Forschungszentrums Reina Sofia ist Spanien das einzige EU-Land, in dem ein Gesetz über häusliche und familiäre Gewalt hinausgeht. Es umfasst nicht nur Sensibilisierungskampagnen und die Anerkennung umfassender Opferrechte, sondern auch die Verschärfung der Strafen gegen männliche Gewalttäter.

Vor 18 Jahren lernte Anto die Liebe seines Lebens kennen. Für den gelernten LKW-Fahrer war es die erste Freundin. Sie schenkte ihm Aufmerksamkeit, war liebevoll. Beide heirateten und zogen in ein kleines Dorf in der Nähe von Madrid. Nach dem Tod der gemeinsamen Tochter änderte sich die Ehe schlagartig. Sie begann ihn zu beleidigen und machte ihn und seine Arbeit lächerlich. Auf seine Hilferufe, als er unter dem Schmerz über den Verlust der Tochter zu zerbrechen schien, reagierte sie mit Nichtachtung. Irgendwann gingen ihre Worte in körperliche Gewalt über, einmal kratzte sie ihm das Gesicht blutig. Hinzu kamen Falschanzeigen.

Falschanzeigen – Mythos oder Realität?

„Das Gesetz schafft leider auch Anreize für Falschbezichtigungen“, kritisiert Antos Rechtsanwalt Víctor Martínez Patón. Er ist einer der wenigen Anwälte in Spanien, die sich auf diese Problematik spezialisiert haben. „Als Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt erhält man finanzielle Unterstützung in Höhe von bis zu 400 Euro monatlich, günstigere Mietwohnungen und bei Scheidungen muss der Mann die Wohnung sofort verlassen“, erklärt Martínez. 

„Als plötzlich die Polizei vor meiner Tür stand und von Anzeige sprach, verstand ich gar nichts mehr“, erzählt Anto und klammert sich dabei an sein Fotoalbum. Auch wenn es seinerseits keine körperliche Gewalt gegeben hatte, musste er aufgrund der Aussage seiner Frau bei der Polizei eine Nacht in der Zelle verbringen. „Es ist unvorstellbar, wie machtlos ich mich gefühlt habe“, erinnert er sich.

Die Präsidentin der Untersuchungskommission zur Gewalt gegen Frauen, Susana Martínez Novo, sieht in den Falschanzeigen lediglich ein mediales Phänomen. „Das ist ein Mythos“, sagt sie. Staatliche Institutionen wie der Generalrat der rechtssprechenden Gewalt weisen jährlich nicht mehr als 20 Falschanzeigen bei insgesamt 100 000 im Bereich geschlechtsspezifischer Gewalt aus. Rechtsanwälte haben in der Praxis aber mit deutlich mehr Fällen zu tun. Grund sind unterschiedliche Definitionen des Begriffs Falschanzeige.

Männer als geborene Gewalttäter

Ein weiterer Kritikpunkt am Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist das unterschiedliche Strafmaß für Männer und Frauen bei gleicher Straftat – „positive Diskriminierung“, wie es offiziell heißt. „Mit Gleichheit vor dem Gesetz hat das nichts zu tun“, meint Anwalt Martínez. „Wenn ein Mann eine Frau misshandelt, wird dies höher bestraft als umgekehrt.“ 

Während die ersten Anzeigen gegen Anto sofort eingestellt wurden, folgte beim dritten Mal die Verurteilung zu sechs Tagen Hausarrest, obwohl seine Frau vor Gericht bestätigte, dass es ihr gegenüber nicht zu körperlicher Gewalt gekommen war. Viermal täglich machte die Polizei Kontrollbesuche. 

Ich weiß, dass es viel mehr Frauen gibt, die von ihren Männern misshandelt oder sogar umgebracht werden. Aber warum habe ich als Mann nicht dieselben Rechte?

Inzwischen sind die beiden geschieden, und was Anto fordert, ist Gerechtigkeit. Er reichte Klage wegen psychischer Verletzungen ein. Die vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Ärztliche Gutachten bestätigen dies. Noch heute nimmt er Medikamente. Aus einem abgenutzten Rucksack holt er eine riesige Aktentasche hervor. „Hier habe ich alle Dokumente, die meine Situation belegen“, sagt er und blättert nervös in einem Stapel Papier. Seine Hände zittern. 

„Ich weiß, dass es viel mehr Frauen gibt, die von ihren Männern misshandelt oder sogar umgebracht werden. Das ist eine Schande. Aber warum habe ich als Mann nicht dieselben Rechte?“, fragt er. Das Klageverfahren wurde wegen Antos Verhalten gegenüber der Richterin sofort eingestellt. Als Anto begann, ihr verzweifelt und zusammenhangslos seine Lebensgeschichte zu erzählen, schmiss ihn die Richterin raus, wie Martínez bestätigt.

„Männer leiden genauso unter psychischer Gewalt wie Frauen“

„Männer als Opfer weiblicher Gewalt? Das wird von der Gesellschaft nach wie vor verschwiegen“, bestätigt der spanische Psychologe Esteban Cañamares, dem sich seit einigen Jahren immer mehr misshandelte Männer anvertrauen. Männer litten genauso unter psychischer Gewalt wie Frauen, die gerade diese Form der Gewalt besonders beherrschten. „Das Problem ist, dass sie nicht sichtbar und damit kaum nachweisbar ist.“

Heute lebt Anto im Haus seiner Eltern, sein eigenes musste er verkaufen. Am 5. Dezember jährt sich der Todestag der Tochter. Ihr Grab kann er nicht mehr bezahlen. Als er das Fotoalbum schließt, hält er kurz inne, über seine Wange läuft eine Träne. „Ich möchte viel lieber bei meiner Tochter sein“, sagt er und stopft die dicke Aktentasche in seinen Rucksack. Er ist bereit, sich das Leben zu nehmen, wenn sich dadurch etwas am aktuellen Rechtssystem ändert.

Name von der Redaktion geändert

Illustrationen: Teaserbild (cc)ro_buk/flickr; Im Text ©Gara Fariña García