Geschunden wie ein Fußball: Das Schicksal eines Rom aus dem Kosovo
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Die Einwohnerzahl Hamburgs, die halbe Fläche Hessens: Der Kosovo ist klein, doch aus keinem Land kamen seit Jahresbeginn mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Fast alle müssen zurück - auch Angehörige diskriminierter Minderheiten. Ein junger Rom erzählt.
Ridvan sah nur die Augen, die Männer trugen Skimasken. Sie verprügelten ihn und seine Geschwister, und sie vergewaltigten seine Mutter. Mit Sturmgewehren waren sie hereingebrochen über das Haus der Familie Haliti, und sie würden wiederkommen und töten, sagten sie, sollte die Familie den Kosovo in einem Monat nicht verlassen haben. In diesem Land wolle man keine Roma. Jahre später wird man der Familie Haliti sagen, dieses Land sei ein sicheres.
Ridvans Stimme senkt sich, wenn er von jenem Tag erzählt; eben noch waren seine dunklen Augen voll fester Aufmerksamkeit, jetzt blickt er hastig zu Boden. Sein Deutsch ist holprig, aber gut zu verstehen. Er sitzt auf einer Holzbank im Berliner Allende-Viertel, Ortsteil Köpenick. Ein dichter Kiefernwald umsäumt die pastellfarbenen Plattenbauten und breiten Betonstraßen, Ridvans Aftershave hängt schwer in der schwülen Abendluft. Der junge Mann von 18 Jahren hat bereits graue Haare an den Schläfen und heißt eigentlich anders, seinen wahren Namen und den seiner Familie will er nicht veröffentlicht wissen. „Was, wenn die Albaner das sehen?“, sagt er. Kosovo-Albaner waren es, die ihn und seine Familie heimsuchten.
Lieber Deutschland als Kosovo
Viereinhalb Jahre ist das her. Heute leben Ridvan, seine fünf jüngeren Geschwister und seine Eltern in einem Flüchtlingswohnheim in Berlin. Nach dem Überfall waren sie nach Schweden geflohen, dreieinhalb Jahre später wurde ihr Asylantrag abgelehnt und sie flohen weiter nach Deutschland. Ridvan ließ Freunde zurück, er hatte sich eingelebt. „Das war schlimm“, sagt er. „Aber lieber Deutschland als Kosovo.“
Dass er bleiben darf, ist unwahrscheinlich. Gemäß den Dublin-Verordnungen muss Schweden die Familie wieder aufnehmen. „Dass dort die Abschiebung droht, spielt keine Rolle“, sagt Dirk Morlok von Pro Asyl. Freilich böte auch ein deutsches Asylverfahren triste Aussichten: Mehr als 25.000 Kosovaren haben seit Januar Asyl in Deutschland beantragt, aus keinem Land kamen mehr Menschen – bleiben aber darf nur jeder Tausendste. Dabei leiden Roma und andere Minderheiten im Kosovo unter weitverbreiteter und systematischer Diskriminierung, wie Amnesty International beklagt.
Fragt man Ridvan nach dem Kosovo, huscht ein Zug von Verzagtheit durch sein waches Gesicht. Er durfte nicht zur Schule gehen, wurde ausgeraubt, beschimpft. Man habe sie behandelt, sagt Ridvan, wie – das Wort fällt ihm nicht ein, er hebt ungelenk die Füße – „wie einen Fußball“. Jeder durfte mal treten.
Deutschland hingegen, findet er, „ist ein super Land“. Gerne würde er hier arbeiten. Als was? Sein Blick stockt kurz fragend. „Etwas mit den Händen, eine gute Arbeit“, sagt er dann, zuckt die Achseln, und man meint die Gleichgültigkeit eines Jungen zu spüren, für den es keinen Traumberuf gibt, weil er das Träumen aufgegeben hat.
Im Kosovo ist den Halitis nichts geblieben. Wahrscheinlich, sagt Ridvan, müssten sie auf der Straße leben. Er hebt hilflos die Hände, und zum ersten Mal werden seine Worte brüchig, seine Augen feucht, und plötzlich steht die ganze Verzweiflung dieses 18-Jährigen kahl und bleiern im schrägen Licht der späten Sonne. Er ist unerwünscht, egal wo. „Ich verstehe das nicht“, sagt er. „Aber was können wir machen?“ Er selbst gibt die bittere Antwort. Gerade hat er sich mit festem Händedruck und traurigem Lächeln verabschiedet, da dreht er sich noch einmal um und sagt: „Warten; wir warten jeden Tag“ – auf die Entscheidung, ob die Familie Haliti bleiben darf. Die Chancen stehen eins zu eintausend.