Geschichte der ersten Reisebuchhandlung der Welt
Published on
Translation by:
Barbara W.Begegnung mit Catherine Domain, der Gründerin von „Ulysse“ in Paris oder auch der ersten Reisebuchhandlung der Welt: einer Frau, die mehr als 150 Länder besucht hat… und immer noch Angst hat vorm Fliegen!
An einem ungewöhnlich kalten Pariser Nachmittag öffnet sie mir die Tür und lädt mich ein, ihr 16 Quadratmeter großes Zimmer zu betreten, in dem jeder Winkel mit Büchern und Karten vollgestopft ist. „Ich erlaube niemanden, sie zu berühren: Hinter der Reihe, die du siehst, befinden sich noch drei weitere. Alles ist nach einer genauen Logik sortiert; wenn jemand sie verstellt, würde ich verrückt werden bei dem Versuch, sie wiederzufinden.“ So werde ich von Catherine Domain begrüßt, der Eigentümerin der ersten Reisebuchhandlung der Welt im Herzen der Île Saint-Louis in Paris, und Ehrenmitglied des Club des Grands Voyageurs, einem Eliteverein, dem nur beitreten darf, wer in seinem Leben mindestens 50 Länder bereist hat. „Ich interessiere mich nicht sonderlich dafür; sie waren es, die mich eingeladen haben“, wischt Catherine, die unter den Europäern sogar zu den Top 5 der größten Reisenden zählt, das Thema vom Tisch. Das Leben von Catherine, dieser kultivierten 71-jährigen Dame, die ihr schlohweißes Haupthaar selbstbewusst trägt, beginnt im Jahr 1942 in Mascara (Algerien). Mit vier Jahren siedelt sie nach Frankreich über. Sie ist noch keine fünf Jahre alt, als sie ihre erste Flugreise allein antritt: „Von Orly nach Heathrow, ich weiß es noch ganz genau. Das Flugzeug hat nicht einen Augenblick aufgehört zu schwanken. Ich habe meine „Servicetüte“ nicht einen Augenblick aus der Hand gelegt. Dieses Erlebnis hat mich für immer geprägt.“
DIE ENTDECKUNG des Reisens
Im Alter von 17 Jahren schickt ihr Vater sie zum Studium ins kalifornische Palo Alto, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Hauptstadt des Silicon Valley war. Sie reist per Fähre gemeinsam mit weiten 80 Franzosen und etwa 300 europäischen Studierenden im Rahmen eines interkulturellen Austauschprojekts. „Diese Reise hat mein Leben verändert. Dort habe ich mir geschworen, dass ich für den Rest meines Lebens reisen werde.“ Ein halbes Jahrhundert später kann man sagen, dass Catherine ihren Schwur gehalten hat.
Nach einem Aufenthalt in Genf, wo sie Dolmetschen studiert, beginnt Catherine, das Mittelmeer zu erkunden, „das allerschönste Land der Welt“. Innerhalb von 10 Jahren reist sie mit dem Bus durch Nepal und mit dem Schiff nach Südamerika. Jede Reise ist eine absolute Entdeckung: Catherine zieht selten mit Reiseführern los, sondern zieht es vor, sich von der Welt, die ihr begegnet, überraschen zu lassen. „Ich habe mir nie Fotos oder Filme von einem Ort anschauen wollen, bevor ich ihn besucht habe. Das zerstört die ganze Magie, ihn in echt zu sehen“, offenbart sie. Eine Herangehensweise, die nur möglich ist, wenn man weder auf die Uhr noch aufs Geld schauen muss. „Meine einzige Grundregel lautete damals: ein Dollar pro Tag. Ich bin gereist wie ein buddhistischer Mönch. Fast immer allein und extrem bescheiden. Aber ich muss mich natürlich bei meinem Vater für seine finanzielle Unterstützung bedanken.“
Alles begann in einem Casino
Das Vermögen der Familie Domain beginnt mit einem Motorschaden. Das 20. Jahrhundert hat gerade begonnen, als der Urgroßvater von Catherine in Hendaye, einem kleinen Ort an der baskischen Küste, einen Kolbenfresser hat, in Aquitanien, dort, wo sich die französische und die iberische Halbinsel begegnen. Uropa Domain, gezwungen, sich 8 Tage im Dörfchen aufzuhalten, vertreibt sich die Zeit im örtlichen Casino. Eines Abends beschließt einer der Abenteurer, der sein ganzes Geld beim Roulette verloren hat, Monsieur Domain seine prächtige Villa zu verkaufen. Auf diese Weise wird Hendaye zum Ferienort der Familie Domain, und Catherines Vater macht mit seinen 6 Kindern jedes Jahr dort Urlaub, bis er schließlich entscheidet, alles zu verkaufen. Ein örtlicher Unternehmer schlägt ihm jedoch einen Tauschhandel vor: Im Austausch gegen die Abtretung des riesigen Geländes um die Villa herum ist der Bauunternehmer bereit, ihm 18 Wohnungen zu schenken. Papa Domain schlägt ein und teilt das Anwesen unter seinen Kindern auf.
„Ende der 70er Jahre hatte ich das Reisen satt. Ich bin nach Paris zurückgekehrt, wo ich eine Stelle als Sekretärin bei einer Firma, die Schlösser verkaufte, gefunden habe. Drei Monate lang habe ich durchgehalten. Dann habe ich beschlossen, wieder aufzubrechen.“ Dieses Mal allerdings mit dem Flugzeug. „Ich hatte nicht sehr viel Geld zum Ausgeben, deshalb habe ich das gesamte Regelwerk der IATA durchforstet und habe ein Schlupfloch gefunden, über das ich mir ein Ticket Paris-Paris habe ausstellen lassen. Allerdings mit 60 Zwischenstationen. Am Schalter der TAP – der portugiesischen Fluggesellschaft, Anm. d. Red. – musste ich zwei Stunden lang herumdiskutieren. Aber am Ende waren sie gezwungen, mir das Ticket auszustellen. Ich erinnere mich noch: Es war ein Abreißblock, dick wie ein Notizbuch.“ Auf diese Weise hat sie das restliche Asien erkundet („Rangun ist meine große Liebe. Burma ist vielleicht die Reise, die ich am meisten geliebt habe“), hat die Inseln der überseeischen Territorien bereist („die Insel Réunion war total unberührt und wunderschön, als ich dort war“), hat den besten Kaffee ihres Lebens auf der Insel Fogo auf den Kapverden getrunken, den besten Linseneintopf in Silao gegessen, Brot auf Steinen in der Wüste Sinai gebacken und furchtbare Spaghetti-Sandwiches in Australien hinuntergewürgt, Mechoui-Lamm im gesamten Maghreb gekostet und Falken in den Wüsten der Arabischen Emirate gejagt, „als sie sich dort noch nicht im Klaren darüber waren, dass sie alle Milliardäre hätten werden können.“
Eine Welt auf 8 Quadratmetern
Während dieser Reisen kommt ihr der Gedanke, dem sie von da an ihr gesamtes Leben widmen wird: einen Buchladen zu eröffnen, der nur dem Reisen gewidmet ist. Die erste Reisebuchhandlung der Welt. Zurück in Paris bummelt sie durch die Buchläden, bis sie einen 8 qm großen Laden betritt, in dem einige Männer Karten spielen. „Quelle jolie librairie !“ sprudelt es in einem Anflug von Offenherzigkeit aus ihr heraus. „Wir verkaufen“, macht es der tabakkauende Besitzer kurz. Die Buchhandlung heißt „Ulysse“. Sie nimmt es als einen Wink des Schicksals. Zehn Tage später steht Catherine darin und streicht die Wände.
Wenn ihre Lebensgeschichte ein Märchen wäre, könnte sie hier aufhören. Aber vor sieben Jahren „bin ich nach Hendaye gefahren, um meine Schwester zu besuchen. Während ich eines Nachmittags auf sie warte, fällt mein Blick auf diese kleine Anzeige: Gewerberaum zu verkaufen, Meerblick“. Catherine wählt die angegebene Nummer und schaut sich die Immobilie an. Die, wie sich herausstellt, mitten in den Räumen des Casinos liegt, in dem vor ungefähr einem Jahrhundert alles angefangen hat. Catherine zögert nicht einen Moment und kauft, was kurz darauf der Sommersitz ihrer Buchhandlung wird. „Am Tag der Eröffnung habe ich von der Île Saint-Louis aus einen Container mit 4 Tonnen Büchern hingeschickt. Aber die Regale hier sind immer noch überfüllt!“ beklagt sie sich augenzwinkernd. Dann schlängelt sie sich durch die Bücherstapel auf dem Boden hindurch und begleitet mich zur Tür, denn die Zeit des Erinnerns ist für heute vorbei. Nun beginnt wieder die Zeit des Reisens, um Kreise zu schließen und neue zu eröffnen. Ein unendlicher Kreislauf.
Translated from Storia di una libreria di viaggio, Prima che esistesse