GERMAN-NESS: Typisch deutsch, gibt's nicht!
Published on
Bieder, verkrampft, langweilig - Deutschland hat nicht immer den besten Ruf im In- und Ausland. Doch Claire Oelkers will das Gegenteil beweisen. Seit September 2014 moderiert sie den alternativen City-Guide GERMAN-NESS. Auf dem gleichnamigen YouTube-Kanal zeigt Claire außergewöhnliche Orte, Charaktere und Geschichten in Deutschland.
Unser Gespräch beginnt mit einem großen Seufzen. „Was ist für dich typisch deutsch?“, hatte ich die ehemalige MTV-Moderatorin wenige Sekunden zuvor gefragt. „Das ist wirklich schwierig“, erwidert die 29-Jährige. Claire Oelkers ist in einem Multikulti-Umfeld groß gewrden, erklärt sie: „Ich bin Deutsch-Filipina.“ Die Frage nach dem typisch Deutschen sei für sie daher immer mit einer Identitätsfrage verknüpft. „Ich würde mir daher nie anmaßen, Deutsche nach Klischees zu beurteilen.“
Die Frage nach dem „Deutschsein“ liegt auf der Hand. Claires neue YouTube-Serie heißt GERMAN-NESS. Die Wahlberlinerin erklärt aber, dass der Titel nicht direkt zu übersetzen sei: „Es ist ein Wortspiel aus German und Weirdness.“ Ja, Deutschland kann auch außergewöhnlich und skurril sein, genau das will die Serie zeigen. In bisher rund 20 Folgen begleitet Claire besondere Menschen einen Tag in ihrem persönlichen Umfeld. Sie spielt den Indoor-Sport LaserTag mit dem Comedytrio Y-Titty in Köln oder lernt das sportliche Berlin mit dem muskelbepackten Elektropunk und Berghain Bouncer Rummelsnuff kennen. Neben der Hauptstadt meldet sich Claire bis jetzt auch aus Hamburg und Köln.
„Deutschland ist ganz anders als man klischeehaft denkt“, beschreibt Claire das Bild, das mit GERMAN-NESS vermittelt werden soll. Es gab eine Zeit, in der Deutschland sie nicht mehr zu überraschen vermochte, erzählt die Moderatorin. „Ich war selbst sehr gelangweilt von meinem eigenen Land“, gibt sie zu. Diesen Zustand wollte Claire nicht wahrhaben und begann nach außergewöhnlichen Personen und Geschichten in Deutschland zu suchen. „Es handelt sich um Subkulturen, die oft im Verborgenen bleiben.“ Diese möchte sie an die Oberfläche bringen. Nach dem Lasertag mit Y-Titty nehmen die Jungs Claire mit ins Kölner Rotlichtmilieu. Neben viel Action bleibt aber auch Zeit für ein kurzes Gespräch im Brauhaus. Claire erklärt, warum das Comedytrio voll und ganz zu GERMAN-NESS passt: „Y-Titty haben einen ähnlichen Background wie ich.“ Auch sie kommen aus einer Kleinstadt und wollten etwas Produktives mit ihrer Langeweile angefangen. Seitdem drehen auch die drei Jungs erfolgreiche YouTube-Videos.
Locker machen
In einer der Berliner Folgen trifft Claire auch den Fotografen Oliver Rath. Der Breisgauer ist ständig auf der Suche nach spontanen Motiven und vor allem - ziemlich viel nackter Haut. Zu Beginn des Videos kommt Rath etwas störrisch daher. Er empfängt mit schwarzer Sonnenbrille, rollendem R und Prossecco in seiner Gallery in der Rosenthaler Straße. Doch am Ende entwickelt der Zuschauer auf dem Weg durch das nächtliche Berlin und Raths geheime Hotelkatakomben dann doch Sympathie. Claires lässiger Umgang mit ihren Gästen macht das möglich. „Ich begegne zunächst jedem offen und ohne Vorurteil“, sagt sie über sich selbst. Sie vebringt immer einen ganzen Tag mit ihren Gästen, um sie kennenzulernen: „Wir gehen mit ihnen zu Orten in ihrem privaten Umfeld“, ergänzt sie. Das macht die Sache um einiges lockerer: „Die Leute sind sehr herzlich und dankbar, dass man sich mit ihnen auseinander setzt.“ Viele Menschen in Deutschland hätten den Mut verloren, so Claire, ihre außergewöhnlichen Eigenschaften nach außen zu tragen.
GERMAN-NESS richtet sich aber nicht nur an ein deutsches Publikum, sondern auch an ausländische Zuschauer. Mit der Untertitel-Funktion kann jedes der 10-minütigen Videos in allen gängigen Sprachen gesichtet werden. Claire meint: „Wir möchten ganz gezielt auch Leute aus der ganzen Welt ansprechen.“ Neben den Sehenswürdigkeiten sollte jeder Tourist auch die Einheimischen und ihre Geheimtipps kennen, empfiehlt sie. Und bisher ist die Serie sowohl im In- als auch im Ausland auf einem guten Weg. „Wir sind sehr zufrieden. Es gibt nichts Vergleichbares im deutschen YouTube“, freut sie sich.
Vom Acht-Stunden-Tag zum Vollzeitjob
Das Reiseportal Expedia hatte den Wunsch einen Reiseblog zu veröffentlichen. Claire und ihr vierköpfiges Team hatten dann die konkrete Idee zum Video-City-Guide. Claire selbst ist nicht nur Moderatorin sondern auch Producerin des Formats. Nach ihrer Zeit bei MTV und der Musikkarriere als Sängerin der Band Karpatenhund arbeitete sie in der Redaktion des Musiksenders Joiz. „Dort konnte ich mein redaktionelles Verständnis verbessern“, erklärt Claire. „Damals hatte ich einen 9-17 Uhr Tag. Für GERMAN-NESS investiere ich viel mehr Zeit.“ Sie sucht die Gäste aus, moderiert und leitet die Postproduktion. „Ich kann nie abschalten, immer habe ich eine neue Idee im Kopf.“ Gut, dass alle zehn Tage ein neues Video online geht. In den nächsten Folgen wird es Claire auch in neue Ecken verschlagen: „Wir denken an die Richtung Mecklenburg-Vorpommern, Dresden und Bayern.“
Noch bis September ist die Zusammenarbeit mit Expedia gesichert. Claire wünscht sich aber darüber hinaus, mit GERMAN-NESS weiterzumachen. Sie hat auch schon neue Ideen: „Ich persönlich mag auch Geschichten, die Probleme und negative Seiten einer Stadt darstellen.“ Dafür hätte sie aber gern mehr Sendezeit. Ebenfalls könnte sie sich vorstellen, die Städte zu verlassen und Folgen auf dem Land zu drehen. Eine weitere Vision wäre, Videos in ganz Europa zu produzieren. „Wir sind immer noch nicht wirklich am Ziel. GERMAN-NESS ist noch in der Entwicklung.“
Claire hat bereits in allen drei Städten der GERMAN-NESS-Reihe gelebt. Doch dank des City-Guides verbindet sie Berlin, Hamburg oder Köln jetzt mit neuen interessanten Personen, Orten und Geschichten. In Hamburg ließ Claire eine erotische Hypnose über sich ergehen. Im Anschluss fühlte sie sich zu Hafenpollern hingezogen: „Es war sehr seltsam, aber es hat wirklich geklappt.“ Ihr kamen die Tränen, als man sie vom Poller wegzog. „Doch das legt sich nach dem Ende der Hypnose wieder“, versichert sie.