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Gemeinsam gegen sich selbst

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Aus wirtschaftlichen Interessen verhindern Frankreich und Deutschland bislang eine gemeinsame EU-Außenpolitik gegenüber China. Das Risiko, das damit einhergeht, ist groß – auch für sie selbst.

Der 30. Oktober war ein rundum gelungener Tag in der Geschichte der EU-Außenpolitik. Gemeinsam flog die „Troika“ Prodi, Berlusconi und Solana zum 6. EU-China-Gipfel nach Peking, kurz darauf überschlugen sich die Erfolgsmeldungen: China beteiligt sich am Galileo-Programm und chinesische Europa-Touristen müssen in Zukunft mit weniger Beschränkungen rechnen. Letzteres dürfte vor allem die Tourismus-Industrie freuen, denn wie die Welttourismusorganisation schätzt, wird sich die Reisen der Chinesen im Jahr 2020 auf jährlich 120 Millionen verzehnfacht haben.

China ist also im Kommen, und die Eliten der EU eilen ihm freudig entgegen. Die Beziehungen zwischen beiden Machtblöcken werden immer intensiver, beide Seiten sind derzeit eifrig dabei, ihre Partnerschaft auf ein solides politisches Fundament zu stellen. Am 13. Oktober, zwei Wochen vor dem Gipfel, wurden auf beiden Seiten Strategiepapiere veröffentlicht. Die chinesische Regierung gibt an, sie wolle die EU zu ihrem wichtigsten Handelpartner machen, diese will ihrerseits China verstärkt in internationale Organisationen einbinden.

Politik als Ware

Doch die in den Positionspapieren entworfene Fassade einer gemeinsamen EU-Außenpolitik ist brüchig. Denn nicht nur die EU-Granden, auch die nationalen Regierungschefs reisen gerne nach China. Und die Entourage aus Wirtschaftslobbyisten, die sie dabei umgibt, karikiert die Bemühungen um eine gemeinsame Haltung der EU grundlegend. Zwar ist die EU, was die Festlegung von handelpolitischen Rahmenbedingungen angeht, ein geeignetes Instrument, um europäischen Firmen den Zugang zum Markt zu erleichtern und vorhersehbare Spielregeln zu schaffen. Der WTO-Beitritt Chinas am 11. Dezember 2001 ist dafür das beste Beispiel. Aber die EU kann nur das Spielfeld abstecken, auf dem die europäischen Firmen, allen voran deutsche und französische Unternehmen dann gegeneinander antreten. Konkret geht es dabei um den Bau von Untergrundbahnlinien, Heizkraftwerken, Nuklearreaktoren oder Telefonschaltzentralen. Dank dieser Konkurrenz kommt die chinesische Regierung immer wieder in den Genuss von Steuerbegünstigungen und Kreditbürgschaften. So wurde etwa die Transrapid-Strecke nach Shanghai mit deutschen Steuergeldern unterstützt, denn sonst würde auf dieser Strecke jetzt der TGV fahren.

Diese Konkurrenz, so legitim und wirtschaftlich belebend sie sein mag, birgt auch politische Risiken. Denn sie versetzt die chinesische Regierung in die Lage, wirtschaftliche Abkommen an politische Bedingungen zu knüpfen. Erstes Opfer sind dabei immer die Menschenrechte. Obwohl die EU 1995 noch eine klare China-kritische Position in der UN-Menschenrechtskommission einnahm, boykottierte die französische Regierung 1997 diese Haltung, da gerade ein lukratives Airbus-Geschäft ins Haus stand. Spanien, Italien, Griechenland und auch Deutschland folgten, die EU musste ihre harte Haltung aufgeben. Als Dank erklärte sich die chinesische Seite bereit, den „Menschenrechtsdialog“ wieder aufzunehmen, vor dem sie weit weniger Angst zu haben braucht als vor einer öffentlichen völkerrechtlichen Anklage.

In der Folge vertrat vor allem Frankreich eine rein nationale China-Politik. Als einziges europäisches Land handelte es ein bilaterales strategisches Abkommen aus. Und auch wenn andere Staaten die EU-Außenpolitik nicht so offen sabotieren, so verfolgen sie eine ähnliche Strategie. Der deutsche Bundeskanzler Schröder besuchte vom 1. bis zum 4. 12. bereits zum fünften Mal China und sprach sich für eine Lockerung des Waffenembargos und den Export der Hanauer Atomanlage aus. Die deutsche Wirtschaft und die chinesische Regierung wird es freuen.

Multilateralität statt Multipolarität

Garniert wird diese Politik in Paris und Berlin gerne mit dem Etikett der „Multipolarität“. Zwar besteht ökonomisch eine Tripolarität zwischen den USA, der EU und Asien, doch geostrategisch liegen die Dinge anders. Welches Interesse hat denn die EU im Pazifik-Raum? China ist in dieser Region mit den USA in einen hegemonialen Machtkampf verstrickt, der sich um die drohende taiwanesische Unabhängigkeit dreht. Zwar kann man sicher sein, dass China für die Aufhebung des Waffenembargos, den Einstieg ins Galileo-Programm und die Lieferung nukleartechnologischem Material dankbar sein wird. Aber es ist fraglich, ob China wirklich die aufstrebende Weltmacht des 21. Jahrhunderts und damit zu einem „strategischen Partner“ der EU werden wird. Schon heute zählt man auf dem Land 200 Millionen Arbeitslose, ihre Zahl wird steigen. Experten warnen vor einer Überhitzung des chinesischen Wachstums, der Finanzsektor ist marode. Militärisch wird China in absehbarer Zeit den USA nicht das Wasser reichen und deshalb auch in Zukunft im Sicherheitsrat mit ihnen stimmen. Warum sollte also die EU mit Hilfe Frankreichs und Deutschlands zusammen mit China das Übergewicht der USA ausbalancieren?

Eine bessere Alternative böte sich an: Eine EU-Außenpolitik, die diesen Namen auch verdient. Würde man eine einheitliche europäische Position entwerfen, könnte man gegenüber China auf einer Trennung von Wirtschaft und Politik beharren, die Mitgliedsstaaten könnten auf wirtschaftlichem Sektor nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden. Gleichzeitig könnte man China mit einer harten Haltung vor der UN-Menschenrechtskommission unter Druck setzen und so zu wirklichen Eingeständnissen in der Menschenrechtsfrage bewegen. Kurz: Statt ein unsicheres multipolares Konzept zu verfolgen, würde man China zu einer multilateralen Zusammenarbeit bewegen.

Deshalb müssen Frankreich und Deutschland ihre China-Politik gründlich überdenken, nationale Wirtschaftsinteressen beiseite legen und an einer gemeinsamen europäischen Strategie arbeiten. Zum Wohle der eigenen Wirtschaft, der europäischen Außenpolitik und nicht zuletzt der Menschenrechte in China.