Flüchtlingszeitung ABWAB: Türen auf für Frauenrechte
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„Frauenrechte sind Menschenrechte - sie gehen uns alle etwas an“, sagt Lilian Pithan, deutsche Redakteurin der mehrsprachigen Zeitung von Geflüchteten und Einheimischen ABWAB (dt. 'Türen'). Zum Internationalen Frauentag öffnet Deutschlands Flüchtlingszeitung die feministische Tür - sperrangelweit.
cafébabel: Lilian, Du bist die deutsche Redakteurin von ABWAB, die erste Flüchtlingszeitung Deutschlands - wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Lilian Pithan: ABWAB wurde als Zeitung von Geflüchteten für Geflüchtete gegründet. Mittlerweile ist sie eher eine Zeitung von Geflüchteten und Einheimischen für Geflüchtete und Einheimische. Deswegen bauen wir die Zweisprachigkeit auch kontinuierlich aus. Unsere Mitarbeiter sind über ganz Deutschland verstreut. Ein paar leben sogar in anderen europäischen Ländern oder im Nahen Osten. Deswegen arbeiten wir komplett online. Alles läuft über E-Mail, Facebook, Skype und Dropbox. Mein Arbeitsalltag sieht also jeden Tag anders aus. Ich lektoriere, schreibe, übersetze und präsentiere ABWAB, wo immer ich bin und wann immer ich Zeit habe. Manchmal zuhause, öfter in Co-Working Spaces in ganz Berlin und manchmal sogar in der U-Bahn.
cafébabel: ABWAB öffnet diese Woche die feministische Tür sperrangelweit: Welchen Tenor haben die Geschichten, die ihr vorbereitet habt?
Lilian Pithan: Natürlich geht es in vielen Beiträgen um Feminismus und Frauenrechte, aber nicht nur. Im neuen Heft gibt es auch ganz normale Kurznachrichten aus aller Welt, Hintergrundinfos zur aktuellen Arbeit von Human Rights Watch oder Filmkritiken von der Berlinale. Die Idee hinter diesem Heft ist es nicht, dass es in allen Beiträgen um Frauen geht, sondern dass sie von Frauen geschrieben und übersetzt wurden.
cafébabel: Feminismus sollte nicht nur Frauen angehen, warum habt ihr euch trotzdem entschieden, das redaktionelle Zepter diese Woche nur an Frauen zu übergeben?
Lilian Pithan: Alle Beiträge im aktuellen Heft richten sich sowohl an Frauen als auch an Männer. Es geht hier nicht um „Frauenthemen“ und in diesem Sinne ist ABWAB N. 15 auch kein „Frauenheft“, sondern ein Heft für alle, dass zufällig nur von Frauen gemacht wurde. Natürlich ist das langfristige Ziel, den Geschlechterausgleich in der Redaktion zu schaffen. Wir sind sogar schon ziemlich nah an einer 50/50-Verteilung dran. Dass wir eine Ausgabe konzipiert haben, die komplett von Frauen gemacht wurde, bedeutet also nicht, dass wir immer so arbeiten wollen. Es geht uns um den Paukenschlag-Effekt: Mit dieser extremen Positionierung wollen wir darauf aufmerksam machen, wie sehr die Medien in der arabischen Welt, aber auch in Europa, noch von Männern beherrscht werden. Eklatante Missverhältnisse wie dieses werden vielen Menschen leider nicht klar, wenn man sie nicht mit dem kompletten Gegenteil konfrontiert.
cafébabel: Die Chefredaktion hat die syrische Schriftstellerin Rosa Yassin Hassan übernommen – auf welche Themen möchte sie besonders aufmerksam machen?
Lilian Pithan: Rosa Yassin Hassan tritt zum einen dafür ein, dass schreibende Frauen ernster genommen und ihre Werke stärker rezipiert werden. Zum anderen will sie darauf aufmerksam machen, wie und warum Frauen in der arabischen Welt für ihre Rechte kämpfen.
cafébabel: Ihr habt seit dem Launch 2015 einen Schwerpunkt auf Frauenthemen gelegt: Gab es zu Genderthemen in der Vergangenheit auch schonmal Auseinandersetzungen?
Lilian Pithan: In ABWAB gibt es von Beginn an 2-4 Frauenseiten, für von unserer Redakteurin Walaa Kharmanda betreut werden. Sie und unser Chefredakteur Ramy Alasheq haben schon in Jordanien zusammengearbeitet und ein feministisches Magazin herausgegeben. Die Idee mit dem Feminismus ist der Redaktion von ABWAB also nicht erst nach ihrer Ankunft in Europa gekommen.
cafébabel: Die Zeitung wurde in Köln gegründet, inwiefern setzt(e) sie sich mit den Geschehnissen der Kölner Silvesternacht auseinander?
Lilian Pithan: Natürlich haben wir die Ereignisse aufgegriffen, das fiel ja in die Zeit direkt nach dem Launch von ABWAB. Es gab sowohl Beiträge zum Problem der Bagatellisierung von sexueller Belästigung in vielen arabischen Ländern und darüber, was das über den Stand von Frauen in diesen Kulturen aussagt, als auch darüber, wie die Debatte um Köln zur extremen Verbreitung von rassistischen und sexistischen Klischees über „die Araber“ bzw. „die arabischen Männer“ in den deutschen Medien und der deutschen Gesellschaft geführt hat. Das Thema Köln haben wir in den folgenden Monaten immer wieder aufgegriffen, u.a. im Rahmen der Debatte um „Nein heißt nein“ und das neue Sexualstrafrecht. Viele dieser Beiträge wurden von unserer Leserschaft kontrovers diskutiert. Das meiste passiert hier auf Facebook.
cafébabel: ABWAB wird in 70.000 Exemplaren gedruckt und bundesweit kostenlos verteilt. Wie finanziert man das?
Lilian Pithan: ABWAB hat mehrere Anzeigenkunden, wie z.B. Moneygram und Ortel, die Werbeanzeigen direkt auf Arabisch schalten. Manchmal werben auch das BAMF oder das Arbeitsministerium für spezielle Weiterbildungsprogramme für Geflüchtete. Damit können wir Druck und Vertrieb finanzieren und einige der Redakteure und Freien ein bisschen bezahlen. Die meisten von uns arbeiten ehrenamtlich, unser Ziel ist es aber, das zu ändern und ABWAB finanziell rentabel zu machen.
cafébabel: Dürfte Emma Watson sich in ABWAB enthüllen?
Lilian Pithan: Ich kann mir aus dem Stegreif nicht vorstellen, in welchem Rahmen solche Fotos in ABWAB Sinn machen würden. Die feministischen Diskussionen im Heft sind momentan noch auf einem anderen Level. Ich persönlich habe gar nichts gegen ihre Fotostrecke - wenn sie das gut findet, dann soll sie das machen. Gleichzeitig bin ich aber auch immer dafür, dass diese Fotos dann kontrovers diskutiert werden.
cafébabel: Was hältst du von Initiativen wie dem deutschen Flirtcoach, der arabischen Männern das deutsche Flirten beibringen will?
Lilian Pithan: Ich finde das ziemlich klischeebehaftet und plakativ. Diese ganze Aktion bedient vor allem Vorurteile und schlägt sicher keine Brücke zwischen den Kulturen. Wer sagt denn, dass „alle Araber“ nicht flirten können oder dass „deutsche Männer“ die richtigen sind, um ihnen das beizubringen? Und warum gibt es keine Flirtkurse, in denen „deutschen Frauen“ beigebracht wird, wie sie „arabische Männer“ um den Finger wickeln? Für mich stinkt das ganz stark nach Klischee und Sexismus. Abgesehen davon halte ich Flirtcoaching allgemein für ein ziemlich seltsames Berufsfeld.
cafébabel: Zum Thema Frauenrechte in arabischen Ländern geht es ja in Europa ständig nur um ein Stück Stoff (Kopftuchdebatte) – welchen Dialog etabliert ihr zum Thema?
Lilian Pithan: Natürlich geht es in ABWAB auch immer wieder um das Kopftuch. Der Unterschied ist aber, dass hier Menschen über das Thema diskutieren, die zum Großteil aus Ländern kommen, in denen das Kopftuch etwas ganz Normales ist. Die Diskussionen setzen also an ganz anderen Punkten an. Wir haben sowohl Autorinnen, die das Kopftuch verteidigen, als auch solche, die dagegen schreiben. Diese Meinungen präsentieren wir, um damit unter unserer Leserschaft eine Debatte anzustoßen. Was wir auf jeden Fall nicht wollen, ist der deutschen Leserschaft das Kopftuch zu erklären bzw. ihnen zu sagen, was sie davon zu halten haben.
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