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Flüchtlinge: Europas Laisser-faire

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Gesellschaft#OpenEurope

Vor einem Jahr entschied Bundeskanzlerin Angela Merkel, Flüchtlinge vom Budapester Bahnhof Keleti nach Deutschland zu holen. Im Nachhinein kam es zu einem Anstieg der Flüchtlingszahlen. Merkel unterstrich ihre Politik mit den Worten "Wir schaffen das". Bis heute ist die europäische Presse über dieses Ereignis tief gespalten.

ABC: Für guten Zweck wurde das Recht gebrochen; Spanien

Mit ihrer Entscheidung vor einem Jahr hat die Kanzlerin Gutes tun wollen, aber das Gegenteil erreicht, glaubt ABC: „Vor einem Jahr entschied Angela Merkel, dass die dramatische Situation der Flüchtlinge in Ungarn eine so außergewöhnliche und extreme humanitäre Notlage darstellt, dass es gerechtfertigt ist, sich eigenmächtig und ohne jegliche vorherige Absprache über die in 28 Staaten geltenden EU-Gesetze hinwegzusetzen. [...] Niemand zweifelt an ihrer guten Absicht. An ihrer Großzügigkeit, allen die es brauchten, Asyl bieten zu wollen. Oder an ihrem Mitgefühl und dem Willen, die Dramen zu verhindern, die das Fernsehen der ganzen Welt offenbarte. Aber es steht außer Frage, dass Merkel an diesem Tag das Rechtsprinzip der EU brach. Und sie löste eine perverse Kettenreaktion aus, die deutsche Dörfer, Stadtteile, Städte und damit das Leben von Millionen Deutschen verändern sollte.“ (Artikel vom 2. September 2016)

Lietuvos zinios: Vorbild für humanistische Politik; Litauen

Merkel hat ein Jahr nach ihrem viel zitierten Ausspruch sehr wohl einiges geschafft, resümiert die Tageszeitung Lietuvos žinios: „Die Tochter eines Pfarrers führt eine humanistische Politik und wird dafür gelobt vom Papst, von den Staaten des Nahen Ostens, besonders denen, die wie Jordanien selbst unter riesigen Flüchtlingsströmen leiden. Lob kommt auch von Obama und sogar aus dem kommunistischen China, auch wenn sowohl die Amerikaner, wie auch die Chinesen dem Deal zwischen Deutschland und der Türkei nicht zustimmen. Aber genau dieser Deal sorgte dafür, dass die Zahlen der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge von 200.000 im vergangenen November auf 16.300 im Juni geschrumpft sind.“ (Artikel vom 1. September 2016)

Le Figaro: Frankreichs Laisser-faire mit den Flüchtlingen

Die Flüchtlingskrise ist noch längst nicht ausgestanden, kommentiert Le Figaro und kritisiert, dass Frankreich das Thema ignoriert: „Dieser Zuwanderungstsunami betrifft die gesamte Europäische Union. Natürlich müssen Lösungen gefunden werden, die deutlich drastischer sein müssen als die des Schengenraums. Frankreich kann sich jedoch nicht vor seiner eigenen Verantwortung drücken. Das Land ist weniger knauserig als seine Partner, wenn es um den Schutz von Asylbewerbern geht. Auch der Zugang zu Sozialleistungen für Menschen ohne gültige Papiere ist hier leichter und die Verfahren zur Rückführung an die Grenze verlieren sich häufiger als anderswo im Labyrinth juristischer Anfechtungen. Die von Angela Merkel an den Tag gelegte Großzügigkeit ist unhaltbar, doch auch das Laisser-faire von François Hollande kann nicht länger toleriert werden. “ (Artikel vom 1. September 2016)

Le Soir: Andere mussten die Drecksarbeit machen; Belgien

Eine europaweite Initiative wäre eine bessere Lösung gewesen als Merkels verheerender Alleingang, bilanziert Le Soir: „Mit guten Absichten gewinnt man noch keinen Krieg: Das ist die Kehrseite dieser historischen Erklärung. Diese große moralische Tat ist denn auch in ein politisches und operatives Fiasko gemündet. So kann man heute nicht umhin festzustellen, dass der Flüchtlingsstrom vor allem deshalb abgerissen ist, weil andere Führungspolitiker die Drecksarbeit gemacht haben. Die Kanzlerin hingegen hat einen letztlich unehrenhaften Deal mit der Türkei abgeschlossen, um die Lage und ihren Posten zu retten. Die Geschichte wird zeigen, dass es einen anderen Weg gegeben hätte, um das Ganze wirklich zu bewältigen: im Rahmen der europäischen Institutionen und indem zunächst gemeinsam das moralische Prinzip bekräftigt und dieses durch einen pragmatischen Handlungsplan ergänzt worden wäre.“ (Artikel vom 31. August 2016)

Právo: Der Geist muss wieder in die Flasche; Tschechische Republik

Ein Jahr nach ihrem "Wir-schaffen-das"-Versprechen hat Merkel auch Fehler eingeräumt. Die Tageszeitung Právo hat sie damit aber nicht überzeugt: „Die Kanzlerin war nicht ungeahnt selbstkritisch. Sie versuchte vielmehr, die Verantwortung für den chaotischen Zustand auf die ganze EU auszuweiten und von ihren eigenen Fehlern abzulenken. Etwa von der strategisch schwachen Einschätzung, was nach der unkoordinierten Einladung Hunderttausender Flüchtlinge nach Europa und Deutschland passieren kann. Nach einem Jahr ist das zu spät. Zweifellos führt das alles zu einer langfristigen enormen Belastung für den deutschen Sozialstaat. Die Deutschen glauben nicht mehr daran, dass das zu schaffen ist. [...] Heute können wir nur noch versuchen, den Geist in Form der unkontrollierten Massen an Flüchtlingen wieder in die Flasche zu bekommen. Nicht gesagt, dass das gelingt.“ (Artikel vom 1. September 2016)

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