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Flirten verbindet Völker

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Gibt es ihn wirklich, den international geprüften Eurolover?

„Soll ich, oder soll ich nicht? Schon seit einer geschlagenen Viertelstunde tauschen wir verstohlene Blicke aus. Ich habe schon mit den Augendeckeln geklimpert, mehr als einladend gelächelt und dabei sexy meine Himbeerlippen geschürzt. Soll ich jetzt etwa noch meine Zungenspitze lasziv einsetzen, damit er endlich rüber kommt? Ich kann doch nicht einfach so von mir aus...! Als Mädel...! Nein! Nach weiteren qualvollen 10 Minuten Power-Dauer-Flirtens in seine Richtung halte ich es nicht mehr aus: ich geh zu ihm an die Bar und frage: „Hace calor, ¿no? (Heiß hier, oder?)“ und merke dabei, wie dem Armen erst jetzt richtig heiß wird und sein Gesicht puterrot. Etwas später weiß ich, warum dieser Flirt ein solches Desaster war: Der Typ ist zwar süß, aber Deutscher und deshalb das Flirten nicht so gewöhnt!

Jeder kennt sie, die Klischees vom langweilig-reservierten Deutschen, vom besoffen-grölenden Engländer. Männer kennen die Legende der allseits-bereiten Skandinavierinnen, Frauen den Mythos vom Latinlover, dem galanten Franzosen, dem heißen Spanier und dem unwiderstehlichen Italiener. Aber was ist denn nun dran an diesen Flirtvorurteilen, die Tausende Europäer jeden Sommer mit auf Urlaubsreise nehmen, die schon vor der ersten Kontaktaufnahme mit „Einheimischen“ vom anderen Geschlecht in den Köpfen der Erasmusstudenten herumspuken? Eine Reise durch sechs europäische Städte soll uns dem Rätsel näher bringen.

Hungrige Männeraugen in Paris

Paris - „Für Französinnen ist die Straße eine Bühne, auf der sie bewundert werden möchten. Während Deutsche ihre bequemen Sneakers erst im Aufzug zum Büro gegen die roten Stöckelschuhe austauschen, stolzieren Pariserinnen guccibekleidet und hochbehackt über Kopfsteinpflaster zur Arbeit“, erklärt Sandra, 23, die als deutsche Erasmusstudentin ein Jahr in der „Stadt der Liebe“ verbracht hat. Sie konnte sich nie daran gewöhnen, immer und überall taxiert zu werden und das auch noch als Kompliment anzusehen: „In Deutschland kann man wenigstens ohne einen Kommentar an einem Typen vorbeigehen.“

Ihre französische Freundin Rachel ist in dieser Hinsicht genauso wenig Pariserin wie Sandra. “Ich mag dieses Schaulaufen vor gierigen Männeraugen gar nicht!“ Seit einem Jahr hat sie einen tschechischen Freund und spricht aus Erfahrung, wenn sie meint: “ Wenn ein Tscheche dir Komplimente macht, dann meint er es auf jeden Fall ernst. Das ist bei Franzosen nicht unbedingt so.“

„Dass man von einem fremden Mann auf der Uferpromenade mit „Ciao Mala“ (Hi Kleine) angesprochen wird, kommt allein deshalb schon nicht vor, weil wir immer nur in Gruppen ausgehen“, erzählt Živa Ploj, 27, aus Ljubljana, die in Deutschland Musik studiert. „Das ist auch gut so, denn so verlangsamt sich das Flirttempo extrem. Man muss ja schließlich erst alles mit den Freundinnen besprechen“, grinst sie. „Wenn man dann aber richtig verliebt ist, wird man erst recht zum Kind“. So schaute sie bei ihrem ersten Rendezvous mit ihrem jetzigen Freund eine britische Liebeskomödie, die sie schon mit 15 gesehen hatte.

snuppa heißt 'Süße'

Trotz des tiefsitzenden Mythos von den freizügigen Nordeuropäerinnen kann sich die 29-jährige Solweigh aus Trondheim, Norwegen, schon fast als flirtresistent bezeichnen. Drei Jahre lang hatte ihr heutiger Freund um sie geworben, nicht nur mit Komplimenten und Geschenken, sondern auch mit rührenden Liebesbriefen, die mit søta oder snuppa (Süße) begannen. „Aber erst als er sich damit abgefunden hatte, mich nicht mehr zu bekommen, habe ich mich plötzlich in ihn verliebt. Jetzt haben wir eine Computerfirma mit idealer Rollenteilung gegründet. Ich mache die Software und er die Hardware!“

So richtig obszön geht es beim Flirten stattdessen etwas weiter südlich, im englischen Newcastle zu: Während des nächtlichen binge-drinking (zu Deutsch auch als Koma-Saufen bekannt) in einer der wenigen Bars mit late-night-Lizenz gilt für Mädels die Devise: „Wenn mein Körper schon nicht bauchfrei ist, dann wenigstens mein Shirt!“ Der deutsche Austauschstudent Daniel war überrascht, wie offensiv flirting hier funktioniert: “Stundenlanger Augenkontakt quer durch den Pub ist für Briten eher anstrengend, da ist ein Klapps auf den Hintern doch sehr viel deutlicher und vor allem einfacher. Die Frauen scheint es auch nicht zu stören, dass ihr neue Tanzpartner viel lieber fremde Pobacken tätschelt, als den Blues mit ihr zuende zu tanzen. One-night-stands gehören hier zum Studentenleben wie Partys, Kater und in geringerem Maße Vorlesungen.“ Solche Sitten haben natürlich Konsequenzen: Die Zahl der „teenage pregnancies“ ist in keinem Land die hoch wie in Großbritannien. Und das obwohl auf der Insel jede Art der Verhütungsmittel umsonst zu bekommen ist.

Komplizierte Polinnen

So etwas wäre in Polen unvorstellbar. Und auch der Umgang der Geschlechter miteinander verläuft immer noch nach offiziellen Regeln. „Die Tradition verbietet es, dass eine Frau einen Mann anspricht, wenn sie ihn interessant findet“, sagt Jarek Domanski, Student aus Warschau. „Mädchen in Polen sind sehr viel komplizierter als im restlichen Europa oder den USA. Traditionen und vor allem der Katholizismus spielen eine große Rolle bei uns!“

Der Papst hält zwar genauso in Italien das Zepter in der Hand, aber dennoch gelten italienische Männer als die besten Liebhaber der Welt. “In Italien gibt es eine Krankheit: Die Liebe zur Liebe. Ohne flirten, schöne Frauen und dieses gewisse Kribbeln im Bauch ist das Leben doch ganz schön trist“, meint Mimi, 25, aus Turin. Seine Kommilitonin Daniela, 24, stimmt ihm zu: „Hier machen Männer andauernd Komplimente über Dein Aussehen, sie bezahlen immer und fragen sogar höflich, ob sie dich jetzt küssen dürfen. Wir müssen kaum mehr tun, als hübsch aussehen und über ihre Witze lachen. Die Männer sind die Jäger und wir die Gejagten.“

Welche Nation nun letztendlich die besten Liebhaber Europas zu bieten hat, bleibt ungeklärt. Daraus lässt sich nur ein Fazit ziehen: Schaut Euch um in Europa und krönt ihn selbst, Euren persönlichen Eurolover 2004!