Participate Translate Blank profile picture
Image for Flimmerdämmerung: Qualitätsfernsehen in Europa, quo vadis?

Flimmerdämmerung: Qualitätsfernsehen in Europa, quo vadis?

Published on

Kultur

Öffentlich-rechtliche Fernsehsender unterliegen momentan einer europaweiten Debatte: ARD, BBC & Co. wird Qualitätsverlust und Quotenhascherei vorgeworfen - und das trotz horrender Rundfunkgebühren. In Frankreich soll die Werbung gleich ganz gestrichen werden.

Blödsinn bei ARD und ZDF

So „widerwärtig“ sei diese Preisverleihung gewesen, so viel „Blödsinn“ produziere das deutsche Fernsehen.

Standing Ovations. Dem kleinen, alten Mann wird auf die Bühne geholfen. Bedächtig fängt er an zu sprechen. Doch das berühmte „r“ grollt schon von seinen Lippen, der gefürchtete Zeigefinger wiegt bereits sacht in der Luft. Das Publikum lächelt noch. Es ist der 11. Oktober 2008, Deutschlands bekanntester Literaturkritiker, Marcel Reich-Ranicki, steht auf der Bühne. Der Deutsche Fernsehpreis soll ihm für sein Lebenswerk verliehen werden. Doch nein, legt er los, den könne er nicht annehmen. So „widerwärtig“ sei diese Preisverleihung gewesen, so viel „Blödsinn“ produziere das deutsche Fernsehen. Die Intendanten sitzen in der ersten Reihe und lächeln verwirrt für die Kameras. Am Tag darauf brennt die Qualitätsdebatte lichterloh auf allen Kanälen. Was denn nur los sei mit dem Fernsehen, möchten auf einmal alle wissen und schauen fragend zu ARD und ZDF, denn die seien per Landesrundfunkgesetz doch dazu verpflichtet Information, Bildung und Kultur auf hohem Niveau zu liefern. Die beiden Sender haben vor allem ein Zuschauerproblem - junge Menschen meiden sie, das Durchschnittsalter liegt bei 65 Jahren. Kein Wunder, laufen doch zur PrimeTime vornehmlich Rosa-Munde-Pilcher Filme und volksmusikalische Unterhaltung. Politische Sendungen wurden in das Spätabendprogramm gerückt, mit seichter Unterhaltung durch Telenovelas und Quizshows füllt man die Lücken.

Kein ausschließlich deutsches Problem. Seit Einführung des dualen Rundfunksystems in den 1980er Jahren stehen die öffentlich-rechtlichen Sender in ganz Europa im Konkurrenzkampf mit privaten Anbietern. Schlechtes Abschneiden müssen sie doppelt rechtfertigen, schließlich finanzieren sie sich hauptsächlich über Rundfunkgebühren. Während die Privaten mit Quizshows, Talkshows, Reality-Formaten und amerikanischen Serien die willigen Jugendlichen abgreifen, stehen die öffentlich-rechtlichen Sender vor dem ewigen Konflikt: Bildungsauftrag vs. möglichst großes Zielpublikum.

Sachsgate-Affäre bei der BBC

3,5 Milliarden Pfund an Rundfunkgebühren verbraucht die BBC jährlich.

Die Mutter aller öffentlich-rechtlichen Sender, die britische BBC, hat sich in dieser Jagd auf die Jugend ins eigene Bein geschossen. Aktueller Aufreger: der sogenannte „Sachsgate“-Skandal. Jonathan Ross, bestbezahlter britischer Fernsehstar, und Russel Brand, provokativer Jungmoderator, riefen in einer BBC-Sendung bei dem 78-jährigen Schauspieler Andrew Sachs an und hinterließen mehrere äußerst vulgäre Nachrichten auf dessen Anrufbeantworter. Die Verantwortlichen sahen keine Einwände und nickten die Sendung ab. Die Öffentlichkeit tobte nach der Ausstrahlung: die BBC sei schließlich das Aushängschild des seriösen Journalismus - ein teures noch dazu: 3,5 Milliarden Pfund an Rundfunkgebühren verbraucht sie jährlich. Besonders bitter: Aus Kostengründen kündigte die BBC an mehrere hundert Stellen abzubauen, zahlte jedoch Jonathan Ross für seine Vertragsverlängerung bis 2010 18 Millionen Pfund und stockte das Einkommen ihrer Führungskräfte um satte 17% auf.

Auch 2007 waren der BBC schon einige große Schnitzer unterlaufen: der Trailer für eine Dokumentation über die Queen wurde falsch zusammen geschnitten und gesendet, Anrufsendungen wurden gezielt manipuliert. Die BBC entschuldigte sich öffentlich bei der Queen und zahlte Bußgeld für die Manipulierung. Die Gegner von Rundfunkgebühren haben nach „Sachsgate“ allerdings jede Menge neues Futter.

Sarko streicht France Télévisions die Werbung

Um solchen Peinlichkeiten vorzubeugen und den Quotendruck zu nehmen - so die offizielle Begründung - kündigte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy im Januar eine Reform der öffentlich-rechtlichen Sendergruppe France Télévisions an. Punkt eins: Die Werbung soll schrittweise entfernt werden. 2009 wird erst die Werbung nach 20 Uhr gestrichen, ab 2011 soll es dann gar keine mehr geben. Während France Télévisons mit 450 Millionen Euro Einbußen aufgrund von Werbeverlusten rechnen muss, dürfen die Privaten sogar noch mehr Werbung schalten und Spielfilme öfter unterbrechen. Der Werbekuchen wird nun neu aufgeteilt, ein vorgezogenes Weihnachten für Sarkozys mächtige Medienfreunde.

Punkt zwei: Sarkozy ernennt die Chefs der Staatssender selbst. Er sieht darin nichts Verwerfliches, in einem Großunternehmen bestimme schließlich auch der Hauptaktionär, wer an der Spitze der Firma stehe. Alles Blödsinn, sagen die Kritiker, Sarkozy züchte sich streichelzahme Medien. Die Opposition befürchtet ein Staatsfernsehen. Francois Bayrou, Vorsitzender der MoDem-Partei, bezeichnete die Reform als „beispiellosen Rückschritt“.

Berlusconi: Herrscher der RAI

In Frankreich ein Skandal, in Italien fast Tradition: Politik und Medien sind hier schon seit langem verquirlt. Das Europäische Parlament rügte Berlusconis beherrschende Stellung schon 2004 als eine „einzigartige Kombination von wirtschaftlicher, politischer und medialer Macht.“ Ihm gehört die Sendergruppe Mediaset und als Ministerpräsident hat er zusätzlich großen Einfluss auf die staatliche Sendeanstalt Radiotelevisione Italiana (RAI). Zusammen machen dieser Sender 90% des italienischen Fernsehmarktes aus. An der Spitze von RAI steht ein neunköpfiger Verwaltungsrat, der jedoch von einem parlamentarischen Aufsichtsausschuss und vom Finanzminister ernannt wird.

Seit seiner Wiederwahl im Mai hat Berlusconi es jedoch nicht geschafft einen neuen Vorsitzenden des Aufsichtsrates zu wählen. Er hängt in einer Pattsituation mit der Opposition. Aus Frustration beschimpfte er nun führende Wirtschaftsunternehmen, die Werbung bei RAI schalten: „Ich verstehe nicht wie Sie akzeptieren können, dass Ihre Werbung zwischen Sendungen läuft, die nur Panik und Misstrauen verbreiten.“ Der Vorsitzende der RAI Journalisten-Union, Carlo Verna, bezeichnete dies als „beschämenden und unverantwortlichen“ Versuch die finanzielle Lage der öffentlich-rechtlichen Sender zu verschlimmern. Die Unabhängigkeit von RAI bleibt ein Fragezeichen.