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Film „Europe, She Loves“ - Vereint ohne Zukunft

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Von wegen schöner Götterfunken: Wenn Europe, She Loves, der Eröffnungsfilm der Berlinale-Reihe „Panorama Dokumente“, wirklich das Lebensgefühl junger Europäer abbildet, dann heißt es wohl: Gute Nacht, Union.

Europa ist gescheitert. Durch die Trümmer einer einst großen Idee taumeln Menschen, die der Kater von der Utopie hart erwischt hat. Da wären Siobhan und Terry aus Dublin: Im Drogenrausch haben die beiden zusammengefunden, nun wollen sie versuchen, clean zu leben. Die junge Mutter Veronika schlägt sich derweil in Tallinn als Gogo-Tänzerin durch, doch ihre größte Baustelle wartet zuhause: Veronikas Freund Harri findet einfach keinen Draht zu ihrem Sohn Artur. Am Südzipfel der EU hofft Penny indes auf das Glück in der Ferne: Die junge Griechin will fort aus Thessaloniki, da sie keine Zukunft mehr in ihrer Heimat sieht. Ihr Freund, der schon etwas ältere Niko, wird dabei immer mehr zur Hürde. Irgendwohin, Hauptsache weg, treibt es auch Caro aus Sevilla - obwohl sie sich gerade für einen Masterplatz beworben hat. Am liebsten würde sie ihren Freund Juan mitnehmen, doch der will lieber in der alten Heimat bleiben.

Es fällt nicht schwer, uns selbst in den ratlosen Gesichtern wiederzuerkennen, in die uns Jan Gassmann mit seinem Dokumentarfilm Europe, she loves blicken lässt. Vereint sind die Twentysomething-Europäer, deren Leben sich im Laufe des Films nie kreuzen werden, nur noch in ihrer Perspektiv- und Ziellosigkeit. Gefangen im Limbo aus schlechtbezahlten Jobs schlagen sie sich irgendwie durch, ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft längst beraubt.

Es ist ein Spiegelbild, das schmerzt: Gassmanns Semi-Doku (dazu später mehr) ist das Anti-L’auberge espagnole. Die Party ist aus, die hehren Ideale eines völkerumspannenden Miteinanders liegen zertrümmert am Boden. Stattdessen lähmt eine schmerzhaft mitanzusehende Lethargie die acht Protagonisten. Der Rückzug ins Private, er ist komplett: Jede Kampfeslust - nicht nur für das große Ganze, auch für das eigene Glück - ist aus ihren Körpern gewichen. Das Draußen ist zum Feind geworden, einem übermächtigen Feind, dem es sich die Stirn zu bieten nicht mehr lohnt. Den schier unaufhaltsamen Strom an Krisennachrichten, die über TV und Radio in die Haushalte der Protagonisten gespült werden, lässt Gassmann in einem unverständlichen Hintergrundrauschen verschwimmen, eben jenem schmerzhaften Fiepen und Rauschen, das aus unseren alten Röhrenradios tönt, wenn wir dem richtigen Kanal hinterherspüren.

Gefickt von der Zukunft

Wie damals im Kinderzimmer, als wir uns vor bösen Männern und Nachtmahren fürchteten, bleibt das Bett als letzter Zufluchtsort vor dieser Kakaphonie der Krise. Alle vier Paare sehen wir irgendwann nackt, schauen und hören ihnen beim Sex zu: Die Körper ineinander verkrallt verschaffen sie sich eine kurze Atempause vor den übermächtig wirkenden Problemen, die draußen auf sie warten. Gefickt von der Zukunft? Fuck the Future!

Doch nur, weil die Kamera beim (mutmaßlich echten) Sex dabei ist, bedeutet das nicht, dass wir Zuschauer automatisch Nähe und Mitgefühl spüren. Hier scheitert der Film leider an seinem Anspruch: Das Versprechen, ganz nah an seinen Protagonisten dran zu sein, wird nicht eingelöst - obwohl Gassmanns Kamera die acht sogar bis ins Schlafzimmer und unter die Dusche begleitet. (Oder gerade deswegen?)

Schuld trägt das Format, das als reiner Spielfilm wohl besser funktioniert hätte: Offiziell unter „dokumentarisch“ firmierend, im Infoblatt zum Film als „halbdokumentarische Annäherung an die Befindlichkeiten der Generation zwischen 20 und 30 in Europa“ angegeben, bleibt der Verdacht des Konstrukts, der Scripted Reality. Zu pointiert wirken die Dialoge bisweilen, um als Gespräche durchgehen zu können, die das Filmteam zufällig eingefangen hat. Ähnliches lässt sich für die Kamera feststellen, die die wichtigen Wendepunkte und Gespräche ein wenig zu gut in Szene setzt, bei den Bettszenen aber zu präsent bleibt. Zugegeben: Ich mag mich irren. Vielleicht hatte Kameramann Ramon Giger wirklich ein so nahes Verhältnis zu allen vier Paaren, dass er ihnen über Wochen Tag und Nacht folgen durfte – und sich die Filmemacher wirklich die Rosinen herauspicken konnten. Ohne dieses Wissen, ohne diese Einordnung muss sich der Zuschauer aber unweigerlich fragen: Wieviel vom hier gezeigten Leben der vier Paare ist wirklich real, wieviel ist inszeniert?

Fazit: Mut für die Zukunft der EU macht diese Annäherung an das Lebensgefühl junger, krisengeplagter Europäer keine. Dass sich diese depressive und antriebslose Generation noch einmal münchhausengleich am eigenen Schopfe aus dem Morast zieht, ist nicht mehr zu erwarten. Somit mag Europe, She Loves vor allem als Warnung zu verstehen sein, sich trotz immer neuer Hiobsbotschaften (looking at you, Polen) eben nicht dem Rückzug ins Private hinzugeben. Das „halbdokumentarische“ Format schadet dem Film aber - und raubt ihm eben jene Nähe, die er so sehr anstrebt.

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Europe, She Loves. Von Jan Gassmann. Schweiz/Deutschland. 100 min. Estnisch, Spanisch, Griechisch, Englisch. Berlinale-Kategorie: Panorama Dokumente. 

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Ich bin ein Berliner - dieser Artikel stammt von unserem cafébabel Berlin-Team.