Fight Club Europa
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18 Monate lang haben Studierende der französischen Hochschule Sciences Po und der FU Berlin für die Initiative TerraEuropa untersucht, wie junge Franzosen und Deutsche zu Europa stehen. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. In einem offenen Brief richten die Studierenden im Vorfeld der Europawahl einen eindringlichen Appell an den französischen Präsidenten Hollande und die Bundeskanzlerin Merkel.
Mario Jendrossek blinzelt vor dem Bundeskanzleramt in die Sonne. Er wartet auf das Signal vom Fotografen, den soeben unterzeichneten Brief in den symbolischen Briefkasten zu werfen. Nach dem Fototermin gibt Mario den Brief zunächst im Bundeskanzleramt, später in der französischen Botschaft persönlich ab. Der Deutsche studiert an der französischen Hochschule Sciences Po und engagiert sich seit anderthalb Jahren für die Initiative TerraEuropa.
Gemeinsam mit anderen Studierenden aus Frankreich und Deutschland hat Jendrossek die Einstellung seiner Generation zu Europa untersucht. 2000 junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren hat das internationale Marktforschungsinstitut Ipsos für die Studie befragt. In sogenannten Fokusgruppen wurden die Ergebnisse anschließend mit Pariser und Berliner Studierenden vertieft. Welches Bild haben sie von Europa? Was sind ihre Wünsche und Forderungen?
„Wir haben herausgefunden: Europa ist für viele junge Erwachsene zu einer Art Fight Club verkommen“, sagt Mario. Mit einer Jugendarbeitslosigkeitsquote von rund 25 Prozent, in einigen Ländern sogar von über 50 Prozent, gerieten die jungen Europäer zunehmend unter Druck. Jeder kämpfe gegen jeden. „Wir wollen auf die Wünsche der jungen Generation an Europa aufmerksam machen“, erklärt Mario. „Die EU und ihre Bürger müssen sich wieder annähern, um euroskeptischen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen.“
New Deal und Bürgernahes Europa
Neben der hohen Jugendarbeitslosigkeit bewegen auch andere Themen die jungen Europäer, wie die Studierenden herausfanden. Aus den Ergebnissen der Umfrage und der Fokusgruppen erarbeiteten sie vier Kernforderungen der europäischen Jugend, die sie in einem offenen Brief an Präsident Hollande und Bundeskanzlerin Merkel zusammenfassten: eine europäische Bildungsoffensive, einen dynamischen europäischen Arbeitsmarkt, einen europäischen Green New Deal und ein bürgernahes Europa. In dem EuroPaper schlugen sie zudem konkrete Maßnahmen vor, um diese Ziele zu erreichen.
Der offene Brief soll als Denkanstoß dienen. TerraEuropa-Botschafterin Lucile Tronel sagt: „Wir brauchen eine neue Vision für Europa, um den Zusammenhalt der Mitglieder wieder zu stärken und eine europäische Identität zu fördern. Mit TerraEuropa bekommen die Jugendlichen Europas eine Stimme.“ Im Vorfeld der Europawahl sucht TerraEuropa daher den Austausch mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch nach der Wahl wird die Initiative fortgesetzt: In Zukunft will TerraEuropa die Studie auf weitere EU-Staaten in Süd- und Osteuropa ausweiten. Die nächste Etappe: Spanien.
Sonje Schwennsen studiert derzeit an der Freien Universität Berlin und engagiert sich seit Oktober 2013 bei TerraEuropa. Mehr Informationen zu TerraEuropa gibt es hier.