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Fátima Mohamed Kaddur: "Die Leute verwechseln Machismus mit dem Islam"

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BrunchPolitik

Die 43-jährige Fátima Mohamed, Stadträtin der spanischen Volkspartei Partido Popular (PP) und praktizierende Muslimin, über Politik und Religion in Europa.

Gines ist eine Stadt in der spanischen Provinz Sevilla und zählt etwas mehr als 12.000 Einwohner. Ende April steigt das Thermometer bereits auf über 30 Grad und wir treffen uns mit Fátima Mohamed Kaddur vor dem Sitz der Guardia Civil. Fátima wird von Maria, einer Freundin, begleitet. Sie hat eine sehr herzliche Art und führt uns zum Sitz der PP in Gines: An den Wänden sind eine spanische und eine andalusische Flagge sowie ein Bild des Parteivorsitzenden Rajoy angebracht.

©Bénédicte SalzesFátima ist 43 Jahre alt und stammt ursprünglich aus Melilla, einer autonomen spanischen Stadt an der Mittelmeerküste von Marokko, die während der Reconquista im Jahre 1497 von den katholischen Königen für Spanien erobert wurde. Die Vorstellung, dass eine Muslimin Mitglied einer rechten, katholisch orientierten Partei wie der spanischen Volkspartei ist, mag seltsam erscheinen. Nachhaken, sage ich mir. Doch ich komme gar nicht dazu, die Frage zu stellen. Sie antwortet von sich aus: "Ich weiß, dass viele sich über eine Muslimin mit Kopftuch in der PP wundern. Ich fühle mich in meiner Partei integriert, respektiert und willkommen. Zu sagen, die PP sei rassistisch, ist schlichtweg eine Lüge. Und wenn sich die Partei in Einwanderungsfragen stark macht, dann, weil sie will, dass Immigranten einen Vertrag bekommen und wie alle anderen hier leben können." 

Obwohl 45 Prozent der Bevölkerung von Melilla Muslime sind, ist die Stadt auch von einer rechtsorientierten 'spanischen' Tradition geprägt. Die marokkanische Regierung hat mehrmals ihren Willen geäußert, Melilla, Ceuta sowie kleinere Inseln wieder zu annektieren. Doch weder Spanien noch die beiden Städte haben diese Möglichkeit in Erwägung gezogen. Weil sie sich als Teil Spaniens fühlen.

Parteimitglied in 5 Minuten

Fátima tritt bereits ihre zweite Legislaturperiode als Stadträtin in Gines an. Zusätzlich ist sie die Beauftragte für Einwanderungsfragen der Provinz Sevilla. "Ich bin vor über 15 Jahren in die Politik gegangen, weil ich in Melilla geboren bin, in einem armen muslimischen Viertel, das von den Politikern vergessen wurde", erzählt sie. "Ich war eine unruhige Person, hatte Probleme mit meinem Vater und meiner Familie. Ich sah, dass das Viertel Trinkwasser, eine bessere Abwasserversorgung und Straßen brauchte.“ Damals regierte die Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE, des Premierministers Zapatero, A.d.R.) die Stadt und Fátima wurde Oppositionsmitglied. "Als ich eines Abends mit einer Freundin spazieren ging, kamen wir am Sitz der PP vorbei. Ich ging hinein und da war ein junger Mann, den ich kannte. Ich habe ihm gesagt, dass ich in keiner Partei Mitglied bin, aber gern für die anderen arbeiten würde. Er hat mich gefragt, ob ich Mitglied werden wollte. Und ich habe angefangen, mit der PP zu arbeiten."

Seit dem Beginn ihrer Karriere kümmert sie sich vor allem um die Angelegenheiten in Melilla, auch heute noch, nachdem sie mit ihrem Mann nach Sevilla gezogen ist. Fátima Mohamed Kaddur ist Bezirksvorsitzende der Afammer (Asociación de familias y mujeres del medio rural, einer Vereinigung für Familien und Frauen auf dem Land), die sich für die Bildung, den Einstieg in die Arbeitswelt und gegen Frauengewalt einsetzt. Außerdem hält sie an der Universität für Telekommunikation in Sevilla eine Vorlesung mit dem Titel 'Religion und Gesellschaft'.

Flamenco mit Kopftuch

Im Februar 2008 hat der Parteivorsitzende der PP nach dem französischen Modell einen eingeschränkten Gebrauch des Kopftuchs vor allem in spanischen Schulen vorgeschlagen. Fátima hat sich sofort und öffentlich gegen ihren Parteivorsitzenden gestellt. Heute weiß sie, dass die Medien den Fall kurz vor den Wahlen instrumentalisiert haben: "Meine Partei hat mich auf jeden Fall unterstützt. Als Rajoy sich geäußert hat, habe ich gesagt 'Das Kopftuch bleibt'. Die Partei hat mich unterstützt und gerade aus diesem Grund ist das Kopftuch für mich kein Hindernis."

Als Rajoy sich geäußert hat, habe ich gesagt 'Das Kopftuch bleibt'.

"Das Kopftuch bedeutet Integration und allein dafür setze ich mich ein. Ich fühle mich nicht diskriminiert. Ich nehme zum Beispiel mit meinen Arbeitskolleginnen am Rocío teil (religiöse, katholische Wallfahrt in Spanien, die vor allem in Andalusien sehr stark verwurzelt ist, A.d.R.)", ich kleide mich wie eine 'Flamenca', aber mit Kopftuch. Das bedeutet vollständige Integration und dient dem Kampf gegen Rassismus." An Multikulturalismus kann man nur glauebn, wenn man ihn auch erfahren hat: "In Melilla gibt es gemischte Schulklassen und die Kinder gewöhnen sich von klein auf daran."

Ein Kaffee mit Sarkozy

Fátima war 22 Jahre lang mit einem Sevillaner verheiratet. Heute lebt sie getrennt und hat drei Kinder, zwei Töchter im Alter von 21 und 13 Jahren und einen dreizehnjährigen Sohn. Tragen Ihre Töchter ein Kopftuch? "Ich folge dem Beispiel meiner Familie. Mein Vater ist über 80 Jahre alt und hat mich nie zu irgendetwas gezwungen. Meine Mutter trug zeit ihres Lebens ein Kopftuch. Ich bin zwar praktizierende Muslimin, aber als ich noch nicht verheiratet war, trug ich mein Haar offen: Ich habe erst nach der Hochzeit begonnen ein Kopftuch zu tragen. Es gäbe keinen Grund, warum ich meine Töchter zwingen sollte. Die ältere Tochter sagt, sie würde es nach Abschluss des Studiums tragen: Wenn gesagt wird, dass die Muslime die Töchter dazu zwingen, das Kopftuch zu tragen, ist das purer Unsinn. Die Leute verwechseln Machismus mit dem Islam."

Ich habe erst nach der Hochzeit begonnen ein Kopftuch zu tragen. Es gäbe keinen Grund, warum ich meine Töchter zwingen sollte.

Ein Teil von Fátimas Familie lebt in Frankreich und auch hier gilt die Regel: Jeder entscheidet für sich! Fátima würde gerne nach Paris gehen, um die Politik des französischen Staatspräsidenten zu „testen“: „Ich würde gerne mal mit Herrn Sarkozy ein paar Worte zum Thema Einwanderung und Religion wechseln.“ Fátima hat in der Tat eine klare Haltung zur Problematik: Auf die Frage zur Moschee, die 2010 in Sevilla entstehen soll, äußert sie ihre Zweifel, sagt schließlich aber: "Ich bin Politikerin und befasse mich nicht mit religiösen Fragen."

Nach dem Interview gehen wir einen Kaffee trinken. In der Bar redet Fátima mit den Leuten, sie grüßt, lächelt und setzt sich. Wir rauchen eine Zigarette (die spanische Gesetzgebung ist im Europavergleich gnädig) und unterhalten uns über den Alten Kontinent. Für sie ist Europa ein Ort, an dem man viel machen kann, aber wo die eigene Geschichte weitergeschrieben werden muss. „Um zu funktionieren, muss die EU eine Union von Ländern sein. Doch ohne tragende Säulen bleibt ein Haus nicht stehen.“ Jeder kämpft für sich, „aber die Union macht die Stärke aus.“

Danke an Bénedicte Salzes und José R. de Arellano.

Translated from Fátima Mohamed Kaddur: «Il velo è integrazione»