„Fairer Handel ist keine Wohltätigkeit, sondern eine Handelsalternative“
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marina beckerWie lässt sich der Boom des „Fair Trade“ in Europa erklären? Ein Gespräch mit Gaga Pignatelli, Italiens Vertreterin in der International Fair Trade Association.
660 Millionen Euro Umsatz in einem Jahr bedeuten eine zweieinhalbfache Umsatzsteigerung gegenüber 2001. Nach dem letzten Fair Trade-Bericht aus dem Jahr 2005 entwickelt sich der faire Handel in Europa ausgezeichnet. Doch ist seine Zukunft wirklich nichts als rosig? Wir sprachen mit Gaga Pignatelli, der Vorsitzenden von Agices, der italienischen Vereinigung der Fair-Trade-Organisationen. Pignatelli ist zugleich die italienische Vertreterin in der International Fair Trade Association.
Frau Pignatelli, eine Untersuchung der beiden Mailänder Universitäten Cattolica und Bicocca kam im Jahr 2004 zu dem Schluss, dass der faire Handel für die Entwicklungsländer eine attraktive Alternative sei. Warum?
Fairer Handel will ökonomische und soziale Entwicklungen auszulösen. Es handelt sich hierbei nicht um eine besondere Form von Wohltätigkeit, sondern um eine wirkliche Alternative zum herkömmlichen Handel. Er beweist auch, dass eine Wirtschaft möglich ist, die Menschenrechte und die Umwelt respektiert.
Die Ressourcen werden anders verteilt. Einfache, aber grundlegende Regeln werden eingehalten: Der Arbeiter erhält einen gerechten Preis für seine Leistung. Die Handelsbeziehungen werden transparenter, da die Arbeit Minderjähriger nicht ausgebeutet wird und den Bedürfnissen der Umwelt Rechnung getragen wird. Im Gegensatz zur traditionellen Wirtschaft tragen dabei alle Teilnehmer Verantwortung, vom Produzenten bis zum Konsumenten.
79 000 Verkaufstellen und eine Steigerung der Verkaufszahlen um 20 Prozent im Jahr 2000: In der Europäischen Union erlebt der faire Handel einen Boom. Handelt es sich dabei nicht nur um eine vorübergehende Modeerscheinung?
Ich glaube nicht. In den Ländern Nordeuropas gibt es den fairen Handel schon seit 50 Jahren und in Italien seit fast 30 Jahren. Die Menschen greifen immer öfter zu „reinen“ Produkten. Sie wollen wissen, was sich hinter ihren täglichen Einkäufen verbirgt.
Zeigen sich auch im Marketing Unterschiede zwischen fairem und traditionellem Handel?
Im Mittelpunkt steht weniger das Produkt, als der Produzent und das Projekt. Es wird großen Wert auf die Verantwortung der Konsumenten gelegt, auf die Macht, die von seiner freien Wahl ausgeht und auf die Veränderungen, die jeder von uns durch seine Kaufentscheidung auslöst. Aus Kostengründen setzen wir auf das Internet, auch wenn in den letzten Jahren in einigen Fällen auch traditionelle die Anzeigenwerbung in Zeitungen und Fernsehen einbezogen wurde. Es waren aber nie reine Werbe-Kampagnen.
Wie wird der faire Handels geregelt? Existieren unterschiedliche nationale Gesetzgebungen oder kann auf eine gemeinsame europäische Norm Bezug genommen werden?
Es existieren keine spezifischen nationalen oder europäischen Regelungen. Natürlich haben wir den Beschluss des europäischen Parlamentes zum fairen Handel vom Juli 2006 zu würdigen gewusst. Dieser Beschluss hat aber keine rechtliche Verbindlichkeit.
Allerdings bahnen sich in verschiedenen europäischen Ländern Initiativen zur gesetzlichen Normierung an. Vor allem in Frankreich, Belgien und Italien. Doch es mangelt immer noch an einer Koordination dieser unterschiedlichen gesetzlichen Initiativen.
Nach Meinung einiger Experten ist das Marktmodell des fairen Handels nicht effektiv. Der Philosoph Fritjof Capra hat darauf hingewiesen, dass die ökologische Landwirtschaft in Brasilien zu Lasten des Regenwaldes geht und dass der Boden, der durch die Abholzung gewonnen wird, nur wenige Jahre fruchtbar bleibt. Ist diese Kritik berechtigt?
Uns ist jede Kritik willkommen, allerdings sollte sie konstruktiv sein. Fairer Handel will zeigen, dass eine andere Wirtschaft möglich ist oder möglich sein könnte. Aber es ist natürlich kein perfektes System.
Es wäre wichtig, häufiger über positive Fälle zu berichten, die Produzenten aus den Regionen zu fragen, in denen der faire Handel einen Fortschritt gebracht hat. Auch sollte man mit den Tausenden von Freiwilligen zu sprechen, die seit Jahrzehnten diese Organisationen unterstützen. Noch wichtiger wäre es allerdings, dass vor allem den Ökonomen bewusst wird, dass das traditionelle Wirtschaftssystem schon deshalb ungeeignet ist, weil es Ungleichheit und Ungerechtigkeit schafft und die Umwelt zerstört.
Translated from «Il commercio equo? Non è beneficenza, ma un’alternativa»