Fabio De Masi: „Wir feiern das Wirtschaftswunder“
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Fabio de Masi ist mit 34 Jahren ein Küken im Europäischen Parlament. Der Linke mit einem deutschen und einem italienischen Pass, ist gerade das erste Mal ins Europäische Parlament eingezogen und interessiert sich vor allem für Wirtschaft. Wir reden über erste Eindrücke, Martin Schulz und den Ort, an dem die Musik gespielt wird.
Cafébabel : Was waren deine ersten Impressionen vom politischen Europa?
Fabio de Masi: Das erste, was ich in Straßburg während der Plenarwoche gesehen habe, sind viele Menschen, die orientierungslos durch Gänge eilen und versuchen ihr Büro zu finden. Ich bin noch dabei mir eine Wohnung zu suchen. Auch in meiner Fraktion müssen sich auch erst mal alle kennenlernen, da wir alle aus unterschiedlichen Ländern kommen und unterschiedlichen Parteien angehören.
Cb: Also wie am ersten Schultag?
FdM: Eher wie am ersten Unitag. Ich habe gedacht, dass ich doch lieber was mit Kunst studiert hätte (lacht).
CB: Magst du Brüssel?
FdM: Belgien bietet ein paar Absurditäten. Sie tapen zum Beispiel ihre Verkehrsschilder und reparieren alles auf sehr eigenwillige Art. Ich mag Brüssel aber auch wegen seiner französischen Einflüsse sehr gerne.
Cb: Wolltest du schon immer ins Europaparlament?
FdM: Die EU ist undemokratisch. Es fehlt zudem eine europäische Öffentlichkeit. Der Einfluss von Lobbyisten ist groß. Gleichzeitig werden auf europäischer Ebene sehr wichtige Entscheidungen getroffen. Ich wollte schon immer dahin, wo die Musik spielt.
CB: Was bedeutet das für deine persönliche Situation?
FdM: Der Einzug ins Parlament gedeutet jetzt viel Veränderung in meinem Leben: ich habe viel weniger Zeit für meinen kleinen Sohn. Ich bin ständig unterwegs und bekomme überall den Eindruck vermittelt, als wäre ich unglaublich wichtig. Ich weiß aber wo ich herkomme und ich mache diesen Job im Europaparlament ganz nüchtern.
Cb: Was hast du eigentlich gegen Martin Schulz, dass du ihn nicht zum Präsidenten des Europäischen Parlaments wählen wolltest?
FdM: Ich habe nichts persönlich gegen ihn. Wir haben ja die gleiche Meinung wie er: die europäische Union ist tödlich bedroht. Wir müssen darüber sprechen, dass in Europa 57 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl gegangen sind. In Frankreich und Großbritannien sind rechte Parteien an die Macht gekommen. Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht begriffen hat, dass es in Europa fünf vor zwölf ist, dem kann man nicht mehr helfen.
Cb: Wenn ihr die gleiche Meinung habt, warum hast du ihn dann nicht gewählt?
FdM: Die Frage ist, welche politischen Schlussfolgerungen man daraus zieht. Nicht nur die EU, vor allem die Lebensverhältnisse von Millionen Menschen sind in Europa bedroht. Aber auch die Menschen in Deutschland mit kleinen und mittleren Einkommen hatten einen Reallohnverlust aufgrund der Agenda 2010, die von Martin Schulz‘ Partei verabschiedet wurde. In der Krise haben die Sozialdemokraten die vermeintliche Euro Rettung mitgetragen. In Wahrheit war die Griechenland-Rettung eine Rettung der deutschen, schweizerischen und französische Banken. Martin Schulz sagt, dass es gegen das Spardiktat in Europa keine Mehrheiten gibt, dabei war es seine Partei, die die Mehrheit für Kürzungspolitik geschaffen hat, die Europa tiefer in die Depression führte.
CB: Gerade wurde in Deutschland ein Mindestlohn von 8,50 Euro durchgesetzt. Deine Partei fordert eine Erhöhung auf 10 Euro. Warum eigentlich?
FDM: In Frankreich, das eine vergleichbare Produktivität hat, gibt es bereits einen Mindestlohn von fast 10 Euro.
CB: Aber in Frankreich gibt es auch mehr Arbeitslosigkeit. Gehen dann nicht Arbeitsplätze in Deutschland verloren?
FdM: Wenn Firmen Produkte verkaufen wollen, dann brauchen sie dafür Arbeitskräfte. Und wenn die Leute kein Geld in der Tasche haben, können sie keine Produkte kaufen. In der Mehrzahl der europäischen Länder gibt es einen Mindestlohn. Luxemburg hat einen Mindestlohn und eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit. Fast alle seriösen Studien finden keinen Zusammenhang zwischen Mindestlöhnen und Arbeitslosigkeit oder sogar positive Effekte auf die Beschäftigung.
CB: Als Experte für Wirtschaft, kannst du uns verraten, warum Deutschland so gut aus der Krise gekommen ist?
FdM: Ich kann darüber nur drüber schmunzeln. Wir Deutschen hatten vor der Euro-Krise eine der schwächsten Wachstumsraten Europas, trotz unserer hohen Exportüberschüsse. Im Jahr 2013 hatten wir ein Wachstum von 0,4 Prozent. Früher hätte sich eine Regierung für so etwas geschämt, heute feiern wir das als Wirtschaftswunder. Das wir besser da stehen als andere ist doch kein Wunder. In Deutschland gab es nicht derartig heftige Kürzungspakete.
CB: Warum wurde jetzt letztendlich doch Jean-Claude Juncker als Präsident der Europäischen Kommission gewählt?
DdM: Angela Merkel und Sigmar Gabriel (deutscher Vize-Kanzler und Vorsitzender der SPD, Anmerkung der Redaktion) haben das entschieden. In Europa wird nichts gegen die Stimme der Bundesregierung gemacht. In einer echten Demokratie hätte sich etwa der Kandidat der Europäischen Linken, Alexis Tsipras, dem Parlament zur Wahl stellen können.
CB: Wenn du nach Brüssel zurückfährst, was machst du als nächstes?
DdM: Als erstes werde ich meine Übergangswohnung dort beziehen und vielleicht mal ein bisschen Sport machen. Das ist nämlich zu kurz gekommen in letzter Zeit.