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Explosionsgefahr: Viken Berberians "The Cyclist"

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Elf Jahre nach der Veröffentlichung von Viken Berberians erstem Roman in den USA, damals am Rande der Geschehnisse von 9/11, findet das Werk des amerikanischen Autors armenischer Herkunft, The Cyclist, nun auch Platz in den Regalen europäischer Buchhandlungen. Die Fiktion über Terrorismus wird unerwartet von Fahrrad, Liebe und hausgemachter Küche umrahmt.

Der Autor hat darauf bestanden, uns einen kleinen Besuch in der Redaktion abzustatten.

« Hallo, bin ich hier bei cafebabel.com?“ Es war nichts zu machen, er wollte einfach vorbeikommen. Im Türrahmen steht ein kleiner, glatzköpfiger Mann, der seine Baskenmütze gegen den Bauch drückt und strahlt wie ein zappelndes Kind, wenn es Süßigkeiten sieht. Als er hereingebeten wird, scheint es fast, als wolle er jemandem ungeduldig zwischen die Beine krabbeln. Nachdem er über das organisierte Chaos in der Redaktion meditiert hat – „Oh, ihr habt euch aber gut eingerichtet“ – nimmt er Platz, stellt viele Fragen, verlangt nach einem Glas Wasser und ist besorgt, ob das Interview auf Englisch stattfinden wird. Das alles in einem perfekten Französisch, gefärbt von einem ganz leichten Akzent, der ihn zugegebener Weise äußerst sympathisch macht. Zum ersten Mal empfängt das europäische Magazin einen Schriftsteller in der Rue Saint Denis.

Vom Journalismus zur Finanzwelt

Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass Viken Berberian unerwartet durch eine Tür geht. Geboren im westlichen Stadtteil der libanesischen Hauptstadt, Beiruts muslimischem Viertel, fliegt er auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg nach Los Angeles. Das war im Dezember 1975, Viken war damals gerade neun Jahre alt. In der Stadt der Engel finden er und seine Eltern Anschluss an eine armenische Gemeinschaft. Zehn Jahre später erfährt der 19-Jährige am Telefon vom Tod seines Vaters, der von einer Terroristensplittergruppe im Libanon umgebracht wurde.

Kurze Zeit später zieht er nach New York, um sein Glück an der Columbia University zu versuchen und Journalismus zu studieren. Er entpuppt sich als brillanter Journalist mit ungewohntem Weitblick, dem man nur selten in der Branche begegnet. Erst nachdem er ein paar Jahre bei der Los Angeles Times verbracht hat, wird der Journalist Berberian das Ufer wechseln, das er selbst als „Dark Side“ bezeichnet: die düstere Welt der Hedge-Fonds und Finanzen. Teile jenes Kosmos lernt er kurz in New York kennen.

Danach zieht er nach Marseille, wo er seinen zweiten Roman Das Kapital verfasst (2009 in Frankreich erschienen, aber bereits 2007 in den USA veröffentlicht, sprich vor der Subprime-Krise). Es ist die Geschichte eines Traders, der den Lauf der Welt zu verändern versucht, indem er seine Gewinne steigert. Das Buch hat zur Folge, dass Viken Berberian als unverfrorene aber unheimlich weitsichtige Person angesehen wird, ein echter Visionär.

Heute lebt der 46-jährige in der armenischen Hauptstadt, Eriwan. Spricht man ihn auf die eigens erfahrenen „Dämonen der Dark Side“ an, lächelt er und fügt ergänzend ein, dass er seine aktuellen Recherchen über das mittelalterliche Priestertum im Matenadaran, eine der umfassendsten Sammlungen von Dokumenten und Manuskripten auf der Welt, „friedvoll“ führe.

"Im Grunde, weiß ich, dass ich ein Schriftsteller bin, aber ich weiß auch, dass ich nicht nur das sein will", erzählt er uns und starrt dabei in die Luft. „Allerdings bin ich kein Künstler. Um einer zu sein, muss man Risiken eingehen. Mehr als ich es bisher tue." Der Anlass seiner Frankreich-Reise stellt allerdings schon ein nicht unbeachtliches Risiko dar. Elf Jahre nach der Veröffentlichung seines ersten Romans, The Cyclist, in den USA, hat sich nun auch der französische Verlag Au Diable Vauvert entschieden sein Werk herauszugeben.

The Cyclist ist eine Ich-Erzählung, die von den Gedanken und Überlegungen eines Mannes handeln, der Mitglied einer Terrorgruppe ist und zum Ziel hat, eine Bombe mit dem Fahrrad abzusetzen. „Ich habe 1997 angefangen, die Geschichte zu schreiben, weit vor den Attentaten. Als das Buch erschienen ist (wenige Monate nach den Terroranschlägen des 11. Septembers), gab es Kritik. Eine Journalistin wies mich zurecht: „Das ist nicht der Moment, um politische Gewalt zu relativieren“.

Wenn er wollte, könnte sich der amerikanische Autor heute damit brüsten, dass er einer der wenigen Autoren ist, der eine « literarische Antwort » auf den 11. September gegeben haben. Aber Viken Berberian will es nicht riskieren in solche Kontroversen verwickelt zu werden. Schließlich war die Kongruenz ein purer Zufall. „Ein Schriftsteller steht über dem aktuellen Tagesgeschehen. Ein Buch muss die Grenzen von Ereignissen übertreffen. In The Cyclist entschuldige ich keineswegs den Terrorismus. Im Gegenteil, es geht um die absolute Ablehnung politischer Gewalt.“

Auch ein Terrorist kann lieben

Während das Buch auf 285 Seiten das Bild eines Terroristen malt, der im Libanon ein Bombenattentat plant, verwässert Viken Berberians Schrift die Frage der Politik durch immerwährende Abschweifungen und Exkurse in Kochkunst oder Sex. „Ich habe einen sehr spielerischen Schreibstil, der es mir ermöglicht, die Politik in den Hintergrund zu drängen“, erklärt er. Die Hauptfigur wird zwar von einer Terrorzelle, der so genannten „Akademie“, ferngesteuert, aber der Autor gibt sich alle Mühe auch andere Seiten zu zeigen, ihn mal als Mampfbacke („Ich kann kein Essen ablehnen“) oder als lüsternen Kerl darzustellen. „Ich habe versucht ihn menschlicher zu machen. Wenn Journalisten von Terroristen sprechen, reden sie nur über den Gewaltakt. Aber auch ein Terrorist isst und verliebt sich. Also habe ich versucht, mich in seinen Kopf zu versetzen, um seine Psychologie besser zu verstehen.“ Ein Satz aus dem Buch, das sich an die freie Welt richtet, illustriert Berberians Intention besonders gut: „Unter unserem verhärteten Panzer, der dicker als eine Nussschale ist, sind auch wir Menschen - genauso wie ihr“.

Berberians Cyclist liest sich nicht wie eine Abhandlung über den zeitgenössischen Terrorismus, sondern eher wie eine Meditation über die Absurdität einer Existenz, die sich der Erfüllung schlichter Freuden widmet (Lieben, Essen, Fahrrad fahren). The Cyclist ist eine Metapher des Lebens und der Gewalt. Und das Ergebnis einer persönlichen Erfahrung. „Ich liebe das Fahrradfahren und ich hatte einen Freund, der die Strecke von Paris bis in die Provence mit mir fahren wollte. Zwei Wochen vor unserer Reise hatte er einen schweren Unfall und ist ins Koma gefallen. Und das alles nur, weil er seinen Fahrradhelm nicht auf hatte“, erzählt Viken, sichtlich noch mit Wut im Bauch. Die ersten Zeilen seines Buches fangen wie folgt an: „Das Tragen eines Helms ist unverzichtbar, wenn man Fahrrad fährt. Der Helm muss gut sitzen. Der Kinnriemen muss festgezogen sein und der Klipp muss richtig einrasten“. Auch Terroristen können Unfallprävention betreiben.

Illustrationen: Teaserbild und im Text ©Éditions Au Diable Vauvert

Story by

Matthieu Amaré

Je viens du sud de la France. J'aime les traditions. Mon père a été traumatisé par Séville 82 contre les Allemands au foot. J'ai du mal avec les Anglais au rugby. J'adore le jambon-beurre. Je n'ai jamais fait Erasmus. Autant vous dire que c'était mal barré. Et pourtant, je suis rédacteur en chef du meilleur magazine sur l'Europe du monde.

Translated from Viken Berberian, Le Cycliste : écriture à la bombe