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Expats in Brüssel: potentiell depressionsgefährdet?

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Brüssel

Von Charline Cauchie Übersetzt von Maike Wohlfarth Vor Kurzem wurde eine beunruhigende Studie veröffentlicht, der zufolge mehr als jeder dritte EU-Bürger mindestens einmal im Jahr an einer psychischen oder neurologischen Störung leidet. Es seien vor allem leichte, aber belastende Störungen, wie Schlaflosigkeit, oder auch für sich und seine Umwelt gefährliche Störungen, wie beispielsweise Demenz.

Diese Zahlen sind beängstigend und werfen vor allem eine Frage auf: Sind einige Berufsgruppen besonders gefährdet an derartigen Störungen zu erkranken? In Brüssel haben die Angestellten der europäischen Institutionen den Ruf, häufig dem Stress und verschiedenen Suchtkrankheiten zum Opfer zu fallen – nichts als Vorurteile oder doch die Wahrheit? Die anonymen Bekundungen einer Angestellten scheinen den Mythos und die Tabus um die depressiven Expats zu bestätigen.

Margarita* ist Spanierin und lebt seit mehr als 15 Jahren in Belgien. Sie kam, um zu studieren und ist schließlich geblieben, um zu heiraten. Es war nicht ihr größtes Ziel für die europäischen Institutionen zu arbeiten, aber sie hat das Auswahlverfahren durchlaufen und es hat geklappt. Sie arbeitete mehrere Jahre für dieselbe Generaldirektion bis man ihr vor drei Jahren einen neuen Posten zuteilte: „Die Europäische Kommission verfolgt eine starke Mobilitätspolitik, wodurch man ungefähr alle 7 Jahre den Arbeitsbereich wechselt.“ Margarita wurde damit in eine andere Generaldirektion versetzt, mit neuen Vorgesetzten und Kollegen und, vor allem, neuen Verantwortlichkeiten: „Da hatte ich einen Burnout. Es ging los mit Schlafstörungen. Ich konnte nicht mehr einschlafen auf Grund des Stresses. In meiner neuen Stelle hatte ich wesentlich mehr Verantwortung zu tragen, vor allem auch finanzielle. Ich fühlte mich absolut nicht bereit dafür, habe schlecht geschlafen und schlecht gegessen. Ich dachte, ich würde es nicht schaffen.“

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„Ich hatte das Gefühl, dem nicht gewachsen zu sein“

Unter ihren neuen Kollegen fühlte sie sich weder gut aufgehoben noch unterstützt: Keiner erklärte ihr ihre neuen Aufgaben, sie hatte das Gefühl wie in einer Arena hin- und hergetrieben zu werden und sich schnellstmöglich beweisen zu müssen. Margarita ist perfektionistisch, wollte ihre Arbeit gut machen, ohne jedoch ihre Familie und ihre damals noch sehr kleinen Kinder zu vernachlässigen: „Ich war während des Studiums immer sehr gut und in der Kommission habe ich versucht, auch unter den Besten zu sein. Das Problem ist, dass es dort viel schwieriger ist, zu den Besten der Besten zu gehören. Zu Beginn war ich vielleicht noch sehr karriereorientiert, aber dann habe ich mich verändert. Ich habe verstanden, dass der Weg, den ich zurückgelegt hatte, mich bereits zufriedenstellte und dass ich sehr an meinem Familienleben hänge.“

„Einige nehmen ihre Arbeit leicht, aber andere wiederum nehmen sie sehr ernst und wenn du der Typ dafür bist, dann ist das Risiko groß, depressiv zu werden.“

Seitdem ist sich Margarita dessen bewusst geworden, dass es vielen anderen Frauen ähnlich erging: „Viele meiner Kolleginnen stellen ihre Karriere für eine gewisse Zeit lang hinten an. Es ist schwierig beides unter einen Hut zu bekommen.“ Es hat einige Zeit gedauert, bis sie sich das Problem, unter dem sie litt, eingestand, denn es bleibt nach wie vor ein Tabuthema in der Arbeitswelt: „Ich habe nur noch schwarz gesehen und es war nicht einfach, damit zurecht zu kommen. Man hört, dass viele Menschen zum Beispiel an Depressionen, Angststörungen oder Alkoholismus leiden, aber im Gegensatz zu einer Krankheit wie Krebs, traut sich niemand darüber zu sprechen.“ Es gibt nur wenige Menschen, die auf der Arbeit über ihre mentalen Probleme sprechen. „Das ist nicht wie ein gebrochenes Bein, man sieht es nicht unbedingt. Ich habe auch versucht es zu verheimlichen.“

„Ich kann mich eigentlich nicht beklagen. Als ich in der Kommission darum gebeten habe, mit einem Psychologen zu sprechen, war dies auch möglich“

Nach einem Monat krankheitsbedingtem Arbeitsausfall, Terminen beim Psychiater und einigen Stunden autogenem Training, begann Margarita wieder zu arbeiten und es war schwierig ihren Kollegen zu erklären, was passiert war. Schlussendlich hat sie jedoch mit einigen ihrer Vorgesetzten darüber gesprochen und diese zeigten viel Verständnis: „Ich habe ihnen erklärt, dass ich nur noch eine 80% arbeiten wollte und sie akzeptierten es. Aber im Endeffekt musste ich dann die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit erledigen.“ Sie wendete sich ebenfalls an den sozialmedizinischen Dienst der Kommission (soweit sie weiß, ein Psychologe für mehrere hundert Angestellte). Man antwortete ihr, dass es in der Kommission keinerlei Strukturen gäbe, um depressionskranken Mitarbeitern zu helfen. „Es gibt nicht so etwas wie die anonymen Alkoholiker, kein Netz, an das man sich wenden kann, keine Gruppe, mit der man über seine Probleme sprechen kann. Das ist wirklich schade.“

„Man müsste besser vorbereitet werden und einen Kurs zur Bewältigung von Arbeitsstress haben. So etwas gibt es zwar, aber nicht in ausreichendem Maße“

Auch wenn das Schlimmste überstanden ist, geht eine Depression nicht spurlos an einem vorbei und man spürt noch lange Zeit die Nachwirkungen. Mehr als drei Jahre nach ihrem „Burnout“, nimmt Margarita weiterhin einige ihrer Medikamente gegen die Schlafstörungen. Auf Arbeit fühlt sie sich immer noch geschwächt; „Ich kann dem Stress nicht mehr so gut standhalten wie früher.“ Sie würde allen Menschen, die sich in der gleichen Situation befinden, gern sagen: „Zieht euch nicht zurück und redet darüber! Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber man darf sich nicht von der Arbeit ,auffressenʻ lassen. Man muss ein gewisses Gleichgewicht im Leben bewahren und wenn man weit weg von seiner Familie ist, muss man sich einen Freundeskreis aufbauen, dem man wirklich vertraut.“ Heute fühlt sich Margarita wesentlich stabiler, ihre Kinder sind nun älter, außerdem und sie hat angefangen Gitarre zu spielen, ein alter Jugendtraum. In drei oder vier Jahren wird man sie wieder in einen neuen Bereich versetzen und ihr neue Aufgaben anvertrauen. Doch jetzt fühlt sie sich besser vorbereitet, um mit den Veränderungen zurecht zu kommen.

Name von der Redaktion geändert, da die junge Frau bevorzugt, anonym zu bleiben

(Foto (cc)TimmyGUNZ/flickr)

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