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Europe, 12 Points. Der Eurovision Song Contest und die Eurogeneration

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Kultur

Euro-was? Am Wochenende findet in Düsseldorf das Finale des Eurovision Song Contest statt. Die heutige Eurogeneration schaut zu – oder weg. Ein Stimmungsbild zum größten Musikwettbewerb der Welt.

55 Jahre wird er alt, der europäische Musikwettbewerb und durchlief über die Jahrzehnte sehr durchwachsene Phasen. Denkwürdige und emotionale, aber auch kuriose Momente gab es über die Jahrzehnte nicht zu knapp. Die heutige Eurogeneration ist mit dem Song Contest aufgewachsen. Während in den Gründerländern seit 1957 schon deren Eltern und Großeltern vor den Fernsehgeräten mitfieberten, wurde der ESC erst 1990 mit der Erweiterung der EBU (Europäische Rundfunk Union)-Länder zu einem gesamteuropäischen Ereignis.

Jeder, das heißt jeder, der sich für den ESC interessiert, verbindet seine eigenen Erinnerungen mit dem Musikwettbewerb. Wie steht es dabei um die heutige Eurogeneration? Ist die Show, die letztes Jahr weltweit über 69 Millionen Zuschauer verfolgten, ein wichtiges Ereignis, das dick im Kalender angekreuzt und entsprechend gefeiert wird, oder ist es eine Veranstaltung für Senioren und Schlagerfreunde? Von Berlin über Helsinki, London und darüber hinaus haben wir einige Stimmen eingefangen, die in ihren Aussagen nicht unterschiedlicher sein könnten.

Ein historisches Ereignis?Während Elliott aus London dem Ereignis völlig gleichgültig gegenüber steht, verhält es sich bei seiner Bekannten Victoria, einer jungen Lehrerin und Künstlerin, völlig anders: „Ich bin noch nie jemandem begegnet, der solch starke Gefühle für den Song Contest hegt wie ich. Es klingt vielleicht lächerlich, wenn ich wegen einer so banalen Sache so emotional werde. Aber es ist eine meiner größten Freuden im Leben und für mich der wichtigste Tag des Jahres.“ Gerne wäre Victoria dieses Jahr nach Düsseldorf gefahren. Doch während sie 2010 in Oslo noch live dabei war, wird sie dieses Jahr mit ihren Freunden zu Hause in England vor dem Fernseher mitfiebern. „Aber egal, ob ich es direkt vor Ort, in einer Bar oder sogar bei mir zu Hause schaue: wenn ich den Song Conest sehe, fühle mich so stark mit Europa und der europäischen Idee verbunden wie sonst nie.“

Bianka kommt aus Deutschland, lebt aber seit einigen Jahren in Südspanien, in einer Touristengegend, in der nicht wenige Bars am 14. Mai den Song Contest zeigen werden. „Meine Meinung? Es ist mir mehr als egal. Beim Song Contest geht’s um nichts als Politik und deshalb schert es mich überhaupt nicht.“

Ostblock- oder Nordblock-Mafia?

Für Charlotta aus Finnland ist der ESC vor allem ein lustiger Event, den man sich gemeinsam anschaut, um sich zu amüsieren. Genervt ist sie allerdings von den Freundschaftsdiensten, die sich Nachbarländer erweisen, indem sie sich untereinander Stimmen zuschustern. 'Ostblock-Mafia' ist ein respektloser Begriff, der in den letzten Jahren aufgekommen ist, doch auch die skandinavischen Länder bewerten sich zuweilen gegenseitig sehr wohlwollend. Charlotta schaut sich den Wettbewerb meist mit Freunden an, zu Hause oder in Bars, allerdings hat sich daraus keine echte Tradition entwickelt und ihr Interesse ist von Jahr zu Jahr schwankend. „Letztes Jahr hatten wir sogar selbst Wetten über den Sieger laufen, aber dieses Jahr weiß ich nicht einmal, wer Finnland repräsentieren wird.“

Hanna, ebenfalls Finnin, ist da ungemein euphorischer. „Schon als Kind war es toll für mich, so lange aufbleiben zu dürfen, um die Show anzuschauen.“ Dieses Ritual hat die Diplomatin, die momentan in der Dominikanischen Republik arbeitet, seitdem aufrecht erhalten und sieht in dem Wettbewerb weit mehr als ein nettes, aber belangloses Spektakel. „Für mich ist Eurovision eine Art kultureller Ausdruck der europäischen Integration seit dem 2. Weltkrieg. Solange wir alle zusammen auf einer Bühne stehen und uns gegenseitig Stimmen geben ist es auch wahrscheinlich, dass wir keine unlösbaren Probleme miteinander bekommen werden.“ Allerdings nimmt auch Hanna nicht alles bierernst, denn statt eines ehrgeizigen Wettbewerbs steht für sie der Spaß im Vordergrund. Ihre Meinung zum finnischen Beitrag in diesem Jahr? „Ein niedlicher Song. Es gefällt mir, dass wir ausnahmsweise mal einen leichten, netten Popsong haben und nicht immer die lauten, nordischen Männer, die aus ihren Höhlen herausschreien so laut sie können!“

Journalistin Ester aus Valencia interessiert sich überhaupt nicht für das ganze Trara und schaut sich den Song Contest auch nie im Fernsehen an, aber einige ihrer Freunde machen daraus ein kleines Familienereignis und versammeln sich mit Bergen von Popcorn und Schokolade vor den Fernsehgeräten. „In Spanien wurde Eurovision erst so richtig populär, als die Teilnehmer mit Hilfe der Fernsehsendung ‘Operación Triunfo‚ ermittelt wurden. Mit dem diesjährigen Beitrag aus Spanien verhält es sich wie mit den meisten: ein einfaches Lied mit bedeutungslosem Text. Es scheint dabei nie um eine wirklich gute Songqualität zu gehen – allerdings finde ich das diesjährige Lied auch nicht abgrundtief schlecht. Es ist einfach ein weiterer, simpler Popsong.“

Siobhán aus Leeds in England mag den ESC und erinnert sich vor allem an die Momente in ihrer Kindheit, als sich die gesamte Familie gebannt um den Fernseher versammelte. „Früher mochte ich die Musik, aber die Balladen, die über die Jahre immer mehr in den Vordergrund traten, sind nicht so mein Fall. Außerdem ärgert es mich auch, dass manche Länder dazu neigen, sich mit ihren Beiträgen an den Vorjahresgewinnern zu orientieren, wie es zum Beispiel im letzten Jahr war, als viele Länder plötzlich Songs mit Folkloretrommeln vortrugen.“ Bezüglich Eurovision fühlt sich Siobhán allerdings nicht als eine typische Repräsentantin der britischen Kultur: „Die TV-Kommentare hier sind oft sehr zynisch und sarkastisch. Bei uns geht es wohl eher weniger um den wahren „Eurovision-Gedanken,“ wie man an den schräg-schlechten Beiträgen der letzten Jahre sehen kann.“

Italien wieder unter den „Big Five“

„In Italien spricht niemand über Eurovision“, meint Francesca aus Bologna. „Die einzigen, die überhaupt darüber berichten, sind einige wenige Zeitschriften für Homosexuelle.“ Francesca schaut generell kein Fernsehen und weiß auch gar nicht, wer der diesjährige Kandidat für Italien ist. Mit ihrer Meinung steht die junge Journalistin sicher nicht alleine da, denn in den letzten 14 Jahren glänzte Italien beim ESC mit Abwesenheit. Das Land, das Anfang der Fünfziger Jahre mit dem San Remo-Festival die Idee für einen europäischen Schlagerwettbewerb schuf, war in letzter Zeit nur noch mittels der Blumen, die den alljährlichen Event ausstatteten, vertreten. Doch mit diesem Jahr soll alles anders werden: Italien ist wieder dabei, sogar als Teil der zahlenden „Big Five.“

Rahel aus der Schweiz ist ebenfalls kein großer Fan der Veranstaltung. Die Lehrerin aus Basel spielt seit Jahren Saxophon und hält gerade wegen ihrer Liebe zur Musik nicht viel vom Song Contest. „Unter Musikern ist es eher verpönt, Eurovision anzuschauen. Überhaupt ist das hier kein großes Thema. Man weiß vielleicht gerade mal so, wer die Schweiz vertritt, aber es kommt hier eigentlich nicht vor, dass man sich mit Freunden trifft, um sich das im Fernsehen gemeinsam anzuschauen.“ In Kindertagen war das allerdings noch anders, und Rahel erinnert sich gut an den Sieg der deutschen Nicole im Jahr 1987 und vor allem auch daran, als Céline Dion ein Jahr später für die Schweiz den Sieg davontrug.

Während unter der heutigen Eurogeneration alle vertreten sind; die Eurovision-Fans, die Hasser, aber auch die, die sich keinen Deut um die Veranstaltung scheren, stehen auf der Düsseldorfer Bühne ebenfalls die Vertreter ihrer Generation. Jung, polyglott, musikalisch, so präsentiert sich 2011 der Eurovision Song Contest – nicht der schlechteste Ausgangspunkt, um auch dieses Jahr wieder einen neuen Zuschauerrekord aufzustellen.

Eurovision Fact-Check:

Teilnahmeberechtigt am Eurovision Song Contest sind alle Länder, die Mitglied der Europäischen Rundfunkunion EBU sind, deren Mitglieder kommen aus Europa und dem nichteuropäischen Ländern im Mittelmeerraum.

Jugoslawien war EBU-Mitglied und nahm bereits als einziges sozialistisches Land regelmäßig am Eurovision Song Contest teil. Der Mittelmeeranrainer Marokko ist mit seiner Teilnahme am Wettbewerb 1980 das einzige arabische Land, das bisher beteiligt war.

Während sich die meisten Länder erst für die Teilnahme am Wettbewerb qualifizieren müssen, sind die „Big Five“, die den ESC maßgeblich finanzieren, automatisch gesetzt. Dazu gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien.

Irland führt mit sieben Mal die ESC-Siegerstatistik unangefochten an. Zuletzt holte Eimear Quinn mit dem Song „The Voice“ 1996 den Sieg auf die grüne Insel.

Illustrationen: Homepage (cc)Cosmovisión/flickr; BBC (cc)brizzle born and bred/flickr