Europawahlen-wer-wie-was?
Published on
Translation by:
Lilian PithanWas genau passiert noch mal am 25. Mai? Das ist nun nicht mehr nur der Tag, an dem Maréchal Pétain den Franzosen den Muttertag verpasste und ein gewisser François Bayrou geboren wurde, sondern 2014 auch das Datum des gesamteuropäischen Urnengangs. Aber was ist das eigentlich, eine Europawahl?
Der Ursprung der Europawahl liegt lange vor der Geburt Jesu Christi und um genauer zu sein in einer Zeit, als Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt noch etwas mehr zu bieten hatten als Fernsehinterviews, bei denen sie sich "der guten alten Zeiten" erinnerten. Das viel gerühmte "goldene Zeitalter" (das man damals aber noch nicht ganz so golden fand), zeichnete sich dadurch aus, dass die beiden alten Herren noch auf beiden Seiten des Rheins das Zepter schwangen. Die Europawahl, bei denen das allgemeine Wahlrecht gilt, erblickte 1979 das Licht der Welt. Die langen Wehen vor dieser schwierigen Geburt will ich euch hier aber ersparen. Auch wenn es denen, die sich noch an die Farbe des Wahlkabinenvorhangs von damals erinnern, nicht gefallen wird, soll die historische Vorrede, die in jedem Geschichtsbuch über das 20. Jahrhundert nachzulesen ist, hier geschlossen und zum didaktisch-pädagogischen Teil dieser Wahl übergegangen werden.
Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing - eine ganz besondere Männerfreundschaft (ARTE).
Warum also eine Europawahl? (Wie ihr schon merkt, geht es hier nicht immer nur um das Was...?) Um an einem schönen Maisonntag die alte Schule oder das Bezirkswahlamt zu besuchen und sich plötzlich alt zu fühlen, weil man sich an seine Schulzeit erinnern muss? Voll daneben! Also, zweiter Versuch. Weil es darum geht, das Europäische Parlament zu wählen? (Ah, endlich meldet sich der Streber aus der ersten Reihe zu Wort!) Nein, bleiben wir ernst, denn das Europaparlament ist schon eine ernste Sache (zumindest hoffen wir das...). Kurzer Erdkundeexkurs: Das Europaparlament sitzt in Brüssel... und schon wieder voll daneben! Es wäre ja auch zu einfach, wenn man immer nur Brüssel-Bashing betreiben könnte (in diesem Kontext sollte man sich das Wahlplakat der Europa-skeptischen Alternative für Deutschland (AfD) zu Gemüte führen), wo das Parlament doch in Straßburg sitzt. Genau, zweite richtige Antwort des Musterschülers aus der ersten Reihe. Straßburg oder Brüssel? Das sind doch beides ziemlich schlechte Fußballmannschaften... aber viel schlechter als Hertha BSC Berlin spielen sie auch nicht!
Das Europaparlament: ich, du, wir
Weiter geht's im Sauseschritt, sonst kommen wir nie zum Kern der Sache: Es geht also um die Wahl des Europäischen Parlaments, das in B... Straßburg sitzt, aber oft in Brüssel zusammentritt. Das Parlament ist die Institution, die alle direkt vom Volk gewählten Abgeordneten vereint. Es dient dazu, den Entscheidungsprozessen der Europäischen Union ihre demokratische Legitimation zu erteilen. Somit wird auch verhindert, dass alle Macht in den Händen der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates liegt, die zu dritt die schwergewichtige europäische Trias bilden. Es geht also mal wieder um Macht... aber man sollte doch realistisch bleiben. Der Einfluss des Europaparlaments ist eher begrenzt, auch wenn eine Ausweitung seiner Befugnisse angedacht ist. In vielen Bereichen der Gesetzgebung hat es zwar ein Recht auf Mitbestimmung, aber es darf selber keine Gesetze einbringen. Außerdem übt es eine Kontrollfunktion über die Exekutive aus und, jetzt wird es wichtig, verabschiedet den EU-Haushalt. Denn wenn man jemanden an der finanziellen Leine hält, kann man ihn auch bis zu einem gewissen Grad kontrollieren - da könnt ihr wirklich nicht das Gegenteil behaupten. Was ist das Europaparlament also? Genau! Ich, du, wir. Dafür müssen wir aber auch wählen gehen. Ausreden à la "Ich muss zum Origami-Wettbewerb", "Ich hab das nächste 2048-Level noch nicht geschafft" oder "Ich muss schnell noch die letzte Game of Thrones-Episode schauen", zählen diesmal definitiv nicht. Nada, niet, keine Chance.
Was genau sind das also für Europawahlen? (Ah, Sch... dabei wollte ich diese Frage doch nicht mehr stellen.) Befassen wir uns mit Deutschland, schließlich leben wir ja hier. Ich zumindest bin in diesem Moment, in dem ich diesen Artikel schreibe, in Berlin - wo du bist, weiß ich natürlich nicht. Die Wahlen finden in jedem einzelnen Land statt, d.h. die Europäer in Deutschland wählen die deutschen Abgeordneten. Das wusstest du wohl noch nicht? Als Europäer in der Europäischen Union darfst du in deinem Aufenthaltsland wählen, also auch ich als Franzose in Deutschland. Super, nicht? Die Deutschen konnten bislang 99 Abgeordnete entsenden, aber halt! Es wird einmal schnell nachgerechnet (die Gleichungen erspare ich euch), da waren es nur noch 96 Abgeordnete für Deutschland. Bei der letzten Wahl standen so im Durchschnitt 828 911 Deutsche hinter einem Abgeordneten. Dagegen braucht es nur 82 520 Malteser pro Abgeordneten. Ein Malteser hat am Wahltag also 10 Mal mehr Macht als ein Deutscher. Daran werdet ihr in der Wahlkabine noch denken!
Europäische Parlamentskameraden
Am 25. Mai werden wir an Listenwahlen teilnehmen, die dem Verhältniswahlrecht folgen und nur einen Wahlgang brauchen. Die Erklärung für alle Nicht-Politiker und Nicht-Juristen: Man wählt nur einmal und dabei eine Liste (also keinen einzelnen Kandidaten), die meistens von den politischen Parteien aufgestellt wird: eine CDU-Liste, eine SPD-Liste, eine Grünen-Liste, eine LINKEN-Liste etc. "Verhältniswahlrecht" bedeutet, dass die Parlamentssitze anschließend den verschiedenen Listen im Verhältnis zum erzielten Stimmenanteil vergeben werden. Die Abgeordneten gesellen sich anschließend zu ihren europäischen Kamaraden in den jeweiligen Parlamentsfraktionen. Die Roten zu den Roten, die Blauen zu den Blauen etc. Wie in der Schule, als man sich das Fußballerleibchen überstreifte, wenn einen der Mannschaftskapitän in sein Team gewählt hatte.
Die Europawahlen 2014 in vielen bunten Zahlen (Euronews).
In Deutschland findet dieses Jahr sogar noch eine Premiere statt: die Abschaffung der 5%-Klausel! Und was ist das schon wieder? (Oh Gott, das sollte jetzt aber wirklich nicht ausarten!) Eigentlich ist es recht einfach: Um eine zu breite Streuung der Stimmen zu verhindern, musste eine Partei in Deutschland bislang mindestens 5% der Stimmen erhalten, damit diese auch zählten und sie Abgeordnete entsenden konnte. Wie sieht es in diesem Jahr aus? Vorbei, aus, nada, niet, keine Klausel mehr. Jeder kommt durch, jeder wird gewählt. Zumindest fast. Für die kleinen Parteien, die bisher immer nur zwischen 1 und 5 % erhalten haben, ist das eine gute Nachricht. Früher standen sie am Ende mit nichts da, jetzt können sie darauf hoffen, ein oder zwei Sitze zu erstreiten. Zu diesen kleinen Parteien zählt die FDP, die neuerdings recht oft in der 5 %-Zone herumschippert, und die PIRATEN, aber natürlich auch alle rechtsextremen Parteien, wie beispielsweise die Republikaner.
So, jetzt sollte alles klar sein. Einfach, schnell, mehr braucht es nicht. Und wenn man euch das nächste Mal fragt: "Was sind das eigentlich für Europawahlen?", könnt ihr mit eurem neu erworbenen, politischen Wissen glänzen. Danke Cafébabel.
EUROPAWAHLEN 2014 AUF CAFÉBABEL BERLIN
Weil Europa nicht nur eine hippe, spannende und junge Seite hat, sondern auch politische Institutionen braucht, ist der 25. Mai 2014 ein fixes Datum in unseren Kalendern. Wann, was, wo, warum wählen gehen? Mehr Infos zum Wahltag, den Parteien und der politischen Struktur der EU im Allgemeinen gibt es hier im Magazin und wie immer auch auf Facebook und Twitter.
Translated from Une élection européenne, mais qu'est-ce que c'est ?