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Europawahlen 2014: Wie viel Vielfalt will Europa?

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BerlinPolitikEuropawahlen Spezial

Eu­ro­pa hat ge­wählt und sich in­mit­ten der De­bat­ten über Fi­nanz­kri­sen, EU-In­sti­tu­tio­nen und eu­ro­päi­sche Iden­ti­tä­ten ge­wal­tig ver­kal­ku­liert. Wäh­rend die Me­di­en von „Erd­be­ben“ und an­de­re Na­tur­ka­ta­stro­phen spre­chen und viele Po­li­ti­ker rat­los schei­nen, tritt die Be­völ­ke­rung in ihren de­mo­kra­ti­schen Schat­ten zu­rück. Wie soll es jetzt wei­ter gehen?

Die Wah­len sind vor­bei und ganz Eu­ro­pa ist ge­schockt. Ganz Eu­ro­pa? Nein, aus den La­gern der rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei­en hört man seit Sonn­tag­abend nur Freu­den­schreie, Ge­wehr­sal­ven und eu­pho­ri­sche All­machts­fan­ta­si­en. Allen voran Ma­ri­ne Le Pen und ihr Front Na­tio­nal, die sich mit 25% der Wäh­ler­stim­men im Rü­cken zu­recht als „pre­mier parti de Fran­ce“ (erste Par­tei Frank­reichs, AdR) be­zeich­nen kön­nen. Ähn­lich alar­mie­ren­de Zah­len über­schat­ten die Wahl in Dä­ne­mark, Eng­land, Un­garn und Grie­chen­land. Nur we­ni­ge Län­der schei­nen von dem rechts­po­pu­lis­ti­schen Erd­be­ben ver­schont wor­den zu sein – Deutsch­land ge­hört zum Glück dazu.

Nur eu­ro­pa­skep­tisch oder schlim­mer?

CDU und SPD lie­gen hier fast gleich­auf, die FDP düm­pelt im de­mo­kra­ti­schen Kel­ler, viele Deut­sche den­ken wei­ter grün und sogar die eu­ro­pa­skep­ti­sche Al­ter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) er­scheint im eu­ro­päi­schen Ver­gleich ge­fähr­lich hand­zahm. Die An­zug­trä­ger um Bernd Lucke sind zwar mit ein­deu­tig eu­ro­pa­skep­ti­schen Pa­ro­len auf Stim­men­fang ge­gan­gen, doch ist der Schritt zu einer Par­tei wie dem Front Na­tio­nal, der nicht nur na­tio­na­lis­ti­sche Po­si­tio­nen ver­tritt, son­dern deren Mit­glie­der teil­wei­se für die Wie­der­ein­füh­rung der To­des­stra­fe, die Er­schwe­rung von Ab­trei­bun­gen und die Ab­schaf­fung der Ho­mo-Ehe ein­treten, kein klei­ner. Warum aber hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in letz­ter Mi­nu­te die neue 3%-Klau­sel ge­kippt und so der rechts­ex­tre­men NPD in­di­rekt einen Sitz im Eu­ro­pa­par­la­ment be­schert? Glück­li­cher­wei­se haben nur 1% der Wäh­ler deren na­tio­na­lis­ti­sches Pro­gramm für gut be­fun­den.

Ab­ge­se­hen von den ver­gleichs­wei­se klei­nen Er­fol­gen von AfD und NPD muss man sich am Mon­tag­mor­gen in Ber­lin not­ge­drun­gen fra­gen: Leben wir in einer eu­ro­päi­schen Mul­ti­kul­ti-Viel­falt-Bla­se? Wenn ja, haben wir das Angie Mer­kel Su­per­star, einer guten Kon­junk­tur oder einer zu­tiefst von Eu­ro­pa über­zeug­ten Wäh­ler­schaft zu dan­ken? Die gute wirt­schaft­li­che Lage kann nicht der ein­zi­ge Grund dafür sein, dass der Rechts­po­pu­lis­mus in Deutsch­land wenig An­hän­ger ge­fun­den hat. Dann hät­ten na­tio­na­lis­ti­sche Par­tei­en in Dä­ne­mark oder Schwe­den keine Chan­ce haben, in Süd­eu­ro­pa aber Re­kord­er­geb­nis­se ein­fah­ren müs­sen. Das Wahl­er­geb­nis als Ant­wort auf un­po­pu­lä­re Ma­nö­ver der Staats­re­gie­run­gen zu in­ter­pre­tie­ren scheint ver­ständ­li­cher, doch hätte man der Wäh­ler­schaft in die­sem Fall mehr Weit­sicht zu­ge­traut. Ist also wie­der nur Brüs­sel mit sei­nen Ab­ge­ord­ne­ten im Klau­sel­wahn schuld? Oder haben die Deut­schen, wie so oft be­haup­tet wird, ge­schichts­be­dingt ein bes­se­res po­li­ti­sches Im­mun­sys­tem ent­wi­ckelt?

Wie egal ist uns ein ge­mein­sa­mes Eu­ro­pa?

Der­ar­ti­ge Er­klä­rungs­mus­ter wer­den kaum aus­rei­chen, um die­sen Wahl­sonn­tag zu ver­ste­hen. In Deutsch­land mag man sich zwar vor­erst den Angst­schweiß von der Stirn wi­schen, aber wirk­lich er­leich­tert wird wohl kei­ner sein. Denn auch wenn die Wahl­be­tei­li­gung im Ver­gleich zu 2009 um 5% auf knapp 48% ge­stie­gen ist und so dem Kli­schee der po­li­tik­ver­dros­se­nen Deut­schen zu­min­dest ein wenig wi­der­spricht, ist sie doch immer noch ge­fähr­lich nied­rig. Die ka­ta­stro­phal niedrige Be­tei­li­gung in vie­len zen­tral- und ost­eu­ro­päi­schen Län­dern kann auch nicht be­schö­ni­gt werden. Eine po­li­ti­sche und geo­gra­fi­sche Union, die ihren Bür­gern der­art egal ist, stän­de auch ohne Rechts­po­pu­lis­mus hef­tig unter Be­schuss.

Warum aber be­rei­tet uns das Wahl­er­geb­nis nach dem ers­ten Schock immer noch Ma­gen­krämp­fe? Kri­tik an der EU und ihren In­sti­tu­tio­nen muss er­laubt sein – daher braucht es auch ent­spre­chen­de Par­tei­en im Eu­ro­pa­par­la­ment. Hört man bei den Reden der Rechts­po­pu­lis­ten aber ge­nau­er hin, dann wird einem schnell be­wusst, dass es hier nicht nur um das po­li­ti­sche Kon­strukt EU, son­dern – viel schlim­mer – um die Idee eines ge­mein­sa­men Eu­ro­pa geht. Was genau un­se­re „ge­mein­sa­men eu­ro­päi­schen Werte“ sein sol­len, ist nicht immer un­be­dingt klar, aber To­le­ranz, Viel­falt und So­li­da­ri­tät ge­hö­ren ganz si­cher­lich dazu. Wenn Par­tei­en, die sich ein­deu­tig und ag­gres­siv gegen diese Werte aus­spre­chen, bei den ge­samt­eu­ro­päi­schen Wah­len der­art viele Bür­ger hin­ter sich ver­sam­meln kön­nen, dann muss man sich be­stürzt fra­gen, ob viel­leicht nicht nur das „Pro­jekt EU“, son­dern auch der „eu­ro­päi­sche Traum“ auf Sand ge­baut wurde. Wem letz­te­rer nicht nur wich­tig, son­dern eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit ist, der soll­te sich jetzt lei­den­schaft­lich für Eu­ro­pa aus­spre­chen – und bloß nicht in sei­ner Blase ver­schwin­den. 

EU­RO­PA­WAH­LEN 2014 AUF CAFÉBABEL BER­LIN

Weil Eu­ro­pa nicht nur eine hippe, span­nen­de und junge Seite hat, son­dern auch po­li­ti­sche In­sti­tu­tio­nen braucht, ist der 25. Mai 2014 ein fixes Datum in un­se­ren Ka­len­dern. Wann, was, wo, warum wäh­len gehen? Mehr Infos zum Wahl­tag, den Par­tei­en und der po­li­ti­schen Struk­tur der EU im All­ge­mei­nen gibt es hier im Ma­ga­zin und wie immer auch auf Face­book und Twit­ter