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Europas Stiefkind

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Hoffnungsvoll blicken die Anhänger Viktor Juschtschenkos in diesen Tagen nach Europa. Doch sie werden enttäuscht: Über eine Aufnahme des Landes in die EU wird noch nicht einmal nachgedacht.

Zu lange hat sich die EU aus der ukrainischen Präsidentschaftswahl herausgehalten. Während Bush bereits im Vorfeld der Stichwahl einen Sonderbotschafter in die Ukraine sandte, hielten sich keine hohen Repräsentanten der EU im Land auf, um die sich herausbildende demokratische Zivilgesellschaft symbolisch zu unterstützen. Der Beistand der demokratischen Kräfte ging über eine Resolution des Europäischen Parlaments vom 28. Oktober 2004, in der sich das EP besorgt über den Ablauf des ersten Wahlganges zeigte und eine Stichwahl ohne Verstöße forderte, nicht hinaus. Man schien den russischen Partner nicht durch eine zu laute Forderung nach einer freien Entscheidung der ukrainischen Bürger erzürnen zu wollen. Dabei wäre eine Beeinflussung der ukrainischen Wählermeinung im Sinne des für die EU günstigeren Juschtschenkos weder nötig noch sinnvoll gewesen: Die Ukrainer brauchen nicht eine weitere Weltmacht, die ihr sagt, wie sie vorzugehen haben, sondern einen europäischen Nachbarn, der sie in ihrem Wunsch nach mehr Demokratie und einer Einbindung in die europäische Staatengemeinschaft unterstützt und bekräftigt.

Ende der Annäherung?

Das Interesse der Ukraine an einer europäischen Integration ist schon lange augenscheinlich. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging es als erstes der neuen unabhängigen Länder ein Abkommen über eine Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der EU ein, das 1994 beschlossen wurde und 1998 in Kraft trat.

Bis zur Streichung des entsprechenden Passus durch Premier Viktor Janukowitsch im Vorfeld der Wahl, bekräftigte das Land in seiner Militärdoktrin das Vorhaben eines EU-Beitritts. Der Wunsch nach einer weiteren Annäherung, die über die Europäische Nachbarschaftspolitik hinausgeht, wird auch von Juschtschenko und den westlich orientierten Eliten seines Landes betont.

Die EU zieht jedoch klare Grenzen, ohne über sämtliche Möglichkeiten nachzudenken. Beim Gipfeltreffen von Jalta zwischen der EU und der Ukraine am 7. Oktober 2003 wurde zwar unterstrichen, dass die Einbindung der Ukraine in den Binnenmarkt angestrebt werde, man stellte gleichzeitig aber klar, dass über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nicht einmal nachgedacht wird.

Brücke zwischen Brüssel und Moskau

Die EU scheint eine Sache zu vergessen: Eine stabile, demokratische Ukraine ist von zentraler Bedeutung für ein stabiles Europa, weil das Land strategisch wichtig zwischen Russland und der EU liegt. Eine demokratische Ukraine kann es aber nur geben, wenn sich die neue demokratische Elite um Juschtschenko gegenüber der alten autoritären um Kutschma und Janukowitsch durchsetzt. Um das Vertrauen, das die neue Riege in die EU und ihre Werte setzt, nicht zu enttäuschen, muss der Ukraine die Perspektive auf eine Eingliederung in die EU gegeben werden: Die Option einer eventuellen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen muss offen bleiben. Sicher, noch ist die Ukraine mehr als weit davon entfernt, beitrittsreif zu sein, aber in einer Zeit, in der über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und den Balkanstaaten diskutiert wird, in einer Zeit, wo die Ukrainer auf der Straße zeigen, dass sie bereit sind, mit allen friedlichen Mitteln für eine demokratische, eine europäische Zukunft ihres Landes zu kämpfen, muss die EU anfangen, über ihr zukünftiges Verhältnis zur Ukraine offen nachzudenken.

Die EU darf nicht potentielle Konflikte mit Russland scheuen, die sich beim EU-Russland Gipfel am 25. November abzeichneten. Eine voll in Europa integrierte Ukraine wird sich nicht gegen Russland stellen - im Gegenteil. Sie wird ein wichtiges, demokratisches Bindeglied zwischen den beiden Großmächten sein, mit denen sie in Geschichte und Kultur verbunden ist. Aus diesem Grund muss die EU auch stärker als bisher mit Sanktionen drohen, falls die Wahl nicht unter Einhaltung der OSZE - Standards wiederholt wird. Als größter Geldgeber des Landes, der seit 1991 eine Milliarde Euro in das Land fließen ließ, kann sie das auch durchaus glaubwürdig tun.

Die am 24. November durch die EU geforderte Wahlüberprüfung kam reichlich spät. Die stiefmütterliche Behandlung der Ukraine zeigt, dass die EU die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat. Die Bemühungen Javier Solanas in Kiew brachten zwar den Erfolg, dass sich die beiden Parteien zu Gesprächen zusammensetzten, ihm ist das Einlenken Kutschmas und Janukowitschs, Neuwahlen durchzuführen, aber nicht zu verdanken. Die EU muss endlich aufwachen und der Ukraine eine wirkliche Alternative zu Autoritarismus und Russland-Hörigkeit bieten.