Europäisches Forum Alpbach 2010: Europa trifft sich in Tirol?
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Von Claudia Muellauer Mit den Worten „we need fantasy and visions“, eröffnete Erhard Busek, Präsident des Europäisches Forums, die diesjährige Veranstaltung im Tiroler Blumendorf Alpbach.
Unter dem Generalthema “Entwurf und Wirklichkeit” (dort verwendete Übersetzung “Construction and Reality”) versammelten sich auch in diesem Jahr wieder junge Stipendiatinnen und bekannte Expertinnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, um aktuelle Fragen aus europäischer Perspektive zu diskutieren.
Europäisches Forum Alpbach, das bedeutet, dass sich eine amerikanische Universitätsprofessorin, ein chinesischer Mönch, eine EU-Parlamentarierin, und ein russischer Manager über das Verhältnis von Staat und Religion unterhalten und dabei mit einer Stipendiatinnengruppe in einem Lokal zusammensitzen. Die Idee für dieses Format stammt von Otto Molden und Simon Moser, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem geeinten Europa beitragen wollten. Ziel der ersten von ihnen organisierten „Internationalen Hochschulwochen“ war es ein geistiges Klima für ein geeintes Europa zu schaffen. 1949 wurden die Hochschulwochen dann in “Europäisches Forum Alpbach” umbenannt.
Dreieinhalbtausend Kongressteilnehmerinnen und Studentinnen aus 43 Ländern waren in diesem Jahr dabei. Ruhe, Natur und die gute Luft sollten den Entscheidungsträgerinnen und zukünftigen Führungspersönlichkeiten eine ansprechende Atmosphäre schaffen, in der aktuelle Themen und aufkommende Probleme wie beispielsweise die Erweiterung der EU ebenso wie die Finanzkrise oder der Klimaschutz erörtert werden können. Solche und andere Fragestellungen sollten in den 2.5 Wochen in interdisziplinärer Weise diskutiert werden.
Insbesondere für den konservativen Teil der politischen Elite in Österreich ist ein Forumsbesuch im Sommer ein Fixtermin, um Netzwerke aufzubauen, Seilschaften zu pflegen und zukünftige Entscheidungsträgerinnen kennenzulernen. Doch auch Vertreter anderer politischer Fraktionen lassen sich gerne zu den Gesprächen und Diskussionen einladen. Außerdem lässt sich eine ungemein gute Verwebung der österreichischen Politik mit diversen Großkonzernen beobachten; die die Sponsoren der Veranstaltung sind. Die Mischung aus Seminarwoche, Podiumsdiskussionen und informellen Kamingesprächen ist eine besondere Stärke des Forums. Es gibt auch den Studentinnen die Möglichkeit, in kleiner Runde Fragen an Expertinnen zu stellen, die sie vielleicht in einer großen Podiumsdiskussion nicht gestellt hätten. In Österreich ist das Europäische Forum Alpbach recht bekannt, nicht zuletzt aufgrund von Stippvisiten bekannter Persönlichkeiten – wie in diesem Jahr des UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moons, des Bundespräsidenten Heinz Fischer oder der Eröffnungsrednerinnen Helga Nowotny, Präsidentin und Vorsitzende des wissenschaftlichen ERC-Beirats sowie der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi.
Ein Forum für Alle?
Die Idee der Gründerväter war es, Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund zusammenzubringen, um über brennende Themen – wie zum Beispiel die sinnvolle Steuerung von Migration und eine gerechte Gesellschaft mit Partizipationsmöglichkeiten für alle –, zu diskutieren, Entwürfe hierfür zu entwickeln und die Wirklichkeit mitzugestalten. Um diesen wirklich guten Forumsgedanken weiterzuführen, ist allerdings eine Öffnung für weniger privilegierte Gruppen wichtig. Es gilt das Stipendiensystem und das Forum auch dort zu bewerben, wo europäische und österreichische Tagespolitik nicht am Frühstückstisch diskutiert wird. Das Europäische Forum Alpbach ist in den letzten Jahren ausschließlich durch Mundpropaganda bekannt geworden und die Organsitatorinnen sind stolz darauf, dass der Bekanntheitsgrad so kontinuierlich gestiegen ist. Netzwerktheoretikerinnen würden an dieser Stelle aber zu Recht einwerfen, dass auf diesem Wege weite Teile der Bevölkerung vom Informationsprozess abgeschnitten sind. Dies spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Forumsbesucherinnen wider.
Das Europa des 21. Jahrhunderts ist ein großes Stück zusammengewachsen und wahrscheinlich haben sich Molden und Moser 1945 nicht vorstellen können, dass wir 65 Jahre später eine Europäische Union geschaffen haben, in der die meisten Entscheidungen bereits supranational diskutiert und seit dem Lissaboner Vertrag auch entschieden werden. Doch es gilt weiterzudenken und mit Phantasie die Visionen des zukünftigen Europas weiterzuentwickeln. Ganz wichtig ist die Frage, wie wir mit unserer kulturellen Vielfalt umgehen wollen? Für das Europäische Forum Alpbach bedeutet das, dass – im Sinne der Gründungsväter – diese kulturelle Vielfalt im Forum sichtbarer werden sollte und beispielsweise Vertreter von Migrantinnengruppen gezielt als Stipendiatinnen angesprochen und zur Bewerbung eingeladen werden sollten. Dafür können sich neben dem Forum insbesondere auch die einzelnen Initiativgruppen einsetzen, die einen Großteil der Stipendien vergeben.
Über die Stipendienbedingungen informiert der folgende link: Der offizielle Teil des Programms setzt sich aus drei Bereichen zusammen:Seminarwoche
In diesem Jahr wurden 14 Seminare angeboten, in denen die Teilnehmerinnen unter anderem über Menschenrechte und Menschenpflichten, Oskar Kokoschka oder die soziale Konstruktion von Wirklichkeiten diskutieren konnten. Die Seminare, die sechs Tage lang jeden Vormittag bzw. Nachmittag abgehalten wurden, widmeten sich dem Generalthema „Konstruktion und Wirklichkeit“ aus Sicht der unterschiedlichen Disziplinen. Im Seminar „Social Entrepreneurship“ tauschten sich die TeilnehmerInnen in interaktiven Gruppen über Grundsätzliches und die Praxis des sozialen Unternehmertums aus. Geleitet wurde dieses Seminar von Professorin Johanna Mair, University of Navarra, und Professor Michael Meyer, WU Wien. Anders wurde sich dem Thema „Konstruktion und Wirklichkeit“ im Seminar „What is a conscious self? Towards a theory of subjectivity and selfhood“ angenähert. Der Neurologe Olaf Blanke sprach gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Philosophieprofessor Thomas Metzinger, über naturwissenschaftliche und philosophische Zugänge zur menschlichen Selbstwahrnehmung und ließ die TeilnehmerInnen am eigenen Leib spüren, dass Selbstwahrnehmung oft auch Selbsttäuschung ist.