Europäischer Erbstreit
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Am Fuße der Akropolis entsteht ein neuer Museumsbau. Doch die Hauptattraktion fehlt: Das British Museum ist nicht bereit, Teile des berühmten Parthenonfrieses nach Athen zurückzugeben.
Durch die Glasfassade fällt Licht in die oberste Etage des Neuen Akropolis-Museums. Der Boden ist mit Pappe bedeckt, es riecht nach Staub und Mörtel. "Wir befinden uns im dritten Stock, in der Parthenon-Galerie", erklärt Dimitrios Pandermalis, Archäologieprofessor und Direktor der Gesellschaft für den Bau des Neuen Akropolis-Museums (OANMA). "Hier soll eines Tages der gesamte Fries des Parthenontempels hängen." Mit einem Sicherheitshelm auf dem Kopf klettert er über Betonplatten und schwankende Balken. Noch ist der Neubau am Südhang der Akropolis weit davon entfernt, antike Kostbarkeiten zu beherbergen.
Museumsbau mit Verzögerungen
Im September sollen die Bauarbeiten beendet sein, die Eröffnung des Museums ist für Januar 2008 geplant. Ursprünglicher Termin war das Olympia-Jahr 2004, doch es gab Überraschungen. "Die Arbeiten am Fundament begannen erst im November 2004", erinnert sich Pandermalis. "Bei den Vorbereitungen waren auf 4000 Quadratmetern antike Gebäudereste entdeckt worden. Wir mussten einen Gerichtsentscheid abwarten, der grünes Licht für den Bau gab."
Bernhard Tschumi machte aus der Not eine Tugend. Der Schweizer Stararchitekt hatte 2003 den Wettbewerb zum Bau des Neuen Akropolis-Museums gewonnen. Sein Gebäude thront auf schweren Betonpfeilern. So bleibt im Untergeschoss genug Freiraum für die Ausgrabungsstätten, die zukünftig Teil der Dauerausstellung sein werden.
Auch das moderne Athen stand dem Neubau im Weg. Durch die Glasfront sieht man einen Bagger, der sich in eines der umliegenden Wohnhäuser frisst. Das Museumsgelände misst 25000 Quadratmeter, es liegt mitten in der Innenstadt. "Es gab Probleme mit den Nachbarn", gesteht Pandermalis. "26 Häuser wurden schon abgerissen, die Besitzer entschädigt." Gerichtsverfahren, Entschädigungen und der komplizierte Transport der Exponate aus dem alten Museum auf der Akropolis ließen die Kosten für den Neubau auf 150 Millionen Euro ansteigen. Er wird vom European Regional Development Funds und der griechischen Regierung finanziert.
Antike Kostbarkeiten am Kranhaken
Die größte architektonische Herausforderung war der geschichtsträchtige Nachbar - der Parthenontempel. Die Galerie im obersten Stockwerk imitiert die Ausrichtung des Tempels und sitzt daher schräg auf dem Gebäudesockel auf; durch die Glasfassade blickt man auf den Marmortempel, dieser spiegelt sich wiederum in den Scheiben der Galerie. Ein optischer Effekt, der sogar in brütender Mittagshitze auf der Aussichtsterrasse überzeugt.
In Richtung Akropolis klafft ein Loch in der Fassade. "Diese Öffnung ist für den Transport", erklärt Pandermalis’ Assistentin, Niki Dollis. "Die Skulpturen werden von der Akropolis abgeseilt und an drei Kränen bis ins Museum gereicht. Pro Stück dauert das zwei Stunden." Sie glaubt nicht an die Eröffnung Anfang 2008. "Für den Umzug der Exponate und der Serviceabteilungen des Museums muss man noch einige Monate einrechnen. Es ist noch viel zu tun!"
Sorgenkind Parthenonfries
Der berühmte Marmorfries des Parthenontempels ist das Sorgenkind des Museums. Den Hauptteil des Frieses, 56 der insgesamt 96 Reliefplatten, verwahrt das British Museum in London. Der Streit um das antike Kunstwerk reicht ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Damals demontierte der britische Botschafter Thomas Bruce Earl of Elgin Teile des Parthenon und anderer Bauwerke auf der Akropolis und verkaufte sie an das British Museum.
Aus griechischer Sicht ein klarer Fall von Kunstraub. In London sieht man das anders. "Die Skulpturen sind legal im Besitz des Museums", bestätigt Hannah Boulton, von der Kommunikationsabteilung des British Museum. "Die Friesteile gehören zum Welterbe und sind in London täglich tausenden von Menschen kostenlos zugänglich." Eine Rückgabe komme nicht in Frage.
Die Heimkehr des Marmors forderte als erste die griechische Kulturministerin und Nationalikone Melina Mercouri in den achtziger Jahren. Seither hat sich eine weltweite Bewegung formiert, in vierzehn Ländern wurden Komitees für die Rückgabe des Frieses gegründet. In Griechenland gilt die Fondation Melina Mercouri als Nachlassverwalterin der politischen Botschaft Mercouris. "Wir mobilisieren die Öffentlichkeit für die Wiedervereinigung dieses einzigartigen Tempels", beschreibt Spyros Mercouris, Direktor der Stiftung und Bruder der Politikerin, das Anliegen. "Es geht uns nicht darum, Schätze aus allen Museen zu rauben. Es geht uns nur um diesen einen Schatz: Den Parthenontempel, die Wiege der Demokratie. – Unser Seele!"
Ein Signal in Richtung London
Die OANMA hofft, dass der Neubau Bewegung in die hitzige Debatte bringt. Schließlich argumentiert das British Museum seit jeher, dass das Akropolis-Museum über keinen geeigneten Ausstellungsraum verfüge. Die neue Parthenon-Galerie ist ein politisches Signal: Mit Blick auf die Akropolis könnte man hier den Fries in seiner Gesamtlänge von 160 Metern bewundern.
Beim Rundgang auf der Baustelle zeigt Professor Pandermalis, dass auch ein wenig Provokation geplant ist: Die Londoner Reliefplatten werden als Gipsabgüsse neben den Stücken aus Athen in die Wand eingelassen, allerdings verdeckt die Gipsplatten ein dünner Metallvorhang. "Man muss einen Unterschied machen zwischen Original und Kopie." Pandermalis schmunzelt. "Die fehlenden Teile sollen wie Gespenster aussehen…"
Es sei prinzipiell möglich, Exponate auszuleihen, so Hannah Boulton vom British Museum. "Die griechische Regierung hat aber bisher nie angefragt, die Friesteile auszuleihen." Auf griechischer Seite begreift man sich als rechtmäßiger Besitzer. Warum also um eine Leihgabe aus London bitten? Selbst die Mühen der internationalen Welterbeschützer haben bisher nicht gefruchtet. Anfang Juni trafen sich britische und griechische Vertreter zu einem Gespräch unter der Schirmherrschaft der UNESCO. "Es gab keine neuen Entscheidungen", betont Hannah Boulton.
Angesichts der Fortschritte auf seiner Baustelle bleibt Professor Pandermalis optimistisch. Er hofft auf eine diplomatische Lösung. "Wir wollen nicht, dass die Briten ihr Gesicht verlieren, wir wollen einen Geist des Austauschs schaffen. Schließlich fühlen wir uns doch inzwischen alle ein bisschen als Europäer."