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Europäische Bürgerinitiative: es geht vorwärts, aber langsam

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Brüssel

Von Sebastian Seiffert 2013 ist das Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger. Geht es nach dem Wunsch von Viviane Reding, der zuständigen EU-Kommissarin, sollen sie verstärkt gehört werden und mehr über ihre Rechte als Unionsbürger lernen.

Dazu könnte die im April 2012 gestartete Europäische Bürgerinitiative beitragen – eine der dort registrierten Initiativen hat bereits die erforderliche Mindestanzahl Unterschriften gesammelt.

60.631 – so viele EU-Bürger konnten sich bis Anfang Mai für die Ziele der Bürgerinitiative „Fraternité 2020 - Mobility. Progress. Europe.” begeistern. Die Organisatoren wollen Austauschprogramme wie Erasmus (für Stundenten) oder Leonardo (für Auszubildende) oder den Europäischen Freiwilligendienst in größerem Maßstab als bisher angeboten sehen. Genauer gesagt sollen dafür kurzfristig rund 3 Prozent, langfristig sogar 10 Prozent des EU-Budgets ausgegeben werden. Momentan sind es eher 1 Prozent. Die Ziele der Initiative erscheinen im Grunde nicht besonders kontrovers – Erasmus gilt als eine der großen europäischen Erfolgsgeschichten, die Ausweitung auf andere Ausbildungsarten und Berufsgruppen wird seit langem diskutiert. Vielleicht ist es der Mainstream-Ansatz der Initiative, der die bisher maue Teilnahme seit dem Start der Online-Unterschriftensammlung vor mehr als 6 Monaten erklärt.

Mit 1.357.833 Unterschriften ist die Initiative „Wasser ist ein Menschenrecht“ schon ein gutes Stück weiter. Zur Erinnerung: bei der Europäischen Bürgerinitiative, einem durch den Lissabonvertrag neu eingeführten Instrument für mehr Mitbestimmung, müssen mindestens eine Million Bürger aus mindestens 7 unterschiedlichen Mitgliedsstaaten einen Vorschlag unterstützen. Ist das erreicht, muss sich die Europäische Kommission detailliert mit dem Thema befassen. „Wasser ist ein Menschenrecht“ wird vor allem von Gewerkschaften getragen, in Deutschland etwa von Ver.di. Es geht darum, dass Wasser für alle Menschen in allen EU-Mitgliedstaaten zuverlässig, in guter Qualität und zu günstigen Preisen verfügbar sein und bleiben soll. Das ist zur Zeit heftig umstritten, insbesondere der EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier verfolgt Pläne, die Wasserversorgung europaweit auch privaten Unternehmen zugänglich zu machen. Viele Experten befürchten, dass darunter der Kunde leidet – im Portemonnaie und in der Qualität, das legen auch Beispiele aus Portugal nahe, wo unter dem Spardruck der Finanzkrise bereits teilweise privatisiert wurde. Folge: die Initiative „Wasser ist ein Menschenrecht“ kann stärker mobilisieren als etwa „F2020“.

Es gibt noch ein rundes Dutzend weiterer Initiativen, die eine erste Zuständigkeitsprüfung durch die Europäische Kommission bestanden haben und für die jetzt geworben wird. Diesen ersten Schritt nicht geschafft haben etwa Vorschläge zum Verbot des Stierkampfes, zum Abschalten aller Kernkraftwerke in Europa oder zu einem bedingungslosen Basiseinkommen. Hier argumentierte die Kommission jeweils, keine Regelungskompetenzen zu besitzen. Zumindest ein Teil der so abgewiesenen Organisatoren gibt aber nicht gleich auf und versucht, das Anliegen vor dem Hintergrund anderer Artikel aus dem Lissabonvertrag oder dem Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union zu begründen.

Laufende Initiativen haben zum Beispiel das Ziel, Tempo 30 in Europas Städten und Dörfern zum Regelfall zu machen, das Klima- und Energiepaket auszusetzen (da es in der Krise Jobs vernichte und die Energiepreise in die Höhe treibe) und einen EU-weiten Flatrate-Handytarif einzuführen (Cafebabel berichtete). Die thematische Bandbreite ist also schon beachtlich. In diesem Blog ist für die nahe Zukunft auch ein Beitrag über die „Europäische Bürgerinitiative für Medienpluralismus“ geplant, die eine europäische Richtlinie zum Schutz der Medienvielfalt und der Pressefreiheit fordert.

Jenseits der inhaltlichen Zulässigkeit hatte die Onlinesammlung anfangs große technische Probleme: es fehlte an der passenden Software, die Datenschutz und Authentizität der Unterzeichner sicherte, an Serverplatz oder auch an Klarheit, welche Regeln bei der Sammlung zu beachten sind. So war es zum Beispiel bei der Initiative „Let me vote“, die sich dafür starkmacht, dass alle Bürger eines Mitgliedsstaates sich, sofern sie in einem anderen Mitgliedsstaat leben, dort auch an regionalen und nationalen Wahlen beteiligen können. Bisher ist dieses Recht nur für Europa- und Kommunalwahlen realisiert. Aus den genannten technischen Gründen war die erste, im April 2012 lancierte Initiative dazu wirkungslos, im Januar 2013 wurde eine zweite Fassung eingereicht.

„Wasser ist ein Menschenrecht“ hat die Million bereits überschritten. Allerdings sind auch noch Mindestanforderungen pro Land zu beachten, die in Abhängigkeit zur Zahl der MEPs stehen. Aus Deutschland müssen mindestens 74.250, aus Belgien mindestens 16.500 Personen die Initiative unterstützen. Und anschließend vergehen noch einmal bis zu drei Monate, bis die Mitgliedsstaaten stichprobenartig geprüft haben, ob es sich bei den Unterzeichnern auch um tatsächliche Bürger handelt. Für eine schnelle Nummer der Bürgerbeteiligung taugt die Bürgerinitiative also sicher nicht.