Europäische Bescheidenheit statt amerikanischer Herrschsucht
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Um das Chaos im Irak zu beenden, werden die USA auf eigene Interessen verzichten und Kompromisse eingehen müssen. Sie können da einiges von Europa lernen.
Um eine blutige und skrupellose Diktatur zu stürzen und ein freies, demokratisches und prosperierendes Land aufzubauen, marschierten die Amerikaner auf Bagdad. Ein Vorbild für den gesamten Mittleren Osten sollte der Irak werden und andere autoritäre Regime zu Reformen zwingen. Ein grandioser Entwurf, der grandios scheiterte.
Die Freude über die Befreiung von der Diktatur währte angesichts der politischen Entmündigung und der Rücksichtslosigkeit, mit der jeder Widerstand bekämpft wurde, nur kurz. Ohne Kenntnis der Sprache und in Missachtung der Kultur verletzten die Besatzer Würde und Selbstwertgefühl der Iraker. Der Folterskandal im Abu-Ghraib Gefängnis, das unter Saddam Symbol der Unterdrückung war, schien jene zu bestätigen, die mehr Kontinuität denn Wandel sahen.
Die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung, die sich mit der Entwicklungshilfe und dem Ende des Embargos verband, erwies sich als Illusion. Denn die US-Verwaltung war mehr daran interessiert, den ihr nahestehenden Firmen lukrative Aufträge zuzuschieben, als die Situation der Iraker zu verbessern. Nun haben Entführungen und die allgemeine Unsicherheit die meisten westlichen Firmen zum Verlassen des Landes gezwungen. Sie lassen die Iraker zurück ohne Wasser und Strom, ohne Arbeit und ohne Hoffnung auf Besserung.
Hoffnungsträger Allawi
Nun aber soll sich alles ändern. Am 30. Juni 2004 werden die amerikanischen Besatzer die volle Souveränität an eine irakische Übergangsregierung unter Führung von Iyad Allawi übergeben, womit die Zeit der Besatzung enden wird. Allawi soll bis Ende Dezember 2004 freie Wahlen vorbereiten, unterstützt und begleitet von der UN, während die US-Truppen auf Bitte Allawis im Lande bleiben, um Sicherheit und Ordnung zu garantieren, bis irakische Polizeikräfte diese Funktion übernehmen können.
Dies hat der UN-Sicherheitsrat nach langen Verhandlungen einstimmig und unter Zustimmung prominenter Kriegsgegner wie Deutschland und Frankreich beschlossen. Damit scheint zum einen eine wichtige Weiche für die Lösung des Irakkonflikts gestellt und zum anderen die europäische Teilung überwunden und die transatlantische Kluft überbrückt. Doch man muss sich fragen: Wie weit reicht die neue europäische Einigkeit wirklich? Und: Kann die Resolution halten, was sie verspricht?
Europa scheint wieder zusammenzurücken. Waren Paris und Berlin zuerst fast isoliert, ist nun mit der Wahl Zapateros Madrid zu den Kriegsgegnern übergelaufen und selbst Blair geht angesichts der militärischen Lage und immer neuer Skandale auf Distanz zu den USA. So blieb diesen keine Wahl, als in der neuen Resolution den Europäern entgegenzukommen. Doch ob dies mehr als eine taktische Anpassung ist oder gar von der Einsicht in den Wert der UN zeugt, ist zweifelhaft. Bush ist von einem starken Sendungsbewusstsein geprägt und hat sich nie um die Meinung Anderer gekümmert. Sobald er auf Europa verzichten kann, wird er es tun.
Doch auch wenn Bush glaubt, ohne Europa auszukommen, der Irak kann es nicht, denn die Übergangsregierung ist zu schwach, die Sicherheit herzustellen und die Gegenwart der Amerikaner, solange sie als Besatzer gelten, trägt mehr zur Gewalt als zu ihrer Lösung bei. Durch den Krieg ist der Irak heute zur Brutstätte des Terrorismus geworden, so dass der gesamte Westen ein Interesse an seiner Befriedung haben muss. Die Präsenz der Europäer ist daher weniger eine Frage des Wollens als der Notwendigkeit. Voraussetzung wäre jedoch, dass die Machtübergabe am 30. Juni nicht lediglich ein Fassadenwechsel ist.
Ob sich die Lage jedoch mit der Übertragung der Souveränität an eine irakische Regierung verbessert, hängt eng von der Bereitschaft der USA ab, die Macht tatsächlich abzugeben. Nur wenn Allawi das letzte Wort hat, kann er eigene politische Legitimität gewinnen. Solange er als Marionette der Amerikaner erscheint, werden weder er noch Polizei oder Verwaltung akzeptiert sein und Angriffen ausgesetzt bleiben.
Ob die neue Resolution also zur Lösung beitragen kann, steht unter Vorbehalt. Grundsätzlich muss man sich fragen, ob die Ziele der Amerikaner nicht zu ehrgeizig sind. Angesichts der eskalierenden Gewalt, die den Aufbau neuer politischer, wirtschaftlicher, sozialer Strukturen verhindert, kann das Ziel nur Stabilität sein. Diese zu garantieren, werden die USA auf vorhandene Strukturen zurückgreifen, Kompromisse machen, Stammesführer einbinden und die moderate Geistlichkeit für sich gewinnen müssen.
Kompromisse tun Not
Doch der amerikanische Masterplan für den „Greater Middle East“, den die G8 bei ihrem Treffen in Georgia besprachen, lässt wenig Sensibilität, Kompromissbereitschaft oder Bescheidenheit erkennen. Er behandelt Länder von Marokko bis Pakistan als Einheit, obwohl ihnen einzig gemein ist, muslimisch zu sein und entwirft einen Reformkatalog, ohne sie zu konsultieren oder einzubinden. Sie lehnten den Plan denn auch in ihrer Mehrheit ab.
Die EU bietet mit der Euro-Mediterranen Partnerschaft eine erprobte Alternative. Der Idee folgend, dass Demokratie von innen kommen muss, fördert sie Zivilgesellschaft, Medien und den interkulturellen Dialog. Dies ist ein langfristiges Projekt und entspricht nicht dem akuten Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität und Entwicklung des Irak. Doch könnten die USA daraus eines lernen: Um Veränderung zu erreichen, bedarf es Partner, die man ernst nehmen, denen man Respekt zeigen, die man in Überlegungen einbeziehen und die das letzte Wort haben müssen.