Europa-Wahl: Überzeugen in einer Minute
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Andrea SchindelDonnerstag, 15. Mai 2014. Das Europäische Parlament lädt im TV-Snack-Ambiente zur dritten Debatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten für die EU-Kommission ein. Keller (Grüne), Verhofstadt (Liberale), Juncker (Konservative), Schulz (Sozialdemokrat) und Tsipras (Europäisches Linksbündnis) konfrontieren sich gegenseitig mit ihren Ideen im Brüsseler Plenarsaal.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union versucht Europa seine Wahlen zu persönlicher zu gestalten. Seit dem Vertrag von Lissabon kann der Europäische Rat (Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten) den Kommissionspräsidenten entsprechend der Europa-Wahlergebnisse auswählen. Dadurch bekommt das politische Geschehen im EU-Parlament ein Gesicht und eine Persönlichkeit.
Jeder Kandidat hatte eine Minute Zeit, um die Fragen eines Journalisten von Euronews zu beantworten. Die 90-minütige Debatte streifte Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, die Europa-Krise, Bankenunion, Immigration, Lobbyismus, Korruption, Finanzen, Steuerflucht, die Ukrainekrise, Religion und Grundrechte. Einige ausschlaggebende Fragen wurden jedoch nicht gestellt: die Budgetfrage der EU zum Beispiel oder die Frage nach dem Festhalten an der Strategie EU2020 (einst beschlossen von der Kommission für den Zeitraum 2010-2020).
Jedem seinen Stil
Jean-Claude Juncker, oder „das weise Europa“, ist der „strenge“ Kandidat. Mit ihm muss man der Sanierungspolitik weiterhin folgen und die Sparmaßnahmen weiterführen. Er ist die „Seriosität in Person“ und will auch in Zukunft „die weisen Entscheidungen“ für Europa treffen.
Martin Schulz, oder „das andere Europa“, ist der „lockere“ Kandidat. Seit 2011 ist er Präsident des Europäischen Parlaments, der bei allen europäischen Ratssitzungen dabei ist. Wie ein Fisch im Wasser hält er sich wendig in den EU-Institutionen. Für sein „anderes Europa“, das sich den Menschen zuwendet, schlägt er vor, dass die Bürger mehr an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Es werde ein soziales Europa, mit Wachstum für alle und sozialer Gerechtigkeit. Vielleicht etwas zu schön, um wahr zu sein. Vor allem da gleichzeitig Einsparungen umgesetzt und der EU-Haushalt eingehalten werden soll, wenn man sich an die strengen Verträge halten will.
Guy Verhofstadt oder die One Man Show. Voll in Form erlaubt der Europa-Abgeordnete und Fraktionschef der Liberalen es sich sogar ein paar Witze in seiner kurzen Redezeit zu machen. Für ihn habe alle Fragen nur eine europäische Antwort: ein angepasstes Europa, das (vor allem) „diszipliniert haushaltet“.
Aléxis Tsipras oder „die Kursänderung“. Der Repräsentant der Fraktion GUE/NGL hat immer betont wie ausbeuterisch die Sparpolitik der EU sei und wiederholte quasi jede seiner Antworten. Er empfiehlt ein ganz anderes Wirtschaftsmodell: eines des Aufschwungs und der Investitionen. Kein Wort dagegen zum TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen).
Ska Keller, oder „das Europa von morgen“, hält sich an grüne Energien, nachhaltiges Wachstum und Bürgerbeteiligung. Leider auch von ihr kein Wort zu Strategie EU2020, die ja unter anderem die Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber 1990, die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 % sowie das Steigern der Energieeffizienz um 20 % vorsieht. Nichtsdestotrotz ist sie die einzige, die das TTIP erwähnt bzw. die fehlende Transparenz in dessen Verhandlungen.
Große Reden, kaum Lösungen
In einer Minute ist keine Zeit, um auf den Kern der Frage zu kommen. Daher wurden zwar große Vorhaben erklärt, aber keine Lösungsansätze präsentiert. Man hat eher den Eindruck, dass alles, was man bereits wusste, noch einmal bestätigt wurde. Die oberflächliche Moderation trug auch ihren Beitrag dazu, dass keine echte Debatte entstand. Nur Ska Keller nutzte ihre Joker oder ihr „Antwortrecht“, um auf die Reden ihrer Konkurrenten zu reagieren.
Alle 30 Minuten hat ein Journalist die sozialen Netzwerke gecheckt. Es wurden jedoch keine Reaktionen von Internetnutzern via Twitter gesammelt oder ähnliches. Sondern es wurde die Anzahl von Tweets gezählt, die die Debatte erwähnten (#TellEurope), sowie in welcher Sprache am meisten gepostet wurde oder welche Wörter am häufigsten verwendet wurden. Schade, dass man sich nicht miteinbringen konnte, das hätte die Debatte interaktiver gestaltet.
Kurz vor dem Schlusswort fragte die Journalistin, „was wäre, wenn der Europäische Rat (die Staaten) niemanden von Ihnen wählt, sondern jemand anderen als Präsidenten der EU-Kommission einsetzt?“ Nun ja, damit erinnerte sie an die Worte des Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy, der am Sonntag sagte, dass man nicht vergesse dürfe, das diese Ernennung einzig und allein in den Händen der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder liege. Auf diese Frage antworteten sie alle einstimmig: „Der nächste Präsident der Europäischen Kommission befindet sich in diesem Raum.“ Zum ersten Mal in der Geschichte der EU organisiert Europa eine Debatte zwischen potenziellen Kandidaten und es versucht die Wahlen persönlicher zu machen. Und wenn der Rat schließlich jemand anderen ernennt, würde dies selbst die Europäer enttäuschen, die fest an Europa glauben.
Translated from Élections européennes : Une minute pour convaincre