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Europa und die weißen Weiten Kanadas

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Als G8-Mitglied, mittelgroße Macht und Wohlfahrtsstaat kann Kanada viel in einer Zusammenarbeit mit der EU gewinnen. Die Kanadier haben keine große Abneigung gegenüber Europa – aber auch kein großes Interesse daran.

Die kanadische Sicht der Welt ist, im Großen und Ganzen, anglozentrisch. Das mag überraschen bei einem Land, das sich selbst als zweisprachig und multikulturell bezeichnet. Auf politischer Ebene sind kanadische Regierungen schlau genug, um mit europäischen Partnern zu kooperieren – vor allem im Bereich der Außenpolitik. Doch Kultur und Politik zu Hause werden dann doch von den beiden englischsprachigen Weltmächten Großbritannien und USA geprägt. Zwar rangiert Europa als westliche Industrieregion an dritter Stelle, was den Einfluss auf Kanada betrifft. Doch die EU als solche spielt in der kanadischen politischen Auseinandersetzung keine Rolle.

Zwischen Alter und Neuer Welt

Kanadas größter Nachbar, Handelspartner und kultureller Taktgeber sind eindeutig die USA. Wie der Rest der Welt kann sich Kanada kaum der Vereinnahmung durch die amerikanische Medienindustrie erwehren. Und, obwohl Unterschiede in der Art der Regierungsführung und der sozialen Einstellung sehr betont werden, gleicht sich die Konsumkultur. Europa hingegen wird mit „Hochkultur“ assoziert, der die Kandadier allerdings harte Arbeit und Out-Door-Aktivitäten vorziehen.

Die Verbindung zu den früheren Kolonialmächten ist im vergangenen Jahrhundert stark zurückgegangen und der Einfluß Großbritanniens ist mehr auf die Weltbedeutung der englischen Sprache als auf die koloniale Vergangenheit zurückzuführen. Tatsächlich blicken die Kanadier auf die Briten mit einer Mischung aus Neugierde und Belustigung; die Briten werden als sehr formell angesehen, altmodisch und ein bisschen exzentrisch. Einzig die Position der britischen Königin als Staatsoberhaupt ist ein kleiner Dorn im Auge der frankophonen Kanadier – für ihre englischsprachigen Landsleute ist das eine Formalität, derer sich die meisten, vor allem die Jungen, nicht einmal wirklich bewusst sind.

Das Verhältnis zwischen den Frankokanadiern und Frankreich ist ein wenig mehr befrachtet. Es sind noch immer Ressentiments gegenüber dem ehemaligen Mutterland vorhanden, weil Frankreich seine Besitzungen in Amerika im 18. Jahrhundert für ein Stück Indien an England verkauft hätte. Die frankophonen Kanadier rühmen sich bisweilen gern als hart arbeitende Menschen bodenständiger Herkunft und halten sich für weniger prätentiös als ihre französischen Vorfahren. Die Franzosen hingegen legen im Gegensatz zu ihrer Frankophonie-Rhetorik eine ausgesprochen gönnerhafte Sichtweise auf andere französischsprachige Länder und ehemalige Kolonien an den Tag – üblicherweise in Form von Protest, dass man nicht richtig verstanden werde.

Sprache und Kultur

Die Dominanz der englischen Sprache in Kanada ist möglichweise auch eine Konsequenz des „kulturellen Mosaiks“, das das Land genießt. Im Gegensatz zu den früheren Kolonialmächten England und Frankreich hat Kanada ansehnliche Bevölkerungsteile aus Süditalien, Griechenland und Portugal, ebenso wie aus Polen und der Ukraine. Die englische Sprache als weltweite lingua franca stellt hier einen wichtigen Bezugspunkt zwischen den verschiedenen Gruppen dar.

Das Ausmaß, in dem die Sprache das kollektive kanadische Bewußtsein geprägt hat, wird anhand der jüngsten weltweiten Terrorwelle sichtbar. Während Terrorangriffe weltweit in regelmäßigen Abständen auftauchen, hat der Anschlag auf das World Trade Centre mindestens eine Woche lang Empörung und Trauer in Kanada ausgelöst. Auch die unlängst in London verübten Terrorangriffe waren große Medienereignisse, begleitet mit landesweiten Trauerminuten. Die Bomben von Madrid, im Gegensatz dazu, verhallten nahezu unbeachtet.

Kultur versus Politik

Während Kanada kulturell gesehen anglophon sein mag, ist die politische Szene (wie die meisten kanadischen Premierminister) frankophon geprägt. Dies liegt daran, dass die frankophonen Kanadier eher zweisprachig sind – eine wesentliche Voraussetzung in der kanadischen Verwaltung – und die frankophonen Einwohner eine größere Vorliebe für den öffentlichen Dienst mitbringen als dies ihre anglophonen Landsleute tun. Dennoch bleiben die zahlreichen politischen Ähnlichkeiten und gemeinsamen Interessen, die Kanada mit Frankreich und anderen europäischen Staaten und sogar mit einigen Säulen der EU-Politik teilt, vollkommen unbeachtet. Öffentliche Ausgaben und Regulierungen etwa sind deutlich höher in Kanada als in den USA, jedoch niedriger als in Europa. Die Kanadier fühlen sich diesbezüglich den USA überlegen, den Europäern aber nie unterlegen. Den Vergleich würden sie auch niemals ziehen.

Die Ecksteine kanadischer Identität sind Toleranz, soziale Sicherheit und Multilateralismus. Wie die EU gibt es in Kanada hohe Ausgleichszahlungen zwischen reicheren und ärmeren Regionen. Kanadier sprechen niemals von einem „sozialen Modell“ und sind immer ein wenig misstrauisch gegenüber allem, was „sozialistisch“ klingt, obwohl sie unglaublich stolz sind auf ihr kostenloses Gesundheitssystem. Genauso stolz sind Kanadier auf ihre Rolle im internationalen Peacekeeping, in internationalen Konventionen (wie Kyoto und dem Anti-Landminenvertrag) und den Vereinten Nationen. Dennoch bleiben sie im Schatten des amerikanischen Riesen von nebenan versteckt. Aber was die EU betrifft, hätte der Durchschnittskanadier Probleme damit zu beschreiben, was es ist.

Translated from Europe and the Great White North