Europa in schlechter Verfassung
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Martin SchneiderDie Führer der « Union » waren unfähig, ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. Sie bringen dadurch die Verfassung in Gefahr. Und Europa noch dazu.
Saddams Verhaftung hat sämtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Aber sie hat nichts an der traurigen Realität geändert. Das europäische Verfassungsprojekt wurde nicht angenommen. Das Scheitern ist zwar relativ, da ein brüchiger Kompromiss oder eine endgültige Beerdigung noch schlimmer gewesen wären. Aber dennoch ist das Scheitern offensichtlich, da 95% des Textes zustimmungsfähig waren und deshalb eine endgültige Übereinkunft möglich gewesen wäre.
Wer ist verantwortlich?
In erster Linie die polnische Regierung. Noch nicht wirklich im Club, hat sie ihn schon blockiert. Gleich danach der Spanier Aznar, der eher nationalistisch als europäisch zu nennen ist und sich lieber nach Washington als nach Brüssel richtet. Den ganzen Prozess aufzuhalten, stört ihn nicht. Diese beiden wollten dass außergewöhnliche Privileg, dass ihnen in Nizza zugestanden wurde, behalten: Im Rat beinahe genauso viel Stimmengewicht wie Deutschland zu besitzen. Dies als Verhandlungsbasis zu nehmen, war verständlich. Sich bis zum Schluss nicht zu bewegen, ist dagegen skandalös.
Verantwortlich ist auch der amtierende Ratspräsident Berlusconi. Seine Hoheit war nicht ganz auf der Höhe. Kurz vor dem Brüsseler Gipfel kündigt er freimütig an, eine Lösung im Ärmel zu haben. Vor Ort verlangt er dann zum Ende zu kommen, bevor das Spiel Inter Mailand gegen Bologna beginnt. Am entscheidenden Mittagessen will er über „Frauen und Fußball“ reden. Als alles aus und vorbei war, gratuliert er sich und bestätigt allen Ernstes, dass ihn jeder beglückwünscht hätte. Journalisten fährt er an, dass er genau wüsste, wie man mit Menschen umgehen muss, und fügt hinzu, dass er allen anderen gedankt habe und sie dabei „mit ihren Vornamen“ angeredet hätte.
Prodi hat dieses vulgäre Verhalten vermieden, ohne wirklich viel effizienter zu sein. Nachdem er viel Kritik geübt, ja das Verfassungsprojekt sogar torpediert hatte, war er nicht der Richtige, um es zu verteidigen – und tat es auch erst, als der Gipfel schon vorbei war.
Chirac gelang es nicht, seine Fehler vergessen zu machen. Die ersten, die 2000 in Nizza begangen wurden, waren Quelle zahlreichen Übels. Die letzten haben das Jahr 2003 geprägt: Die neuen Mitglieder wurden dazu aufgefordert, „zu schweigen“, auf dem Stabilitätpakt wurde richtiggehend herumgetrampelt. Und die allerletzten machte er in Brüssel, wo er allen den Eindruck vermittelte dass man nichts anrühren dürfe und alles auf einen späteren Zeitpunkt verschieben müsse. Deshalb gab er den unnachgiebigen Europäer, was durchaus schick ist, und verlegte gleichzeitig die unangenehme Entscheidung über ein Referendum in Frankreich auf den Sankt Nimmerleinstag. Um das alles zu krönen, rief er dazu auf, eine Pioniergruppe aufzubauen – obwohl das Scheitern kaum verdaut war. Dies hat den Grossteil der Anderen noch ein bisschen mehr gegen Frankreich aufgebracht. Und es torpediert auch die europäische Idee, sollte dieser Vorschlag Realität werden.
Wie kann es weitergehen?
Diejenigen, die uns regieren, interessieren sich nur unter Druck für Europa. Genauer gesagt: unter Druck der Medien, der Bürger, der Ereignisse und der Zeitpläne. Viele von Ihnen würden die Verfassung nur unter Krokodilstränen beerdigen. Sie steht unterdessen in der Warteschleife – was sie ein bisschen schützt. Sie hat Fürsprecher, die nicht locker lassen dürfen. Offiziell sind das alle Regierungen, an der Spitze die Belgier, die Deutschen, normalerweise auch die Franzosen, die Italiener, die Dänen, die Ungarn, die Tschechen, die Niederländer und, zu einem gewissen Grad, sogar Blair. Das europäische Parlament will die Verfassung. Giscard, Amato, Dehaene, die Konventsmitglieder werden sie, genauso wie die Parlamentarier der einzelnen Mitgliedsstaaten, weiterhin verteidigen. Last but not least, zahlreiche Verbände, eine Mehrheit der europäischen Bürger… Wenn sie auf sich alleine gestellt sind, riskieren die Entscheidungsträger zu kneifen. Unter Druck werden sie sich beugen.
Translated from Portrait des pères fossoyeurs