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Europa demokratischer gestalten

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Berlin

Tobias Sauer Europa wächst wirtschaftlich zusammen: LKWs passieren mit ihrer Ladung Grenzen, ohne dass Zoll fällig wird, wir bezahlen in vielen Staaten mit dem Euro und können arbeiten, wo wir wollen. Aber gleichberechtigte Bürger sind wir deshalb noch lange nicht. Denn an den meisten Wahlen können Europäer nur in dem Land teilnehmen, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen.

Der Verein Citizens For Europe will das ändern. Die Mitgründer Martin Wilhelm (links), 30, und Christian Mieß (rechts), 29, erklären ihr Projekt im Interview mit Café Babel Berlin.

Citizens For Europe setzt sich für politische Beteiligungsrechte in Europa ein. Um was geht es da genau? Martin: Die Grenzen in Europa werden immer weiter aufgelöst und die Bürger haben die Möglichkeit, transnational zu leben, zu arbeiten und Familien zu gründen. Innerhalb Europas gibt es damit immer mehr Leute, die in einem Nationalstaat leben, dessen Nationalität sie nicht besitzen. Durch diese Mobilität ergeben sich aber Defizite, vor allem was politische und soziale Teilhaberechte angeht. Diese Leute dürfen an bestimmten Wahlen nicht teilnehmen oder der Arztbesuch gestaltet sich manchmal schwieriger, als er eigentlich sollte. Das führt zum Beispiel in Berlin dazu, dass hier 150.000 EU-Bürger leben, die kein Wahlrecht für das Abgeordnetenhaus haben. Wenn wir die Migration nach Europa betrachten, kommen wir in ganz andere Dimensionen. In der EU leben etwa 25 Millionen Menschen aus Nicht-EU-Ländern und in Berlin mit den EU-Bürgern zusammen 460.000 Leute. Diese 460.000 Menschen werden hier nicht als demokratische Bürger angesehen. Sie dürfen Steuern zahlen, müssen sich an Gesetze halten, dürfen aber nicht wählen.

Was ist euer Problem damit? Christian: Das ist ein großes demokratisches Problem. Die Möglichkeit zu wählen ist elementar, um an einer Gesellschaft teilzuhaben. Wir sagen: Mitbestimmung ist nicht die Krönung der Integration, sondern ist Teil des Integrationsprozesses. Auf die ökonomische Öffnung Europas, von der Martin gerade gesprochen hat, muss die politische Öffnung folgen.

Ihr habt deshalb zusammen mit dem Verein „Jede Stimme“ das Projekt „Jede Stimme 2011“ ins Leben gerufen. Was konkret habt ihr vor? Martin: Es gibt drei Aktivitäten: Einmal eine symbolische Wahl, die zwischen dem 29. August und dem 4. September stattfindet. Zweitens machen wir eine breite Medienkampagne in Berlin zusammen mit dem Berliner Fenster und Motor FM. Wir werden drei Wochen lang auf das fehlende Wahlrecht für Migranten aufmerksam machen und auf das daraus resultierende demokratische Defizit. Dafür haben wir mit etwa fünfzehn Leuten, die keinen deutschen Pass haben, in Berlin ein Foto-Shooting gemacht. Die werden dann im Berliner Fenster in ihrer Landessprache und in deutscher Übersetzung ein Argument bringen, warum sie gern in Berlin wählen möchten. Drittens gibt es diverse Veranstaltungen. Wir laden zum Beispiel Bürgermeister aus Nachbarländern nach Berlin ein, um mit Wissenschaftlern und Publikum zu diskutieren, wie das Migrantenwahlrecht in anderen europäischen Regionen schon vorangekommen ist. In 16 europäischen Ländern ist das schließlich schon durchgesetzt. Unser Ziel ist, dass im nächsten Koalitionsvertrag steht: Wahlrecht für Migranten auf kommunaler und Landesebene.

Daneben habt ihr noch zwei weitere große Projekte. Eins davon ist Open Citizenship. Was verbirgt sich dahinter? Martin: Open Citizenship ist eine halbjährlich erscheinende Zeitschrift zum Thema europäische Bürgerschaft. Die zweite Ausgabe, die sich mit Diskriminierung und Ausgrenzung in Europa beschäftigt, ist gerade in Druck gegangen. Angesprochen werden Probleme wie der Umgang mit Asylsuchenden in Malta, wo schwarze Frauen nicht sehr menschlich behandelt werden, oder die Entwicklung einer ethnischen Politik in Ungarn. Die Zeitschrift erscheint auf Englisch, wir verbreiten sie in ganz Europa und sie ist keine rein wissenschaftliche Publikation, sondern verbindet wissenschaftlich-akademische Artikel mit Berichten aus der Zivilgesellschaft. Es geht also auch um Projektbeschreibungen und um Beschreibungen von NGOs. Außerdem machen wir Interviews mit Meinungsführen und Entscheidungsträgern.

Und dann habt ihr noch ein weiteres Projekt: Vote Exchange. Christian: Vote Exchange ist ein sehr schönes Projekt, das Leuten ermöglicht, ihr Recht auf Teilhabe in Europa durchzusetzen. Es ist aufgebaut wie viele soziale Netzwerke: Man kann im Internet ein Profil anlegen und sich mit anderen Leuten zu politischen Themen austauschen. So können sich Leute, die in einem Land leben, in dem sie nicht wählen dürfen – der Finne in Portugal und der Portugiese in Finnland – mit Leuten unterhalten, die in der gleichen Situation sind. Der Finne, der in Portugal lebt, kann also dem Portugiesen, der in Finnland lebt, sagen, wen er bei der nächsten Wahl in Portugal wählen würde. Und der Portugiese, der in Portugal ja ein Wahlrecht hat, kann das dann berücksichtigen. Umgekehrt berücksichtigt der Finne bei den nächsten Wahlen in Finnland die Meinung des Portugiesen, der in Helsinki lebt. Auf diese Weise wird durch Kommunikation eine Form politische Partizipation ermöglicht, die in Europa so noch nicht existiert.

Was war eure Motivation, sich mit diesen Themen zu beschäftigen? Martin: Wir sind die Erasmus-Generation, die in Europa gelebt, studiert und gearbeitet hat. Das macht unheimlich viel Spaß und wir haben viele Freiheiten in der Europäischen Union, die unsere Eltern nicht hatten. Aber wir haben gemerkt, dass wir an bestimmte Grenzen als Bürger innerhalb Europas stoßen, wenn wir die transnationale Mobilität tatsächlich nutzen. Europäische Integration war mir eine Herzensangelegenheit, gerade weil ich aus dem Osten komme. Und weil ich das als ein tolles Projekt empfinde, möchte ich das auch weiter voranbringen.

Wie können sich andere Menschen beteiligen und eure Projekte voranbringen? Martin: Innerhalb des Projekts „Jede Stimme 2011“ arbeiten viele Vereine mit uns zusammen, die Freiwillige suchen, die sie bei den Veranstaltungen und bei den symbolischen Wahlen unterstützen, als Wahlhelfer zum Beispiel. Gesucht werden politisch engagierte Leute, die den Migranten ein bisschen was über die Parteienlandschaft in Berlin erzählen können, über politische Programme und Kandidaten. Da sind 400.000 Leute angesprochen, die noch nie gewählt haben, die vielleicht auch zum ersten Mal einen deutschen Wahlzettel sehen. Wahlzettel sehen in Frankreich zum Beispiel so aus, dass du den Kandidaten abreißt, den du haben willst, und den Rest des Wahlzettels schmeißt du weg. Wenn du das mit unserem Wahlzettel machst, ist der ungültig. Es gibt viele Fragen, die die Leute haben werden und da suchen wir Helfer, die diese Fragen beantworten können und ihnen zur Seite stehen. Auch Leute mit Migrationshintergrund, die engagiert sind und vielleicht auch selbst einen deutschen Pass haben und wählen dürfen, sind Multiplikatoren, die wir suchen.