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Europa am Tresen: Heimkehr eines Überzeugungstäters

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GesellschaftPolitik

Trotz Rauchverbots riecht es nach Kneipe, nach warmem Essen und schaler Luft. Schal wie die Bierreste in meinem Glas. Ich bin nicht mehr oft in der alten Heimat, in dieser typisch schwäbischen Kleinstadt, die sich mir allmählich entfremdet. Oder ich mich ihr. Ich gestehe: Ich bin jetzt Brüsseler; ein winziges Rädchen in diesem Geburtsort europäischer Richtlinien und Verordnungen.

Und ich bin Überzeugungstäter. Noch immer.

"He, du", ruft mir einer vom Nebentisch zu, als wir uns eben erheben und unsere Zeche zahlen. Ich drehe mich um. Der Sprecher steht auf und stellt sich mir in den Weg. Seine Bierfahne flattert mir ins Gesicht. "Du bist doch von der EU, oder?", meint er. Er muss ungefähr mein Alter haben, schätze ich, und statt "bist" sagt er "bischt". So wie alle hier. So wie ich früher auch. Ich nicke nur zögernd.

In deinem Europa sind wir Deutschen doch nur die Zahlmeister für die Griechen und all die anderen.

Vor Jahren galt es noch als cool, für das Europäische Parlament zu arbeiten. Heute bin ich vorsichtiger. "In deiner EU" meint er und tippt mir den Zeigefinger gegen die Brust. "Da sind wir Deutschen doch nur die Zahlmeister für die Griechen und all die anderen." Eifrig nicken seine Kumpels am Nebentisch dazu, und prosten dem Redner mit ihren Weizenbiergläsern zu. "Was macht ihr schon gegen die Krise? Nix, oder?"

Eine gewagte These, finde ich. Immerhin hat das Europäische Parlament gerade in dem Bereich einiges vorzuweisen: Regulierung von Finanzmärkten, von Derivaten- und Hochfrequenzhandel, mehr Sparerschutz, strengere Eigenkapitalregeln für Banken, usw. Beeindruckend für ein Parlament, das von den meisten seiner Bürger kaum beachtet wird.

"Stimmt. Nix", höre ich mich statt all dem sagen. Vorübergehend ist mein Gegenüber baff. Offensichtlich hat er eine solche Antwort nicht erwartet. "Na, wenigschtens bischt du ehrlich", entgegnet er dann, schiebt sich zufrieden die Baseballkappe aus der Stirn und gibt mir großzügig den Weg frei. Ich könnte jetzt unbehelligt abziehen. Das will ich aber nicht mehr. Stattdessen erkläre ich: "Weil die Eurokrise nicht Sache der EU ist." "Wieso?", dehnt er erstaunt. "Das gibt doch keinen Sinn."

Staatenbundstreich

Er hat Recht. Dennoch ziere ich mich anfangs zu antworten, schließlich habe ich Urlaub und keinen Bock auf langwierige Diskussionen. Dann aber öffnet der Ärger mir doch den Mund und es sprudelt heraus, was sich schon lange, viel zu lange aufgestaut hat. Wie die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, allen voran die deutsche, das Europaparlament, ja die gesamte EU ausgetrickst haben; wie sie einfach bi-nationale Verträge über irgendwelche Rettungsschirme geschlossen haben, jeder mit jedem, als hießen die Partner nicht Deutschland, Polen oder Frankreich, sondern Papua-Neuguinea, Haiti und Mali; wie die Regierungen damit das Europäische Parlament außen vor gehalten und sich der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs entzogen haben. Hinterzimmerpolitik nennen das die Medien. Tatsächlich ist es die Entdemokratisierung der EU; ein echter Staatenbundstreich.

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Selbst mein Gegenüber scheint mittlerweile nachdenklich geworden zu sein und schiebt sich seine Kappe zurück in die Stirn. Die vorherige Härte ist aus seinem Gesicht verschwunden und ich sehe Sorgenfalten darin. Wie wir alle hat auch er die Fernsehbilder gesehen, als verwirrte Bundestagsabgeordnete über Rettungsschirme abstimmen mussten, die sie nicht verstanden haben. Er hat die Bilder von den Menschen auf den Straßen Europas genauso gesehen und die Fäuste in den Taschen der Regierungschefs finanziell angeschlagener Staaten, die sich zähneknirschend Merkels eiserner Spardoktrin unterwerfen mussten. Staaten, die sich nun zu Tode sparen, so wie Deutschland einst am Ende der Weimarer Republik.

Er hat die Bilder gesehen und gespürt, dass etwas nicht stimmt mit der EU und er ist instinktiv von ihr abgerückt. Wir alle spüren, dass etwas nicht stimmt und wir alle gehorchen unserem Instinkt. Offenbar haben wir Europäer ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, wenn unsere Demokratie einen Schlag in die Magengrube erhält.

"Merkel sagt, es wäre alternativlos", schließe ich und zucke die Achseln. Erst kürzlich hat die Kanzlerin ihre Vorschläge für eine Reform der EU vorgestellt. Vieles davon hört sich nach einer echten Verbesserung an.

Aber es ist kein gemeinsames, es ist wieder mal ein deutsches Europa, das man den anderen da vorsetzt. Sicherlich ist Merkel der Ansicht, ihr neues Europa sei ebenfalls alternativlos. Mein Europa dagegen kann niemals alternativlos sein. Mein Europa ist demokratisch. Genau wie das Europa des Mannes mit der Baseballkappe. "Dasch tät' ich mir an eurer Schtelle aber nicht gefallen lassen", meint der. Ich nicke. "Weil in dir mehr von einem Griechen schteckt, alsch du denkscht", erwidere ich. Dann stutze ich, weil ich merke, dass meine Schwaben-Schs zurückgekehrt sind. Ich fange an zu grinsen. Er grinst zurück. Ich bin wieder zuhause.

Illustrationen: (cc)tombeardshaw/flickr